Berlin. Für Bahnreisende könnten die kommenden Wochen strapaziös werden: Es kommt zu Streiks. Warum das so ist und wann es losgeht.
- Bei der Deutschen Bahn kommt es zum Streik
- Es drohen zahlreiche Zugausfälle und Verspätungen
- Wann geht es los? Alles über den Machtkampf zwischen Lokführer-Gewerkschaft und Deutscher Bahn lesen Sie hier
Die Tarifverhandlungen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn sind "gescheitert". So bezeichnet es GDL-Chef Klaus Weselsky. An diesem Dienstag gab die GDL nun bekannt, dass es zu Streiks bei der Deutschen Bahn kommen wird. Bahnreisende und Pendler müssen sich also ab dieser Woche auf Streiks gefasst machen.
Ab wann geht der Streik los?
Der Streik soll bereits heute ab 19.00 für den Güterverkehr beginnen. Ab zwei Uhr Nachts am Dienstag werde dann auch der gesamte Personenverkehr und die Infrastruktur bestreikt.
Eine ausreichende Mehrheit der Mitglieder für Streiks galt bereits im Vorfeld als gesichert. Nun drohen Behinderungen im Schienenverkehr, Verspätungen und Zugausfälle. Denn es reichen wenige stillgelegte Züge an strategisch wichtigen Punkten, um den Fahrplan großflächig durcheinander zu bringen.
Bahnstreik: Fahrgäste würden rechtzeitig informiert
Die Fahrgäste würden rechtzeitig informiert, hatte Weselsky am Montag zu Beginn der Auszählung versprochen.
Weselsky hatte es zugleich erneut abgelehnt, ohne neues Angebot der Bahn an den Verhandlungstisch zurückzukehren, wie dies in den vergangenen Wochen mehrfach gefordert worden war. Die GDL will nach seinen Worten eine Nullrunde im laufenden Jahr nicht akzeptieren.
Die Bahn will angesichts von neuen Milliardenverlusten während der Corona-Pandemie und großen Flutschäden einen länger laufenden Tarifvertrag und spätere Erhöhungsstufen bei gleicher Prozentzahl. Ein Streik wäre eine „Attacke auf das ganze Land“, hatte Bahn-Personalchef Martin Seiler erklärt. Eine Bahn-Sprecherin sagte am Montag, dass Streiks Kunden und Beschäftigte wie ein „Schlag ins Gesicht“ treffen würden.
Bahn kritisiert Streik-Pläne der Gewerkschaft
Bereits zuvor zeigten Arbeitgeber kein Verständnis für das Vorgehen. „Es gibt null Notwendigkeit für einen Streik“, sagte Martin Seiler und fordert die GDL zu einer Lösung es Konflikts auf dem Verhandlungsweg auf. Lesen Sie dazu: Bahnstreik: Ihre Rechte bei Verspätung oder Zugausfall
Doch die Gewerkschaft sah keinen Einigungswillen aufseiten der Arbeitgeber und wirft Seiler anhaltendes „Tricksen und Täuschen“ vor. Die Bahn wolle eine kritische Gewerkschaft mundtot machen.
Das Problem ist nicht der Lohn
Die Lage ist so verfahren wie schon lange nicht mehr. Es geht zwar vordergründig nur um eine Lohnrunde. Die GDL fordert 3,2 Prozent höhere Entgelte und einen Corona-Bonus von 600 Euro für seine Mitglieder.
Die Bahn bietet zwar 3,2 Prozent, will dafür aber eine lange Laufzeit von 40 Monaten für den Tarifvertrag durchsetzen und auch keinen Bonus zahlen. Dazu geht es um Regelungen für die Altersvorsorge oder Jobtickets und Beschäftigungszusagen. Lesen Sie den Kommentar: Bahnstreik – GDL macht Reisende zu Geiseln eines Machtkampfs
Die Spielräume der Bahn sind angesichts der finanziellen Lage des Konzerns gering. Corona hat 2020 und auch in diesem Jahr für Milliardenverluste verursacht. Das Unternehmen hat im Gegenzug für Staatshilfen massive Einsparungen zugesagt, die unter anderem von den Beschäftigten geschultert werden sollen. Lesen Sie hier: Zugreisen: Stabiles Surfen und Telefonieren dauert noch
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft wies darauf hin, dass ein Streik bei der Bahn auch „die unter den Folgen der Corona-Krise leidende Wirtschaft massiv schädigen“ würde. Die GDL handele verantwortungslos und gefährde die wirtschaftliche Erholung, sagte Verbandsgeschäftsführer Markus Jerger unserer Redaktion.
Machtkampf zwischen den Gewerkschaften
Im Hintergrund schwelen zwei weitere fundamentale Konflikte, die Kompromisse erschweren. Die GDL befürchtet den Verlust ihrer Verhandlungsmacht. Weil bei der Bahn seit Jahresbeginn das Tarifeinheitsgesetz (TEG) angewendet wird.
Es besagt, dass in jedem Betrieb nur der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft gilt. Das ist bei den rund 300 Betrieben der Bahn in der Regel der Vertrag der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). In gut 70 Betrieben sind beide Organisationen vertreten. Nur in 16 davon hat die Bahn die GDL als führend bestimmt.
GDL hatten EVG den Kampf um die Vorherrschaft angesagt
Wie die Machtverhältnisse tatsächlich sind, ist nicht bekannt, weil die Mitgliederzahlen nicht offengelegt werden müssen. Ein Vertrag, der die Koexistenz zweier Tarifverträge regelt, ist Ende letzten Jahres ausgelaufen. Die GDL sieht sich an den Rand gedrängt.
Das Tischtuch zwischen den beiden Gewerkschaften ist schon lange zerschnitten. Das ist der dritte Konflikt, der diese Tarifrunde überschattet. Im vergangenen Herbst hat die GDL der EVG offen den Kampf um die Vorherrschaft bei der Bahn angesagt. Lesen Sie hier: Mehr Fahrten, neue Strecken: Flixtrain macht Bahn Konkurrenz
Bahnkunden müssen sich auf lange Streiks einstellen
Konkret will sie nicht mehr nur Lokführer und Zugbegleiter vertreten, wie es bisher der Fall ist. Sie will der EVG auch in den Instandhaltungswerken und anderen direkt zum Bahnverkehr zählenden Betrieben Mitglieder abjagen. Die Stimmung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern ist angespannt. Die EVG beklagt etliche Übergriffe auf ihre Mitglieder, bis hin zu einer anonym gesandten Gewehrkugel an einen ihrer Betriebsräte.
Die komplizierte Gemengelage lässt einen langen Arbeitskampf befürchten. Die GDL hat mehrfach bewiesen, dass sie dazu in der Lage ist. Die Lokführer gelten diesbezüglich als verschworene Truppe. Die Arbeitgeber wieder deuten an, sich angesichts der ohnehin schon finanziell schwierigen Lage auch eine längere Auseinandersetzung in Kauf zu nehmen. Lesen Sie hier: Bahnchef Lutz im Interview: „Man spürt, dass die Menschen raus wollen“
Notfahrpläne: Bahn veröffentlicht noch keine Details
Die Bahn nannte zunächst keine Details zu Notfallplänen. Beim letzten GDL-Lokführer-Streik vor sechs Jahren hatte man einen Notfahrplan erstellt, um zumindest etwas Betrieb aufrecht zu erhalten. Im Fernverkehr konnte etwa ein Drittel der Züge fahren, vor allem auf den Hauptstrecken vom Ruhrgebiet nach Osten sowie von Hamburg nach Süden. Auch im Regionalverkehr und bei S-Bahnen dürfte bei einem Lokführerstreik ein Großteil der Züge ausfallen. Der gestörte Betriebsablauf könnte dann auch bei Konkurrenten der Deutschen Bahn zu Einschränkungen führen.
Im Fall eines Streiks können die Fahrgäste von geplanten Zugfahrten zurücktreten und sich den Fahrpreis erstatten lassen, wenn eine Verspätung von mehr als 60 Minuten zu erwarten ist. Wer trotzdem in den Zug steigt, für den gelten die üblichen Entschädigungsregeln: bei 60 Minuten Verspätung 25 Prozent des Fahrpreises, ab 120 Minuten 50 Prozent.
Es wäre der erste Streik bei der Bahn seit Dezember 2018, als die EVG ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufrief. Weitaus härter verlief der GDL-Streik 2014 und 2015. In acht sich steigernden Wellen legten die Lokführer unter Weselskys Führung die Arbeit nieder und weite Teile des Streckennetzes lahm. (mit dpa)