Hamburg. Höchste Preissteigerung seit 1993 stellt viele vor Herausforderungen. Auf steigende Zinsen dürfen Sie nicht hoffen. Die Alternativen.
Die Inflation ist zurück. Mit einer Preissteigerung von 3,8 Prozent im Juli wird die höchste Inflationsrate seit 1993 verzeichnet. Für Ersparnisse hat eine hohe Inflationsrate verheerende Auswirkungen, nur werden sie nicht so schnell bemerkt.
Denn auf einem Tages- oder Festgeldkonto bleiben die Kontostände zwar unverändert, aber die Kaufkraft sinkt. Warum gibt es plötzlich eine so hohe Inflationsrate? Welche Entwicklung ist für die nächsten Jahre zu erwarten? Welche Geldanlagen schlagen die Inflationsrate? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Geld anlegen: Warum steigen die Preise?
Eine derart zügige Geldentwertung wie aktuell hat es zuletzt vor rund drei Jahrzehnten gegeben – als Folge der Wiedervereinigung. Viele Unternehmen heben ihre Preise an, um die Lockdown-Verluste auszugleichen.
Gleichzeitig gibt es durch die monatelangen Corona-Beschränkungen einen Konsumstau. Die plötzliche Nachfrage trifft aber auf ein verringertes Angebot, weil Rohstoffkonzerne und Vorprodukthersteller ihre Kapazitäten in der Corona-Krise verringert hatten. Langes Warten auf Konsumgüter und höhere Preise sind die Folge.
Was erwarten Experten?
„Bis zum Jahresende 2021 könnte die deutsche Inflationsrate sogar auf über vier Prozent klettern, denn die Erholung aus der Corona-Krise wird vor allem bei einigen Dienstleistungen in den kommenden Monaten noch zu Preiserhöhungen führen“, sagt Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank. Noch gehen die meisten Ökonomen davon aus, dass sich die Inflationsrate im nächsten Jahr wieder zwischen zwei und drei Prozent einpendelt. Doch ob das wirklich so kommt, ist ungewiss.
Eine Zinserhöhung als Bremsmanöver ist von der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht zu erwarten. „Weiter steigende Preise sind zwar nicht unser favorisiertes Szenario für das nächste Jahr, aber alle Zutaten für nachhaltig steigende Preise sind in der gegenwärtigen Phase gegeben“, sagt Bernd Schimmer, Wertpapierstratege der Hamburger Sparkasse (Haspa). Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass allein die Transformationskosten in eine CO2-freie Wirtschaft „eine im Durchschnitt um etwa 0,5 Prozentpunkt höhere Inflationsrate“ bis zum Ende des Jahrzehnts bedeutet.
Was bedeutet das für die Geldanlage?
Von einem Guthaben von 50.000 Euro sind bei einer Inflationsrate von vier Prozent schon nach zwei Jahren nur noch rund 46.200 Euro übrig – gemessen an der Kaufkraft. Wer sich fünf Jahre nicht um sein Erspartes kümmert, kann danach nur noch Waren für rund 41.100 Euro einkaufen.
Nach einem Jahrzehnt ist die Kaufkraft sogar um satte 33 Prozent geschrumpft. „Die Inflation ist eines der am meisten unterschätzten Phänomene, weil viele Sparer nur die nominalen Zahlen zur Kenntnis nehmen, die sich nicht verändern“, sagt Haspa-Experte Schimmer.
Inflation gab es schon früher – was ist jetzt anders?
Sparer sollten nicht darauf vertrauen, dass die gestiegenen Verbraucherpreise wieder zu höheren Zinsen führen. „Die Politik der Zentralbanken hat dazu geführt, dass sich der Zins nicht mehr dem inflationären Umfeld anpasst“, sagt Schimmer.
Unter dem Strich macht der Sparer Verluste, hat einen negativen Realzins. 10.000 Euro für zwei Jahre zu einem Zinssatz von 0,51 Prozent angelegt (Crédit Agricole) führt zu einem jährlichen realen Negativzins von 3,29 Prozent – nach Abzug der aktuellen Inflationsrate.
Was sind die Alternativen?
Für Geld, das jederzeit verfügbar sein soll oder in zwei oder drei Jahren wieder benötigt wird, gibt es keine wirklichen Alternativen. Allerdings sollten Sparer prüfen, ob sie das Geld wirklich im bisherigen Umfang in dieser Anlageform parken müssen.
Mit welcher Anlage lässt sich die Inflation schlagen?
Aktien bringen eine durchschnittliche jährliche Rendite zwischen fünf und acht Prozent. „Die Inflation findet in einem guten konjunkturellen Umfeld statt“, sagt Schimmer. „Da kann man davon ausgehen, dass die Firmen ihre Preise anpassen können, Umsätze und Gewinne sollten also steigen.“
Er favorisiert Branchen wie Automobilbau, Chemie, Industrie und Konsumgüter. Torsten Johannsen von der Hamburger Privatbank Otto M. Schröder rät zu Unternehmen, die eine Preissetzungsmacht haben und verweist auf Aktien wie Nestlé, Kraft Heinz oder Unilever, die zudem noch verlässliche Dividendenzahler sind. Wer die Auswahl von Einzelaktien scheut, kann auch in einen börsengehandelten Indexfonds setzen.
Der bekannteste ist der MSCI-World-Index mit 1600 Aktien. Da der Aktienmarkt aber schon lange sehr erfolgreich läuft, kann es sich auch lohnen auf Aktien zu schauen, die bisher zurückgeblieben sind. Sogenannte Value-Titel stehen für Unternehmen, die am Kapitalmarkt besonders niedrig bewertet werden.
Sie aufzuspüren ist nicht einfach. Aber auch dafür gibt es einen ETF, also einen börsengehandelten Indexfonds wie der Xtrackers MSCI World Value Factor, der in einem Jahr eine Rendite von 39 Prozent erreichte, ein ETF (Exchange Traded Funds) auf den MSCI-World-Index erzielte in diesen Zeitraum rund 35 Prozent. Einzelheiten finden Interessierte auf der Internetseite: www.justetf.com.
Was ist mit Rohstoffen?
„Rohstoffe sind ein guter Inflationsausgleich“, sagt Schimmer. „Zumindest solange die Konjunktur gut läuft.“ Für Privatanleger ist es aber fast unmöglich direkt in Rohstoffe wie Rohöl oder Kupfer zu investieren. Eine Alternative sind Aktien von Firmen, die in der Rohstoffproduktion tätig sind. Nach dem Rat von Johannsen muss man dafür nicht weit ausschweifen. Er findet den Hamburger Kupferhersteller Aurubis empfehlenswert.
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„In einem Elektroauto wird achtmal mehr Kupfer verbaut als in einem herkömmlichen Verbrenner“, sagt Johannsen. Fondsmanager Stefan Breitner von der DJE Kapital AG sagt: „Kupfer ist darüber hinaus – im Gegensatz zu anderen Rohstoffen wie Öl, Holz oder Aluminium – praktisch nicht substituierbar.“ Um im Rohstoffsektor beteiligt zu sein, rät Schimmer zu speziellen Rohstofffonds. Auch gibt es ETF, die in spezielle Rohstoffindizes investieren. Allerdings geht es dabei meist um zwei Dutzend Rohstoffe, die von Kupfer bis zu Getreide reichen.
Lohnt die Anlage in Gold?
Keine Zinsen mehr und dazu steigende Inflation: Eigentlich ist das ein ideales Umfeld für Gold. Doch bisher merken die Anleger davon nicht viel, das Edelmetall hat gerade einen kräftigen Kursrückschlag hinter sich und hat seit Jahresanfang eine negative Rendite von knapp vier Prozent (in Euro gerechnet). Dennoch sehen die Experten Gold als eine ideale Anlage in Inflationszeiten. „Wir kaufen für unsere Kunden Xetra-Gold“, sagt Johannsen. Ein Anteilschein entspricht einem Gramm Gold, das die Deutsche Börse in ihren Tresoren einlagert.
Alternativ können auch Münzen oder Barren direkt erworben werden. Selbst die Stiftung Warentest rät in diesen Zeiten zu einem Depotanteil von fünf bis zehn Prozent. Sie ermittelte auf Sicht von 30 Jahren für Aktien eine durchschnittliche Rendite von acht Prozent und für Gold von 5,6 Prozent. Die Commerzbank erwartet zum Jahresende einen Goldkurs von rund 2000 Dollar je Feinunze. Aktuell liegt er bei rund 1750 Dollar. Neben der ultralockeren Geldpolitik der Zentralbanken sind weitere Ursachen die steigende Nachfrage nach Gold in China und Indien.
Profitieren Immobilien von der aktuellen Inflation?
In den vergangenen fünf Jahren sind die Mieten (19 Prozent) in Hamburg stärker gestiegen als die Inflation (acht Prozent). Doch im zweiten Quartal 2021 gab es kaum noch einen Mietanstieg, obwohl die Inflation deutlich zulegte. „Immobilien reagieren mit Verzögerung auf eine inflationäre Entwicklung“, sagt Schimmer. Die wenigsten können sich auch eine Immobilie zur Vermietung leisten. Aber es gibt offene Immobilienfonds wie der Wertgrund WohnSelect, der als einer der wenigen Fonds fast nur in Wohnimmobilien aus dem Bestand im normalen Preisniveau investiert, auch in Hamburg.
Im September soll es bei dem Fonds wieder eine Investitionsmöglichkeit geben. So schützt er sich vor überschüssiger Liquidität. Die meisten anderen offenen Immobilienfonds investieren hauptsächlich in Gewerbeimmobilien wie Büros oder Einkaufscenter. Das zeigt sich in einer deutlich niedrigen Rendite (s. Tabelle). Aber etwas Betongold im Depot zu haben zahlt sich langfristig aus.