Die Wohnfläche beträgt etwa 30 Quadratmeter. Es gibt sehr viel Interesse an den Tiny Houses – und ein Problem.
- Tiny House liegt im Trend – in Bleckede bei Hamburg wird eine Siedlung gebaut
- Dorf mit Waschsalon, Sauna, Yogaräumen und Coworking-Büros entsteht
- Lieferschwierigkeiten der Materialien wirbelt Zeitplan durcheinander
- Quadratmeterpreis von fast 3500 Euro für ein Tiny House
Ein Bagger steht schon da. Direkt daneben ist ein Sandberg aufgeschüttet. Ansonsten ist das Areal, auf dem in den nächsten Monaten eine der größten Tiny-House-Siedlungen rund um Hamburg entstehen soll, noch eine große leere Fläche hinter dem Deich bei Bleckede.
Hier gibt es nichts außer viel Natur in allen Grün-Schattierungen, außerdem Schafe und Störche. Ab und zu kommen Radfahrer auf dem Elberadweg vorbei, der sich durch das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue schlängelt.
„Genau das macht es aus. Wir schaffen hier einen Fluchtort für Stadtmenschen“, sagt Daniel Lippke. Elborado haben der Hamburger und seine Mitstreiter ihr Projekt genannt. Eigentlich hätten jetzt die ersten Besitzer ihre Micro-Häuschen mitten im Nirgendwo beziehen sollen. Aber der Baustart hatte sich um Monate verschoben. Jetzt soll es im September mit den Erschließungsarbeiten losgehen.
Tiny House vollständig erschlossen – mit Wasser, Strom und Glasfaserkabel
„Was wir hier machen, ist ein Rund-um-sorglos-Paket“, sagt Daniel Lippke. Der 40-Jährige steht auf der Holzveranda des Elborado-Musterhauses. Vor 3,5 Jahren hatte er das Gelände am Grünen Deich im Bleckeder Ortsteil Wendewisch, auf dem vorher ein heruntergewirtschafteter Campingplatz war, gemeinsam mit einem Architekten und einem Investor, ein Bauunternehmer mit Firmensitz in den Niederlanden, übernommen. Seitdem läuft die Entwicklung ihrer Wochenend- und Ferienhausanlage Elborado – regelmäßiges Wohnen ist in dem Naturschutzgebiet nicht erlaubt.
Auf 2,5 Hektar sollen 72 Holz-Häuschen mit einer Wohnfläche von jeweils 30 Quadratmetern plus einer überdachter Holzveranda entstehen – mit komplett ausgestatteter Küche und Bad. Es gibt zwei Typen: „Elbo“ und „Rado“. Das Berliner Partnerunternehmen Holz Tiny Houses, ein Spezialhändler für Holzhäuser, lässt sie in Europa fertigen, transportieren und aufbauen.
Gemeinschaftseinrichtungen wie eine Sauna sind geplant
„Das Besondere ist, dass unsere Häuser vollständig erschlossen sind. Das heißt: Es gibt Wasser, Strom und – ganz wichtig – Glasfaserkabel. Wer will, kann auch Reinigungspersonal bei uns buchen“, sagt Lippke, ein studierter Geograf mit langjähriger Erfahrung in der Start-up-Szene. Geplant sind zudem Gemeinschaftseinrichtungen wie ein Waschsalon, Sauna, Gastronomieangebote, Yogaräume und Coworking-Büros.
Im vergangenen April haben die Elborado-Gründer mit der Vermarktung begonnen. „Die Nachfrage ist hoch. Corona hat das noch mal gesteigert“, sagt Lippke. Innerhalb von Wochen hatte er die ersten 25 bindenden Bestellungen, die sich die Macher als Voraussetzung für den Baustart ihres Projekts gesetzt hatten.
Und das quasi ohne Werbung und bei Quadratmeterpreisen von fast 3500 Euro. Inzwischen kostet der Traum vom eigenen Tiny-Wochenendhaus wegen der Preissteigerungen bei den Baustoffen 124.000 Euro plus 12.000 Euro Transport- und Montagekosten, dazu kommt eine monatlichen Pacht für die Mini-Grundstücke in Höhe von 170 Euro. Damit liegt Elborado im Premiumbereich des Segments.
Nichtsdestotrotz: Interessenten aus ganz Deutschland pilgern in die Elbtalauen. Wahrscheinlich wären inzwischen auch die anderen zwei Drittel der Häuser längst verkauft. Wenn nicht die aktuelle Holz- und Baustoffkrise den Zeitplan für das Bauprojekt komplett durcheinander gebracht hätte. „Unsere Lieferanten konnten die Häuser schlicht nicht bauen und liefern“, sagt Lippke.
Für die Gründer ein schwerer Schlag. Abgesprungen ist trotz der massiven Zeitverzögerung kaum jemand. Jetzt ist Entspannung in Sicht. Wenn alles nach Plan läuft, sollen im Januar 25 nagelneue Tiny Houses im Urstromtal der Elbe stehen.
Tiny House: Wohnidee kommt aus den USA
Großes Glück auf kleinstem Raum. Die alternative Wohnidee kommt ursprünglich aus den USA und den dort verbreiteten Trailerparks. In den vergangenen Jahren wächst auch in Deutschland die Fangemeinde der Tiny Houses, früher hätte man Hütte gesagt, die als Wochenendhaus oder auch als dauerhafter Wohnsitz genutzt werden.
Dabei kommen zwei Aspekte zusammen: die rasant steigenden Preise für Immobilien und Baugrundstücke sowie der Trend zum Minimalismus und Reduzierung auf das Wesentliche. „Das macht Sinn, wenn man es historisch betrachtet“, sagt Bernd Dahlgrün, Architektur-Professor an der HafenCity Universität Hamburg. „Die Wohnfläche pro Person ist in Deutschland in den vergangenen Jahren auf 47 Quadratmeter gewachsen und stößt jetzt an ihre Grenzen.“
Noch sind die Möglichkeiten in Deutschland rar, in einem Tiny House zu wohnen. Aber das Geschäft mit den Mini-Eigenheimen wächst rasant. Nach der ersten deutschsprachigen Tiny-House-Studie, die im März veröffentlicht wurde, liegt das Marktpotenzial bis 2022 bei etwa 3,9 Milliarden Euro. Erstellt wurde sie von Livee, einem Tiny-House-Dienstleister, in Kooperation mit dem Tiny House Verband Deutschland. Grundlage ist neben umfangreichen Recherchen und Experteninterviews eine Umfrage unter 24 der 65 Tiny-House-Hersteller hierzulande.
Tiny Houses dürfen nicht einfach aufgebaut werden
Die rechtliche Lage ist allerdings komplex: Auch wenn ein Tiny House in der Regel nur zwischen 15 und 40 Quadratmetern Wohnfläche hat, kann man es nicht einfach irgendwo auf eine freie Fläche stellen und einziehen. Das Gesetz unterscheidet zwischen Fahrzeug und Häusern.
Während ein Tiny House auf Rädern in Deutschland als Fahrzeug gilt und wie ein Wohnwagen etwa auf einem Campingplatz angemeldet werden kann, zählt ein Tiny House auf festem Boden als Wohnhaus. Dann greift die Landesbauordnung, die bestimmte Forderungen an Wohnraum stellt, wie etwa, dass eine Dusche und eine Toilette vorhanden sind, es einen zweiten Rettungsweg gibt, und ausreichend Raumhöhe gegeben ist. Dazu kommen die Vorgaben aus dem Baurecht der einzelnen Kommunen.
„Noch begehrter als ein Tiny House ist im Moment das Grundstück, auf das man es stellen kann“, fasst ein Insider die Situation zusammen. Im vergangenen Jahr sind, auch durch die wachsende Landlust im Zuge der Corona-Pandemie, mehrere Projekte rund um Hamburg entstanden.
Unter anderem gibt es südwestlich von Bad Segeberg inzwischen 17 Tiny Houses auf einem Campingplatz in Wittenborn am Mözener See. Am Itzstedter See östlich von Henstedt-Ulzburg soll eine größere Siedlung auf einem ehemaligen Campingplatz für 65 nachhaltig gebaute Einheiten entstehen. Allerdings stockt das Projekt, weil ein Sielantrag von Hamburg Wasser bislang nicht genehmigt wurde. Aktuell sind daher nur zehn Plätze verfügbar.
Im ostholsteinischen Süsel wie auch im westlichen Mecklenburg bei Vielank sind Planungen in Gang. In Winsen an der Luhe gibt es Überlegungen für den Eckermannpark (Teil des ehemaligen Landesgartenschaugeländes).
In der Regel sind die Tiny Houses in diesen Siedlungen als Wochenend- oder Feriendomizil für die eigene Nutzung gedacht – und können bewegt werden. Immer häufiger gibt es auch touristische Angebote für die temporäre Vermietung an besonderen Orten, etwa von Green Tiny Houses, Tiny Escape, im Tiny Haus Dorf Wendland in Gartow oder im Destinature Dorf in Hitzacker.
Auch in der Nähe des Schaalsees entsteht ein Tiny-House-Dorf
Daneben wächst der Trend, die Kleinsthäuser auch als dauerhafte Wohnmöglichkeit nutzen zu wollen. So entsteht in der Nähe des Schaalsees, in Hollenbek, gerade das Tiny-House-Dorf Lilleby. Unter anderem in Bad Segeberg, Stade und Lüneburg gibt es Pläne oder zumindest Überlegungen, spezielle Baugebiete für die Kleinsthäuser auszuweisen. Allerdings sind die Genehmigungsbehörden im Moment selbst offenbar noch unsicher. Beobachter gehen von jahrelangen Verfahren aus.
Ein Vorreiter im Norden ist die Stadt Hannover, wo die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Hanova gerade vier Tiny Houses im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses im Stadtteil Linden-Süd an die Mieter übergeben hat. Es gibt aber auch kritische Stimmen. „Unter ökologischen Gesichtspunkten ist die Erschließung neuer Flächen und der Bau von Eigenheimen nicht sinnvoll, in denen nur wenige Menschen wohnen können“, sagt der Hamburger Architektur-Professor Dahlgrün.
Auch bei der Tiny-House-Siedlung Elborado in Bleckede hat es mehr als zwei Jahre gedauert, bis die Baugenehmigung unter Dach und Fach war. „Wir haben viel gelernt“, sagt Daniel Lippke. Insgesamt steckt inzwischen ein hoher sechsstelliger Betrag in dem Projekt hinter dem Elbdeich.
Auch in die Planung der Häuser haben die Partner noch mal investiert und den ersten Prototyp weiterentwickelt. „Besonders Familien wollen meistens gerne einen abgeschlossenen Schlafraum für die Kinder haben“, sagt der Elborado-Manager.
Großteil der Tiny-House-Käufer kommt aus Hamburg
Nach seinen Beobachtungen kommt ein Großteil der Käufer aus Hamburg, wohnt sehr urban und ist zwischen 30 und 40 Jahre alt. So wie Justine Hartwig und Kim Nguyen, die an diesem Vormittag zu einen Besichtigungstermin angereist sind. „Wir suchen einen Rückzugsort mit viel Natur und wenig Menschen“, sagt Vertriebsmitarbeiterin Hartwig. Der erste Eindruck überzeugt: „Wir sind ernsthaft interessiert.“ Dabei spielt auch eine Rolle, dass sie ihr Tiny House kommerziell vermieten können, um so die hohen Kosten zu finanzieren.
Inzwischen gibt es sogar eine Büro-Variante
Über mangelnde Nachfrage können sich auch die Produzenten der Mini-Häuser derzeit nicht beklagen. Besonders die Nachfrage nach nachhaltig gebauten Holzhäusern steigt. So zum Beispiel beim Unternehmen Noordsk Studio in der Nähe von Flensburg, das sich 2019 gegründet hat. Das Tiny House, das Tischlermeister und Holztechniker Carl-Felix Lentz mit zehn Mitarbeitern baut, heißt „Kaat“, hat eine Grundwohnfläche von 18,5 Quadratmetern und steht auf einem Anhänger – wie ein klassisches Mobilheim.
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15 Mini-Häuser kann der Betrieb pro Jahr bauen. „Wir haben inzwischen eine Warteliste“, sagt der 34-Jährige Firmenchef. Die Kunden sind vor allem Ferienhausvermieter wie etwa Green Tiny Houses, aber auch Firmen und Endkunden. Inzwischen gibt es zudem die Büro-Variante „Micro-Kaat“ und eine Mini-Sauna. Voll ausgestattet mit Küche, Bad und norwegischem Holzofen sowie Teilmöblierung kostet das mobile Eigenheim bis zu 110.000 Euro. „Durch die Knappheit und Preissteigerungen bei Baustoffen, vor allem bei Holz, sind die Preise im vergangenen Jahr um 10.000 Euro gestiegen“, so Gründer Lentz.
Tiny House: Trend durch Corona-Krise gewachsen
Neu im Geschäft sind die Hamburgerin Bettina Laabs und Ulf Trübel, Tischlermeister aus Walsrode. Beide waren zuvor im Messebau tätig. Als im Zuge der Corona-Krise die Aufträge wegbrachen, bauten sie ihr erstes Tiny House, das sie unter dem Namen Mobilhaustraum vermarkten.
Ihr ökologisches Musterhaus mit 34 Quadratmetern Wohnfläche steht in Itzstedt am See auf dem ehemaligen Campingplatz Seerögen. Inzwischen haben sie drei ihrer mobilen Mini-Häuser, die sie auf Wunsch individuell anpassen, verkauft. Auch sie mussten ihre Preise wegen des Baustoffmangels erhöhen, von anfänglich 80.000 Euro auf 108.000 Euro. Durch diese Situation, sagt Laabs, „seien auch einige Aufträge weggebrochen. Trotzdem ist sie sicher: „Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren Häusern den Nerv treffen.“
So ähnlich sieht es auch Elborado-Gründer Daniel Lippke. „Die Sehnsucht nach dem Gegenteil vom Stadtleben ist da.“ Unterstützung kommt auch von Politik und Verwaltung der Elbgemeinde Bleckede, die sich von dem Vorhaben Rückwind für die Tourismusentwicklung verspricht. Sobald die ersten Tiny Houses hinter dem Elbdeich stehen, wollen die Häusle-Bauer um Lippke das Konzept auch anderen Kommunen anbieten. Erste Anfragen gibt es bereits.