Berlin. Die Bahn steht vor einer harten Tarifrunde mit der Lokführer-Gewerkschaft GDL. Kommt es schon in der Osterzeit zu Streiks?

Bei der Deutschen Bahn schwelt ein schwerer Tarifkonflikt. Die beiden Bahngewerkschaften sind tief zerstritten. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sieht sich vom Tarifeinheitsgesetz bedroht und will der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft Mitglieder (EVG) abjagen. GDL-Chef Claus Weselsky rechnet im Interview mit dem Bahnmanagement ab und spricht über Streiks zu Ostern.

Sie kritisieren Boni-Gier in der Führungsetage der Bahn, beleidigen ihre Konkurrenzgewerkschaft EVG und fordern die Zerschlagung des Konzerns. Warum schießen Sie verbal so scharf?

Claus Weselsky: Die Schärfe hat die Bahn reingebracht, in dem sie uns im November 2020 im Rahmen der Schlichtung den Stuhl vor die Tür setzte. Sie lehnte es ab, einen Grundsatztarifvertrag, wie wir ihn 2015 bis 2020 hatten, fortzusetzen. Ich gehöre nicht zu denen, die, wenn sie links eine geknallt kriegen, die rechte Backe auch noch hinhalten. Stattdessen wollten die Arbeitgeber eine trilaterale Vereinbarung zwischen EVG, Bahn und GDL. Die Bahn hat deutlich gemacht, dass wir unsere Tarifverträge so weit zurückfahren sollten, dass sie denen der EVG ähnlich werden. Andernfalls wollte sie das Tarifeinheitsgesetz (TEG) anwenden. Das wäre ein Ende der Pluralität von Tarifverträgen.

Sie fordern 4,8 Prozent mehr Lohn, eine Corona-Prämie und viele weitere Verbesserungen. Die Bahn beziffert das Gesamtpaket auf 46 Prozent mehr Personalkosten. Ist das nicht ein bisschen dicke aufgetragen?

Weselsky: In dieser Tarifverhandlungsrunde reden wir nicht nur über 4,8 Prozent oder, wie die Deutsche Bahn ausgerechnet hat, 46 Prozent Einkommenssteigerung, sondern wir reden in erster Linie über einen Sanierungstarifvertrag mit Sparmaßnahmen in der Führungsetage. Wenn der Konzern schlecht gemanagt wird, haben die Führungskräfte ihre Boni abzugeben. Wenn das nicht gewährleistet ist, gibt es für diejenigen, die die Eisenbahn draußen am Fahren halten, keinen Grund für einen Sanierungsbeitrag. Wasser predigen und Wein trinken geht nicht mit uns.

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Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass in einem Betrieb immer nur der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Das ist nur selten die GDL. Wie geht es für Sie weiter?

Weselsky: Die Mehrheit stellen wir in einem größeren Teil der 65 Betriebe, in dem beide Gewerkschaften aktiv sind. Der erste Schritt ist nun, dort mehr Mitglieder zu bekommen. Der zweite Schritt besteht darin, in den weiteren 120 Betrieben der Infrastruktur, also dem Netz, Station & Service, Energie oder den Instandhaltungswerken, Mitglieder zu werben. Eine Mehrheit werden wir dort nicht heute oder morgen, aber übermorgen erreichen. Das klingt verrückt, ist es aber nicht. Von den angeblich 185.000 Mitgliedern der EVG sind ungefähr zwei Drittel Rentner und Pensionäre. Dann bleiben noch rund 65.000 aktive Mitglieder in den Betrieben. Von den 35.000 GDL-Mitgliedern sind exakt nur 20 Prozent Rentner und Pensionäre. Und die konzentrieren sich in den 65 Wahlbetrieben. Und jeder Tag, der hier vergeht, bis es zur Tarifkollision kommt, ist ein Tag für die GDL, weil mehr Mitglieder bei uns eintreten. Bei der anderen Seite treten Mitglieder aus. Der Frust der EVG-Mitglieder steigt jeden Tag an. Was glauben Sie, wie sich die Eisenbahner die Augen reiben, wenn sie lesen, wie sich ihre Führungskräfte die Taschen vollstopfen, während die EVG 2020 eine Nullrunde abschließt? Die wissen sofort, was da nicht stimmt und wer es verpennt hat.

Gewerkschaftschef Claus Weselsky hat mehrfach den Bahnverkehr in Deutschland stillstehen lassen. Bald könnte es wieder so weit sein.
Gewerkschaftschef Claus Weselsky hat mehrfach den Bahnverkehr in Deutschland stillstehen lassen. Bald könnte es wieder so weit sein. © dpa | Sonja Marzoner

Erst einmal zählt das TEG. Selbst wenn Sie einen Abschluss erreichen, wird er womöglich gar nicht angewandt.

Weselsky: Das TEG ist unseres Erachtens verfassungswidrig. Das Zählverfahren, wer wo die Mehrheit hat, ist gerichtliches Neuland. Schauen wir mal, was dabei herauskommt. Vielleicht findet sich ein mutiger Arbeitsrichter, der den Fall gleich dem Bundesverfassungsgericht vorlegt.

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Die Bahn ist für eine Abmachung aller drei Seiten. Ist diese Lösung schon vom Tisch?

Weselsky: Bevor wir die eigentlichen Verhandlungen aufnehmen, müssen wir dies klären. Wir bieten der EVG Gespräche darüber an. Ist eine trilaterale Vereinbarung nicht möglich, schlägt die Stunde der Wahrheit. Die Tarifverhandlungen starten dann in dem Wissen, dass die Verträge in Betrieben ohne Mehrheit untergehen.

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Müssen sich die Bahnkunden dann zu Ostern auf Streiks einstellen?

Weselsky: Bis jetzt wurde ja nicht einmal verhandelt. Streiks finden erst statt, wenn die Gespräche zu keinem Ergebnis führen. Ich habe den Eindruck, die Bahn hätte gerne einen Streik, um den Eindruck zu erwecken, wir könnten gar nicht genug kriegen. Beantworten kann ich die Frage nach einem Arbeitskampf heute nicht. Dass die GDL streiken kann, weiß jeder. Klar ist auch: Mit uns wird es keine lineare Erhöhung um 1,5 Prozent geben. Die Eisenbahner draußen halten den Verkehr aufrecht und deswegen haben sie mehr verdient als 1,5 Prozent.

Die Doktrin des Vorstands waren zuletzt immer wirkungsgleiche Tarifverträge mit beiden Gewerkschaften. Ist diese Zeit jetzt vorbei?

Weselsky: Die Rechnung ist nie aufgegangen. Über Jahre hat der Vorstand unterschiedliche Verträge entwickeln lassen. Sie zielen jetzt auf unsere, weil unsere besser und teurer sind. Das ist legitim. Unsere Tarifverträge kosten mehr und bilden in ihrer inneren Qualität die betrieblichen Erfordernisse und persönlichen Bedürfnisse unserer Mitglieder ab. Das wird von unserer Basis anerkannt und notfalls auch erstreikt.

Wirkt ein Streik während der Corona-Pandemie mit wenigen Fahrgästen in den Zügen überhaupt?

Weselsky: Es wirkt sicher. Bis dahin werden auch die politisch Verantwortlichen mitbekommen, welche Misswirtschaft hier betrieben wird. Da zeichnet sich eine gewisse Veränderung ab. Die Politik des Eigentümers Bund mit seiner Deutschen Bahn AG ist so auf Dauer nicht tragbar. Es ist ein Milliardengrab, das immer größer wird. Und das Management legt keine ordentliche Rechenschaft ab.