Berlin. Nach monatelangem Corona-Stillstand rollt der grüne Flixtrain nun wieder – mit mehr Fahrten als vor der Pandemie und neuen Strecken.
Freitagmorgen um 8.45 Uhr, Hauptbahnhof München: Auf einem der vielen Gleise startet ein grasgrüner Zug nach Frankfurt. Für den Flixtrain ist es eine Premiere auf dieser Route. Nicht die erste in diesen Tagen. Beim seit dem 20. Mai laufenden Neustart nach monatelanger Corona-Pause hat der Rivale der Deutschen Bahn sein Streckennetz verdoppelt, von drei auf sechs Linien, quer durch die Republik. So ein Angebot hat zuvor keine andere Privatbahn zustande gebracht.
Mit einem frisch renovierten Wagenpark verbindet der Flixtrain zudem Berlin und Hamburg mit Köln, Berlin mit Stuttgart sowie durch eine Nachtlinie Hamburg mit München. Auf der Paradestrecke Hamburg–Berlin–Leipzig rollen die Züge jetzt bis zu vier Mal je Richtung.
Auf bestehenden Strecken sind die Züge bis zu eine Stunde schneller unterwegs. „Mit dem Angebot zeigen wir, dass wir Teil der Mobilitätswende sein können“, sagt Flixbus-Mitgründer und Geschäftsführer André Schwämmlein im Gespräch mit unserer Redaktion.
Nachdem das erst 2013 gegründete Unternehmen dem Fernbus in Deutschland zum Durchbruch verholfen hat, lässt es seit 2018 Züge rollen. „Ich glaube, wir sind die beste und einzige Chance, dass es jemals einen erfolgreichen Wettbewerber im Eisenbahnfernverkehr in Deutschland geben wird“, sagt Schwämmlein nicht ohne Stolz.
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„Wir wollen nicht den ICE kopieren“
Er will auf der Schiene ein „echtes alternatives Angebot“ etablieren. „Wir wollen nicht den ICE kopieren und der Deutschen Bahn auch keine Passagiere wegnehmen“, sagt er. Wenn im Jahr 2030 wie vom Bund gewünscht 300 Millionen Reisende in Fernzügen unterwegs sein sollen, ist Schwämmlein überzeugt, „dann wird das nur mit Flixtrain gehen – die DB alleine schafft das nicht.“ Mehr zum Thema:
Mit dem Neustart nach der Corona-Pause ist er zufrieden. Reisende sitzen jetzt ausschließlich in modernisierten und einheitlichen Großraumwaggons mit neuen Sitzen. Schwämmlein spricht von einem „großen Qualitätssprung“.
Ein Restaurant oder eine erste Klasse gibt es nicht. Es wurde „alles rausgelassen, bei dem wir glauben, dass es viele Kunden nicht brauchen“. Das Konzept funktioniere. „Die Kunden nehmen das Produkt sehr gut an. Die Nachfrage wächst Woche für Woche, der Betrieb läuft mit dem vereinheitlichten Wagenpark stabil.“
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200 Fernbushaltestellen sind wieder am Netz
Auch auf der Straße rollt der Flixbus wieder – noch mit einem reduzierten Streckennetz, was etwa am Regel-Wirrwarr für Grenzübertritte liege, und mit Hygienekonzept: Lüftungssysteme mit Frischluft, Maskenpflicht und Desinfektion der Fahrzeuge. „In Deutschland haben wir die Hälfte aller Haltestellen wieder am Netz – rund 200 – und ein Drittel der Fahrten gegenüber dem Vorkrisenniveau“, sagt der Mitgründer.
Zwei Mal standen die grünen Busse und Züge wegen der in der Corona-Pandemie eingebrochenen Nachfrage monatelang still. „Die vergangenen 15 Monate waren eine sehr große Herausforderung für Flixbus und die ganze Branche“, sagt Schwämmlein.
Er zählte 2020 rund 50 Prozent weniger Fahrgäste als 2019. „Trotzdem haben wir die Krise mit einer sehr vorsichtigen und vorausschauenden Planung gut überstanden.“ Das Unternehmen betreibt die Busse und Züge jedoch nicht selbst. Das erledigen Partnerunternehmen. Flixbus kümmert sich um Netzplanung und Ticketverkauf.
650 Millionen Dollar für weiteres Wachstum
Die Zeit hat das einstige Start-up genutzt. „Wir haben in den Monaten des Stillstands an Projekten gearbeitet, die in den vergangen acht Jahren des starken Wachstums zu kurz gekommen sind“, sagt Schwämmlein. Viel getan habe sich intern etwa in den Bereichen Technologie und Automatisierung.
„Durch schlankere Prozesse haben wir unsere Buchungsplattform auf ein neues Level gebracht. Damit sind wir gut vorbereitet, um in den nächsten Jahren weiterzuwachsen“, erläutert er.
Soeben hat das Unternehmen mit Sitz in München in einer Finanzierungsrunde 650 Millionen Dollar (545 Millionen Euro) eingesammelt. Für Schwämmlein „ein klares Statement, dass Investoren und Partner an uns glauben“. Das Geld soll ins Wachstum fließen – etwa mit dem Flixtrain. „Wir wollen weiterwachsen“, sagt er.
Aber: „Wo und wie wir unser Angebot ausbauen werden, ist derzeit schwer zu sagen.“ Die sogenannte Trassenvergabe für 2022, Zeitfenster für Zugfahrten, läuft gerade. Grundsätzlich gehe es darum, die Metropolregionen weiter untereinander zu vernetzen. „Da haben wir noch Pläne für die nächsten Jahre.“ Auch soll die Zahl der Fahrten auf den jeweiligen Linien weiter steigen.
Flixbus nimmt es in den USA mit Greyhound auf
Mit dem Bus will das Münchner Unternehmen in den USA, Portugal und Großbritannien nichts anderes als Marktführer werden. In Amerika war Flixbus Mitte 2018 gestartet. Schwämmlein nimmt es dort mit dem traditionsreichen Platzhirsch Greyhound auf.
Mit Erfolg. „Wir sind mit der Entwicklung zufrieden, haben aber noch einen langen Weg vor uns.“ In der Pandemie habe sich Flixbus von Platz drei auf zwei vorgearbeitet. Das Geschäft laufe bereits wieder. „Die Zahlen liegen sogar über dem Vorkrisenniveau.“ Er hofft, dass sich auch die Nachfrage in Deutschland so entwickelt.
Daheim in Deutschland haben es andere auf den Marktführer Flixbus abgesehen. Blablacar aus Frankreich fährt seit dieser Woche wieder – und zwar mit mehr Bussen als vor dem Corona-Stillstand: unter anderem 134 Fahrten pro Woche zwischen Berlin und Hamburg sowie 75 zwischen Berlin und München. Flixbus-Gründer Schwämmlein sieht’s gelassen: „Wir sind aus Wettbewerb geboren. Und von daher ist es vollkommen in Ordnung, dass es Wettbewerb gibt.“
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Offen für Fernbusse mit Öko-Antrieb
Flixbus bewirbt seine Fernbusse als besonders umweltfreundliche Art des Reisens. Beim Abschied vom Verbrennungsmotor will das Unternehmen vorne mit dabei sein. „Wenn es einen Punkt gibt, an dem wir sagen können, ab jetzt macht ein Elektro-, Wasserstoff- oder Biogas-Antrieb Sinn, dann werden wir sehr schnell die Flotte umstellen können“, sagt Schwämmlein.
Eine Umstellung könne bis 2035 gelingen. Wenn die nächste Bundesregierung mitspielt. Dass die Mehrwertsteuer auf Bahntickets gesenkt wurde, nicht aber für den Fernbus, müsse korrigiert werden. Auch müsse ausformuliert werden, wie die Mobilitätswende funktionieren soll. Schwämmlein: „Einfach nur der Deutschen Bahn mehr Geld überweisen – das wird nicht ausreichen.“