Hamburg. Hamburger Importeure klagen Schifffahrtsunternehmen wegen zu hoher Preise und unzuverlässigen Transporten an.
Die wegen der Corona-Pandemie durcheinandergewirbelten Transportketten haben den Reedereien weltweit in die Hände gespielt: Da aufgrund der wieder stark wachsenden Nachfrage an Produkten, Schiffsstellplätze knapp sind, haben sie die Transportpreise, die sogenannten Frachtraten, deutlich verteuert. Einige Hamburger Importeure beklagen aber, dass sie für die Überführung eines Containers von China nach Hamburg inzwischen das Zehnfache im Vergleich zum Vor-Corona-Zeitraum bezahlen müssen.
Die Importeure kritisieren eine wachsende Unzuverlässigkeit der Schifffahrtsunternehmen und mutmaßen, dass diese die Ladung aufgrund der knappen Transportkapazitäten in den chinesischen Häfen für lukrativere Aufträge stehen lassen. „Die Reedereien haben eine beherrschende Stellung. Sie können sich aussuchen, welche Fracht sie mitnehmen und welche Container erst einmal warten müssen“, sagt Andreas Traut, Geschäftsführer der Hamburger Firma Decotex.
Knappheit bei Fahrrädern, Möbeln und Haushaltsgeräten
Nach der Knappheit bei Fahrrädern, Möbeln und Haushaltsgeräten wie Kühlschränken fehlen nun auch Rohstoffe für die Lebensmittelindustrie, etwa für Marmelade. „Die Situation ist extrem besorgniserregend“, beklagt der Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie.
Der Präsident des norddeutschen Groß- und Außenhandelsverbands AGA, Hans Fabian Kruse, ruft zu „mehr Augenmaß“ auf: „Niedrige Frachtraten und ein Überangebot an Schiffsraum haben den Reedereien das Leben zwölf Jahre lang schwer gemacht. Jetzt nutzen sie die Gunst der Stunde“, sagte er dem Abendblatt. „Corona, Lieferschwierigkeiten und weitere Faktoren haben eine Angebotssituation geschaffen, unter der nun die Außenhändler sehr leiden. Jeder Transport ist aktuell mit einem enormen Mehraufwand, terminlichen Unwägbarkeiten und insbesondere stark gestiegenen Kosten verbunden.“
Kruse warnt vor steigenden Preisen im Einzelhandel
Vor allem Händler mit festen Lieferverpflichtungen gerieten in arge Bredouille, so Kruse. Er warnt vor steigenden Preisen im Einzelhandel: „Dass die Containerraten durchschnittlich um das Sechsfache gestiegen sind, wird zwangsläufig auch der Endverbraucher zu spüren bekommen. Der deutsche Außenhandel wünsche sich daher mehr Augenmaß bei allen Beteiligten und hoffe mittelfristig auf eine Normalisierung der Situation“, sagte Kruse.
Es ist dabei nur wenige Tage her, da überraschte die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd die Börse mit der Anhebung ihrer Gewinnerwartungen für das laufende Jahr. Es war die dritte Meldung dieser Art innerhalb von neun Monaten. Hamburgs Traditionsreederei rechnet für das Gesamtjahr mit einem operativen Ergebnis vor Zinsen und Steuern von 6,2 bis 7,9 Milliarden Euro. Das entspräche einer Verfünf- bis Versechsfachung des Gewinns innerhalb eines Jahres, denn das operative Ergebnis 2020 hatte 1,3 Milliarden Euro betragen. Und auch das war schon Rekord.
Der Gewinnsprung kommt nicht von ungefähr: Wer sieht, wie sich die Frachtraten – also die Transportpreise auf den 241 Schiffen der Hapag-Lloyd-Flotte – entwickelt haben, der kann den Geldsegen für das Unternehmen nachvollziehen. Diese Preise wurden nämlich stark angehoben. Hapag-Lloyd agiert dabei nicht anders als die Konkurrenz. Denn nahezu alle Reedereien haben ihre Transportpreise jüngst gewaltig in die Höhe geschraubt und schreiben derzeit operativ gigantische Gewinne.
Hamburgs Importeure müssen deutlich gestiegene Transportkosten kompensieren
Unter dieser Politik leiden Hamburgs Importeure, die deutlich gestiegene Transportkosten kompensieren müssen, wie Peter S., ein kleiner Hamburger Importeur von Rohstoffen aus China für die deutsche Lebensmittelindustrie. Seiner Meinung nach nutzen die Reedereien ihre Marktmacht schamlos aus.
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Er möchte nicht mit vollem Namen genannt werden, weil er dann Repressalien durch die Schifffahrtskonzerne befürchtet. Aber in seiner Kritik ist er deutlich: „Die Reedereien ziehen den Verladern das Fell über die Ohren und mehr als das: Die sind dabei ganze Branchen lahmzulegen – und es interessiert sie nicht mal. Hier ist ein Kartell am Werk, das seine Marktmacht gnadenlos ausnutzt.“
Importeur schimpft über Rücksichtslosigkeit der Reedereien
Der Importeur begründet den Vorwurf zum einen mit den Transportpreisen, die sich versechs- bis verzehnfacht hätten. Zum anderen schimpft er über Rücksichtslosigkeit der Reedereien, die sich selbst über geltende Verträge hinwegsetzen würden. „Ich hatte beispielsweise Aprikosenpüreekonzentrat aus China für einen deutschen Marmeladenhersteller geordert. Erst musste ich wochenlang auf einen Container warten.
Als der beladen und im Hafen von Tsingtao aufs Schiff gesetzt war, fuhr dieses nicht nach Europa, sondern zunächst nach Korea, also nach Osten. Auf dem Rückweg von Korea hielt das Schiff wieder in Tsingtao, und unser Container wurde wieder abgeladen.“ Die Gründe kennt S. nicht: „Wahrscheinlich hat jemand für den Stellplatz mehr gezahlt“, mutmaßt der Importeur. Er hat sich ans Kartellamt gewandt und einen Brief an Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) geschrieben. Bisher ohne Antwort.
Corona-Krise hat die Transportwege auf den Weltmeeren erheblich gestört
Auslöser der Situation, unter welcher viele Importeure leiden, ist die Corona-Krise, die die Transportwege auf den Weltmeeren erheblich gestört hat, den Reedereien aber jetzt in die Hände spielt. Die festen Fahrpläne der beladenen Containerschiffe sind durcheinandergeraten, weil wegen des Lockdowns die Produktion vielerorts stockte und die Nachfrage schlagartig zurückging. Seitdem erholt sich die Weltwirtschaft – allerdings nicht gleichmäßig. Das führt dazu, dass sich an einigen Orten leere Container stapeln, die anderswo fehlen. Zudem gibt es nicht genug Schiffsraum, um die Transportnachfrage zu bedienen.
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„Das Problem der schlecht verteilten Container ist vorhanden. Ein viel größeres Problem ist es aber, einen Stellplatz auf einem Schiff zu ergattern“, sagt Andreas Traut, Geschäftsführer der kleinen Hamburger Firma Decotex. Sie importiert Stoffhüllen für Bettdecken aus China, die dann hier mit Federn befüllt werden. „Die Nachfrage ist nach dem Corona-Lockdown über alle Produktgruppen hinweg so stark gewachsen, dass die Schiffskapazitäten, die in den letzten Jahren sehr deutlich reduziert wurden, nicht mehr ausreichen“, sagt Traut. „Das bedeutet, dass wir uns auf lange Wartezeiten einstellen und unsere Kunden vertrösten müssen.“
Beherrschende Stellung der Reedereien
Die Reedereien hätten in der Hinsicht eine beherrschende Stellung. Sie könnten sich aussuchen, welche Fracht sie mitnehmen und welche Container warten müssen. „Die Frachtraten sind in die Höhe geschossen: Sie haben sich im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit verzehnfacht.“ Diese Preiserhöhungen würden auch die Verbraucher spüren und die Unzuverlässigkeit vieler Reedereien mache die Planbarkeit von Lieferungen unmöglich. „Und das erleben bereits jetzt viele Kunden und die Konsumenten.“
Mitunter wird sogar Fracht unterwegs liegen gelassen. „Uns selber ist es in diesem Jahr mehrfach passiert, dass wir Container erwarteten, die in Shanghai für den Hamburger Hafen verladen wurden und bei einem Zwischenstopp des Schiffs in Hongkong und Singapur wieder abgeladen wurden“, sagt Traut. So komme es zu extremen Verzögerungen bei den Lieferungen.
Hapag-Lloyd hat seine Flotte ausgebaut
„Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die starke Nachfrage zu bewältigen und die Bedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen“, kontern die Reedereien. So hat etwa Hapag-Lloyd im vergangenen Jahr zusätzliche Kapazitäten für rund 300.000 Standardcontainer (TEU) gekauft oder geleast und seine Flotte ausgebaut.
„Im Hinblick auf unser Netzwerk maximieren wir die verfügbaren Kapazitäten, wo immer es möglich und sinnvoll ist, lassen Häfen aus, um verlorene Zeit aufzuholen, beschleunigen unsere Schiffe, leiten sie in andere Häfen um und passen die Rotationen an“, so ein Unternehmenssprecher. „Außerdem haben wir neue Schiffe gechartert und zwölf hochmoderne, hocheffiziente neue Schiffe bestellt, die unsere Gesamtkapazität mittelfristig um weitere 280.000 TEU erhöhen werden.“
Hapag-Lloyd weist Vorwurf des Frachtraten-Wuchers zurück
Den Vorwurf des Frachtraten-Wuchers weist Hapag-Lloyd zurück: „Der nachfragebedingt sehr starke Frachtratenanstieg betrifft insbesondere den Spot-Markt, also den Teil des Marktes, der über tagesaktuelle Preise läuft. Der größte Teil unseres Geschäfts läuft aber über langfristige Vertrags- und Volumenvereinbarungen“, so der Sprecher. Dementsprechend gebe es sehr viele Kunden, die auch heute noch zu deutlich niedrigeren Preisen verschifften. „Die durchschnittliche Frachtrate bei uns lag im ersten Quartal 2020 bei 1094 US-Dollar pro TEU und im ersten Quartal 2021 bei 1509 US-Dollar. Das entspricht einem Anstieg von rund 38 Prozent innerhalb eines Jahres.“