Berlin. Am Wochenende wäre die Leipziger Buchmesse gestartet. Doch das Messegeschehen liegt brach. Die Branche versucht, sich neu zu erfinden.
Normalerweise würden die Leipziger Messehallen am kommenden Wochenende aus ihren Nähten platzen. Es würde in Leseecken geschmökert werden, Autorinnen und Autoren würden in Arenen miteinander diskutieren und bunt verkleidete Comic- und Manga-Fans würden für Aufsehen sorgen. Denn ab Donnerstag hätte die Leipziger Buchmesse starten sollen, seit Jahren ein Publikumsmagnet mit mehr als 285.000 Messebesucherinnen und Messebesuchern pro Jahr.
Doch der Messebetrieb steht auch nach einem Jahr Pandemie weitestgehend still. Die Leipziger Buchmesse wurde bereits im Januar abgesagt, immerhin soll ein alternatives Programm mit dem Titel „Leipzig liest extra“ stattfinden. Mehr als 300 Veranstaltungen sind geplant, von Lesungen über Kunstausstellungen bis hin zur Verleihung des Leipziger Buchpreises.
Vieles wird digital stattfinden, manche Veranstaltungen vor Ort – mit strenger Testpflicht und stark begrenzter Personenzahl. Die quirlige Ausgelassenheit, die sonst in diesen Tagen über der Messestadt liegt, wird wohl nur bedingt spürbar sein.
60 Prozent der geplanten Messen sind bereits abgesagt
Eigentlich wäre das letzte Mai-Wochenende ein Höhepunkt für Messegänger gewesen. Neben der Leipziger-Buchmesse hätte in Oberhausen eine Whiskymesse stattgefunden und in Hamburg die Motorrad Tage. Alle Veranstaltungen wurden abgesagt. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie steht das Messeland Deutschland still.
Nur kurz, zwischen September und November des vergangenen Jahres waren Messen vor Ort möglich, 22 Messen fanden laut des Verbands der deutschen Messewirtschaft AUMA statt. Seitdem herrscht der Lockdown – und Tristesse in der Branche. Auf 40 Milliarden Euro beziffert der AUMA auf Basis einer Studie des Münchener Ifo-Instituts den gesamtwirtschaftlichen Schaden. 60 Prozent der 380 geplanten Messen in diesem Jahr seien bereits abgesagt.
231.000 Jobs hängen an der Branche
Die Aussichten sind weiter ungewiss. „Jeder Tag ohne Signal bedeutet ein steigendes Risiko, dass Messen nicht stattfinden können. Das bringt nicht nur Messeveranstalter, sondern auch das daran hängende Ökosystem von Messebauern, Hotellerie, Gastronomie, Transport und Logistik in immer größere Existenznot“, sagte AUMA-Geschäftsführer Jörn Holtmeier unserer Redaktion.
Wie viele Messeveranstalter durch die Pandemie pleite gehen werden, kann der Branchenverband AUMA noch nicht sagen. An der Branche hängen nach Verbandsangaben rund 231.000 Arbeitsplätze.
Die Suche nach digitalen Alternativen
Nicht alle Messeveranstalter wollen die Absage ihrer Ausstellung akzeptieren, sie suchen neue Wege. Die Hannover Messe, größte Industriemesse der Welt, fand in diesem Jahr digital statt. 1800 Aussteller nahmen daran teil, nicht einmal ein Drittel der Vorjahre. Und dennoch: Es ist ein Versuch, weiterzumachen, ein Schritt in Richtung Normalität.
So sieht es auch Melanie Vogel. Die 47-Jährige ist Initiatorin der women&work, der größten europäischen Karriere-Frauenmesse, die an diesem Wochenende in Frankfurt am Main hätte stattfinden sollen. Nachdem die seit 2011 jährlich stattfindende Messe bereits im vergangenen Jahr ins Wasser fiel, sollen sich die Besucherinnen an diesem Wochenende digital mit potenziellen Arbeitgebern vernetzen.
Ein Schritt zurück auf Anfang
„Das vergangene Jahr war ein Schlag ins Gesicht. Binnen 48 Stunden ist unser kompletter Jahresumsatz weggebrochen“, berichtet Vogel unserer Redaktion. Für gewöhnlich beläuft sich der Jahresumsatz der Recruiting-Messe auf rund eine halbe Million Euro.
Vogel befand sich mit ihrer Firma im Überlebenskampf, fror die Geschäftsführergehälter ein, fuhr die Ausgaben herunter. „Die Zukunft stand auf dem Spiel“, sagt die Unternehmerin, die sich vor 22 Jahren zusammen mit ihrem Mann selbstständig machte und seitdem mehr als 130 Messen und Kongresse organisierte. Nun wagt die Unternehmerin einen digitalen Neustart.
Es ist ein Schritt zurück auf Anfang. Als vor elf Jahren die Frauen-Karrieremesse erstmals stattfand, kamen rund 60 Unternehmen und 3000 Besucherinnen, seitdem hatte sich die Zahl fast verdreifacht. Nun haben sich rund 2500 Besucherinnen angemeldet, 68 Unternehmen sind dabei, darunter Dax-Größen wie SAP, BMW oder die Deutsche Telekom.
Dax-Konzerne wie BASF setzen auf digitale Messen
Auch der weltgrößte Chemiekonzern BASF will auf einem Online-Stand mit Besucherinnen ins Gespräch kommen. „Einer der Vorteile von virtuellen Karrieremessen ist natürlich, dass Interessierte und Bewerber weltweit unkomplizierter und flexibler an Jobmessen und ähnlichem teilnehmen können, wenn sie nicht erst anreisen müssen“, sagte Marc Schröder, Leiter der BASF-Talentakquisition, unserer Redaktion.
Der Ludwigshafener Chemieriese habe daher zuletzt verstärkt auf digitale Messen gesetzt, perspektivisch gehe man von einem Mix aus Online- und Präsenzveranstaltungen aus, erläutert Schröder. „Denn wir haben festgestellt, dass trotz aller neuer digitaler Formate der direkte persönliche Austausch bei den Bewerbern weiterhin sehr gefragt ist.“
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Zweifel am digitalen Format bleiben
Nicht alle Unternehmen springen auf das digitale Angebot an. Einige Firmen haben sich zurückgezogen, etwa weil sie durch die Pandemie derart gebeutelt sind, dass sie derzeit niemanden einstellen können oder warten wollen, bis wieder analoge Messen möglich sind, berichtet Messeveranstalterin Vogel. Sie legt große Hoffnungen in das neue Format. „Wenn wir durch äußere Umstände gezwungen werden, diesen Weg zu gehen, dann nutzen wir diese Chance auch.“
Während sich die Veranstalter der Hannover Messe einig waren, dass eine reine Online-Messe keine Zukunft hat, ist Vogel anderer Meinung. „Die Unternehmen stellen fest, dass sie Kosten sparen können: Anreise, Marketingkosten, die Übernachtungskosten im Hotel und die Kosten für die Messebauer – all das fällt weg. So lassen sich die Ausgaben mindestens um 80 Prozent reduzieren“, rechnet sie vor. Hinzu kommt: „Viele Messebauer werden die Zeit vermutlich nicht überstehen. Diejenigen, die bleiben, werden die Preise erhöhen.“
Die neuen Messebauer sind Tech-Firmen
Es kommen aber auch neue Messebauer hinzu. Das sind nicht mehr die klassischen Handwerksbetriebe, die Bühnen aus Holz schnitzen. Es sind IT-Experten, die digitale Räume programmieren. Die women&work wird beispielsweise in den digitalen Messeräumen ausgetragen, die das Berliner Unternehmen Trember geschaffen hat.
Besucher können ihre Avatare durch digitale Räume steuern. Nähern sie sich Vortragenden, hören sie diese lauter, entfernen sie sich, werden die Stimmen leiser. Wie im echten Leben. Zwei Nutzer können sich auch in einer Ecke des virtuellen Raumes treffen und dort vertrauliche Gespräche führen. Visitenkarten werden digital getauscht.
Ein Konzept, das offenbar Anklang findet. „Die Firmen rennen uns die Bude ein“, sagt Trember-Geschäftsführer Nikolai Riesenkampff, dessen Sohn Jonathan Streubel die App vor zwei Jahren mit gerade erst 16 Jahren als Kommunikations-Alternative zu Whatsapp, Facebook und Co entwickelt hat. Riesenkampff, der bereits den Zahlungsdienstleister Skrill gegründet hat und zwischenzeitlich Aufsichtsratsvorsitzender des 1. FC Kaiserslautern war, baute die App mit seinem Team zu Beginn der Corona-Krise um.
Messeverband will Brücken zwischen digitaler und analoger Welt bauen
Riesenkampff ist davon überzeugt, dass digitale oder zumindest hybride Events in Zukunft bleiben werden. Wie beim klassischen Messebau sei man flexibel, was die Raumgestaltung angehe, könne zugleich aber problemlos digitale Anwendungen integrieren. „Man kann das echte Leben so wahrheitsgetreu wie möglich darstellen – und es mit digitalen Zusatzangeboten sogar noch erweitern“, sagt Riesenkampff.
Beim Messeverband AUMA ist man skeptisch. „Nicht alles lässt sich digital darstellen: Kosmetik-, Getränke- oder Ernährungsmessen zum Beispiel werden auch künftig im Wesentlichen analog stattfinden“, sagt AUMA-Geschäftsführer Holtmeier. Es müsse darum gehen, Brücken zwischen der digitalen und der analogen Welt zu bauen. In Asien, wo Messen wieder stattfinden, seien die Präsenz-Messen gut besucht. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Messen, wie wir sie kennen, auch in Deutschland schnell wieder möglich sein können“, sagt Holtmeier.