Berlin. Corona: Wann müssen Firmen Insolvenz anmelden? Für wen gilt die Aussetzung der Antragspflicht? Insolvenzverwalter warnen Unternehmer.
Die Furcht steckt vielen Selbstständigen in den Knochen. Ihre Läden sind geschlossen. Geschäfte liegen brach, weil Messen und Events durch die Corona-Schutzmaßnahmen nicht in Sicht sind. Reichen die Rücklagen und Hilfen, um die Krise durchzustehen? Fast jeder fünfte Unternehmer bezeichnet seine Lage als existenzbedrohend. Dennoch ist eine große Insolvenzwelle trotz einer der schwersten Wirtschaftskrisen bisher ausgeblieben.
Eine absurde Entwicklung? „Die paradoxe Situation von weniger Insolvenzen in der Krise kann in erster Linie durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen und abwartendes Verhalten bei den Unternehmen erklärt werden“, sagt Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Die Krise habe viele Firmen am Ende einer langen wirtschaftlichen Boomphase erwischt, sodass viele gesund und mit finanziellen Polstern in die Krise gegangen seien.
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Insolvenzverwalter: Staatshilfen verhindern große Insolvenzwelle
Auch der Vorsitzende des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), Christoph Niering, ist überzeugt: „Solange die Politik durch Kurzarbeitergeld und hohe Hilfszahlungen den Unternehmen so starke finanzielle Unterstützung gewährt, erwarte ich keine große Insolvenzwelle. Die Insolvenzzahlen werden auf keinen Fall das hohe Niveau wie während der Finanzmarktkrise 2009 erreichen.“
Tatsächlich greift die Politik seit Beginn der Krise durch milliardenschwere Staatshilfen massiv in die Wirtschaft ein und setzt übliche Regeln außer Kraft. Eigentlich gehören Firmenaufgaben und Insolvenzen – auch wenn sie schmerzhaft sind – zu einer üblichen Marktbereinigung. „Eine Geschäftsaufgabe ist nicht immer zugleich eine Insolvenz“, unterstreicht Niering.
Seit Jahren schließen Geschäfte, weil sie keine Nachfolger finden oder keine zeitgemäßen Produkte oder Dienstleistungen mehr anbieten. „Die Corona-Krise kann jedoch für schon schwächelnde Unternehmen wie ein Beschleuniger wirken und zur Geschäftsaufgabe führen.“ Beispiele dafür seien Gastronomieketten wie Vapiano oder Maredo, die schon vor der Krise in Schwierigkeiten gesteckt hätten.
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Neue Bedürfnisse nach Corona: Unternehmen müssen ihre Gewohnheiten ändern
Der erfahrene Insolvenzverwalter befürchtet vielmehr, dass derzeit viele Betriebe durch Staatshilfen am Leben erhalten werden, die ohne diese Unterstützungen längst hätten aufgeben müssen. „Mehr als eine Pleitewelle fürchte ich, dass Unternehmer in eine Schockstarre verfallen, statt nachzudenken, mit welchem neuen Konzept sie nach der Pandemie weitermachen können“, sagt Niering, der schon seit 29 Jahren Unternehmen durch die Krise begleitet. Denn Corona werde Gewohnheiten ändern – und somit für neue Bedürfnisse und Nachfragen der Verbraucher sorgen.
Insgesamt meldeten im Jahr 2020 zwischen Januar und November 14.621 Firmen Insolvenz an – und damit 15,9 weniger als im Vorjahreszeitraum. Während der Finanzmarktkrise 2009 und 2010 waren es pro Jahr rund 26.000 Firmen.
Insolvenzverwalter: Aussetzung der Antragsfrist gilt nicht für alle Unternehmen
Ein weiterer Grund für die niedrige Insolvenzzahl basiert auf einem möglichen Irrtum. Wegen Corona hat die Bundesregierung die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags teilweise ausgesetzt – und dies bis Ende April verlängert. „Doch dies gilt keineswegs für alle, sondern sogar nur für den geringsten Teil der Unternehmen“, warnt Niering.
„Nur Firmen, die bisher noch vergeblich auf staatliche Hilfen warten und sicher sind, mit diesem Geld eine Insolvenz verhindern zu können, dürfen die Anmeldung aussetzen. Wer dagegen zahlungsunfähig ist und dies auch nicht durch mögliche Staatshilfen mehr ändern kann, müsste schon seit Oktober wieder den Gang zum Gericht antreten.“
Der Rechtsanwalt warnt vor einem bösen Erwachen: „Manche Eigentümer und Manager werden in eine Haftungsfalle hineinlaufen. Insolvenzverschleppung ist strafbar. Wer zu spät einen Antrag stellt, haftet dann mit seinem Privatvermögen“, so Niering. Schuld daran sei auch die Kommunikation seitens der Regierung, die bei der Aussetzungsfrist schlecht gelaufen sei. Nur wenige Unternehmer hätten das Kleingedruckte der Regelung gelesen. „Ich fürchte, dass sich manche durch Nichtstun unwissentlich strafbar machen.“
Nicht jeder zahlungsunfähige Betrieb muss Insolvenz beantragen
Nicht jeder Unternehmer ist verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anzumelden. Entscheidend ist nicht die Größe, sondern die Rechtsform eines Unternehmens. Rechtlich verpflichtend ist dies nur für Betriebe, die von juristischen Personen geführt werden – wie GmbHs, Aktiengesellschaften oder Vereine. Einzelkaufleute, Handwerker oder Personengesellschaften – die als OHG, KG oder GbR organisiert sind – müssen keine Insolvenzanträge stellen. Sie haften in der Regel sowieso mit ihrem kompletten Vermögen.
„Oft können diese sich direkt mit ihren Gläubigern einigen“, berichtet Niering. Bei Kneipiers kann dies beispielsweise der Vermieter oder Bierlieferant sein. „Manchmal hilft es in der Krise schon viel, wenn die Vermieter ihre Mieten reduzieren“, weiß Niering. Gleichzeitig gäbe es auch Schicksale, wo jahrzehntelang erfolgreiche Inhaber in Hartz IV abgleiten, weil sie mit ihrem Privatvermögen haften.
Insolvenzverfahren können Millionen Euro kosten
Wer ein Insolvenzverfahren vermeiden kann, spart auch Kosten. Diese richten sich jeweils nach der noch zur Verfügung stehenden Masse – also Werten wie Immobilien, Fahrzeuge, Einrichtungen, die noch vorhanden sind – und danach, ob ein Käufer gefunden werden kann. Das Honorar kann von 1000 Euro bis in die Millionen gehen.
Kleine Firmen werden meist überproportional zur Kasse gebeten: Sind noch 35.000 Euro vorhanden, so erhält der Insolvenzverwalter laut Vergütungsverordnung 40 Prozent davon – also 14.000 Euro. Je höher der Betrag, desto prozentual niedriger fallen die Honorare aus. Bei einem Mehrbetrag von bis zu 700.000 Euro werden noch 3,3 Prozent des Betrags fällig. Ein zahlungsunfähiger Caterer berichtet, dass die vorläufige und bestellte Verwalterin für sein Verfahren 60.000 Euro in Rechnung stellen will. Ein Betrag, der wehtut.
Zahl der Insolvenzverwalter reicht aus
Insolvenzverfahren können Monate, sogar mehrere Jahren dauern. Bundesweit gibt es 2113 Insolvenzverwalter, die von den Gerichten bestellt werden. Niering geht davon aus, dass die Anzahl der Insolvenzverwalter ausreicht, auch wenn die Zahl der Verfahren ansteigen sollte.
Die schönsten Momente empfindet Niering, wenn eine Sanierung gelingt und der Betrieb fortgeführt wird. „Wenn ich auf der Autobahn einen Lastwagen eines Unternehmens sehe, das vor Jahren insolvent war, freue ich mich und sage mir: Wie schön, die Spedition fährt noch.“
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