Hamburg. Hunderte Beschäftigte demonstrieren gegen geplante Umstrukturierung des Flugzeugbauers. Tausenden droht Auslagerung in Tochterfirma.

Ein Hauch FC St. Pauli ist am Dienstagvormittag um kurz nach 10 Uhr auf Finkenwerder zu hören. Der AC/DC-Rockklassiker „Hells Bells“ dröhnt aus den Boxen vor dem Osttor von Airbus. Zwar laufen nicht wie am Millerntor dazu die Kicker des Zweitligaclubs ins Stadion ein, einen Bezug zum Fußball hat die Veranstaltung dennoch.

„Rote Karte für das Management“, lautet das Motto, mit der die IG Metall und der Konzernbetriebsrat zum Protest an allen deutschen Standorten aufgerufen hat.

800 demonstrieren bei Airbus

In Hamburg sind laut Gewerkschaft 800 Menschen gekommen. Sie stehen nicht nur vor dem Tor, sondern auch hinter dem Zaun auf dem Werksgelände, wie in Corona-Zeiten üblich mit Abstand und Maske. Ihr Protest richtet sich gegen die geplante Umstrukturierung des Konzerns. Ende April hatte der Flugzeugbauer bekannt gegeben, dass man die Strukturmontage zwar als Kerngeschäft ansehe und näher an den Konzern binden wolle, aber in eine 100-prozentige neue Tochtergesellschaft auslagern möchte.

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In diese neue Firma sollen laut Airbus 1600 Hamburger Beschäftigte (Arbeitnehmervertreter sprechen von bis zu 2500) aus der Strukturmontage, das gesamte Werk in Stade mit seinen 2000 Mitarbeitern und Teile der 2009 gegründeten Tochter Premium Aerotec Group (PAG) übergehen.

Die PAG entwickelt und fertigt große Flugzeugteile. In der Strukturmontage werden die aus Aluminium und Kohlefaserwerkstoff bestehenden Rumpfschalen zu kompletten Rumpfsektionen zusammengebaut – das passiert in Hamburg. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der A320-Produktion, dem Brot- und Butterflieger des Konzerns.

Scharfe Kritik an Airbus-Führung

Auf der Rednerbühne stellt der stellvertretende Hamburger Betriebsratsvorsitzende, Sebastian Züge, die geplanten Maßnahmen in Frage. Kernkompetenzen – in einer separaten Firma bündeln? Näher ran an Airbus – durch eine separate Firma? Schnittstellen reduzieren – mit einer separaten Firma?

„Für mich macht das keinen Sinn“, sagt Züge und verweist darauf, dass nicht nur Werker betroffen seien, sondern beispielsweise auch Beschäftigte aus dem Einkauf und Programmmanagement. Damit würde Airbus alle Tätigkeiten in die neue Tochter packen, die eine eigenständige Firma brauche. „Aber wozu“, fragt Züge: „Will man diese am Ende des Tages verkaufen? Wir wissen es nicht.“ Bei den Arbeitnehmern geht die Angst herum, dass das Unternehmen zerschlagen und in Teilen verkauft werden könnte.

„Buh“-Rufe aus dem Publikum

Doch offenbar gehen die Pläne des Airbus-Managements noch weiter. „Am Montag kam der Hammer“, sagt Züge. Man habe aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass jetzt weitere 2500 Beschäftigte aus der Ausrüstungsmontage in die neue Firma wechseln sollen (das Abendblatt berichtete exklusiv). In dem Bereich werden die Rümpfe mit Elektrokabeln, Hydraulik- und Klimarohren versehen.

„Was für ´ne Schweinerei und was für ein schlechter Stil“, sagt Züge. Aus dem Publikum gibt es „Buh“-Rufe, Rasseln werden geschwungen, um den Unmut über das mögliche Vorhaben auszudrücken. Einige rote Karten werden gezückt.

Airbus-Tochter wird abgelehnt

Das Unternehmen selbst äußert sich derzeit dazu nicht. Ein Sprecher sagte lediglich, man sei in Gesprächen mit den Sozialpartnern, die man vorab nicht kommentieren möchte. An diesem Mittwoch wird es erneut ein Treffen zwischen der Firmenleitung und Arbeitnehmervertretern geben.

Das Unternehmen wolle „Kostensenkungen durch Druck“, sagte Holger Junge, Vorsitzender des Airbus-Konzernbetriebsrats. Mehr als 4000 Kollegen sollten in die neue Tochter wechseln, sagt er. „Wer wechselt, muss damit rechnen, mittelfristig andere Arbeitsbedingungen zu bekommen.“ Airbus-Deutschlandchef André Walter sagte Ende April zwar, dass die Beschäftigungsbedingungen in den Unternehmen gleich sein sollten und man keine Zwei-Klassen-Gesellschaft wolle. Ob das auch für Neueinstellungen gelte, ließ er allerdings offen. Das werde „sicherlich Gegenstand der Verhandlungen mit den Sozialpartnern sein“, sagte Walter damals.

Auch die SPD schaltet sich ein

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi verwies in seiner Rede darauf, dass es trotz der Corona-Krise mit ihren globalen Verwerfungen in der Luftfahrt gelungen sei, betriebsbedingte Kündigungen bei Airbus zu verhindern. „Wir haben viel öffentliches Geld, Steuerzahlergeld, in den Luftfahrtstandort Deutschland, auch in Hamburg, investiert“, so Hakverdi. Das sei sinnvoll, weil es sich um eine Zukunftstechnologie handele. Es könne nicht sein, dass nun ein Outsourcing-Prozess vorangetrieben werde, der Arbeitsplätze gefährde und Mitarbeiter unter Druck setze.

Einen scharfen Ton schlägt Emanuel Glass an. „Was mich in letzter Zeit an Airbus echt ankotzt, ist, wie das Management derzeit mit uns umgeht“, sagt der zweite Bevollmächtigte der IG Metall in der Region Hamburg. Zwar sei im März ein neuer Konzerntarifvertrag abgeschlossen worden, doch nun gibt es Querelen über die Auslegung einer Bonusregelung. Gut einen Monat später werden plötzlich die Auslagerungspläne kommuniziert.

Und seit Montag heißt es nun, dass neben der Struktur- auch die Ausrüstungsmontage davon betroffen sein soll. „Ich kann mit diesem Management im Moment nichts anfangen“, sagt Glass. Er fordert die Beschäftigten zur Geschlossenheit auf sowie keine Überstunden mehr zu machen. Und er warnt, dass der Arbeitgeber die Ausgliederung selber entscheiden könne, weil man nur beratende Funktion habe.

Beschäftigte fühlen sich verschaukelt

Inmitten der Zuhörer steht Bodo Koloska. Der 53 Jahre alte Maschinenbauingenieur ist verärgert über die „Salamitaktik“ des Unternehmens, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sehe anders aus. Das Unternehmen habe viele „super Jahre“ gehabt, die Leute bräuchten sichere Verträge, um gute Arbeit abzuliefern. Nun fühlten sie sich verschaukelt. „Es geht darum, das Unternehmen hübsch zu machen und zu verkaufen“, sagt Koloska.

Der im Einkauf arbeitende Sami Hamrouni ist zwar nicht direkt von den Umbauplänen des Konzerns betroffen, befürchtet aber: „Das Unternehmen wird gespalten.“ Zudem sei die Verunsicherung groß, dass auch andere Bereiche noch ausgegliedert werden sollen. Dass es ausgerechnet die Strukturmontage trifft, stimmt ihn traurig. Die Kollegen hätten in den traditionellen Jahresendspurten alles gegeben, damit Airbus bis 2019 einen Auslieferungsrekord nach dem anderen hinlegen konnte. Der 45-Jährige: „Das Unternehmen kann das nicht verantworten, dass man die Kollegen erst verbrennt, und dann abschiebt.“