Hamburg/Emsen. Lange Lieferzeiten, hohe Transportkosten – und manchmal kommt die Ware von der Insel gar nicht. Tierfutter-Importeur bangt um Existenz.

Man kann sagen, dass Jens Theilacker und seine Firma Canadoo zu den Gewinnern der Pandemie und ihrer Folgen gehören. Der Umsatz des Hunde- und Katzenfutterherstellers und -händlers mit Sitz in Emsen (Gemeinde Rosengarten, Landkreis Harburg) kletterte im ersten Corona-Jahr um 50 Prozent auf 600.000 Euro. „Für 2021 rechne ich mit 750.000 bis eine Million Euro“, sagt der 50-Jährige.

Der Canadoo-Laden mit kaum 100 Quadratmeter Verkaufsfläche auf einem ehemaligen Bauernhof ist dabei nur die Spitze des Eisbergs, er spielt weniger als zehn Prozent der Erlöse ein. Den Großteil erzielt Theilacker mit seinem Onlineshop und mit der Belieferung anderer Händler. Die stark steigende Nachfrage hat viel damit zu tun, dass Corona einen Haustierboom in Deutschland ausgelöst hat. Frauchen und Herrchen sind die vierbeinigen Mitbewohner jetzt besonders lieb und teuer.

Aufschwung vor einigen Jahren

Einen ordentlichen Aufschwung hat die 2014 gegründete Firma Canadoo vor einigen Jahren schon einmal genommen. Damals nahmen Theilacker und seine Frau Christine, die ihn in ihrer Freizeit in der Firma unterstützt, Hundeleckerli, -kauknochen und Öl aus Fisch ins Sortiment. „Hunde lieben Fisch“, wissen die Besitzer des Labradorrüden Henry.

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Gut 40 Prozent des Gesamtumsatzes machte Canadoo zuletzt mit den Produkten aus getrockneter Fischhaut, mit getrocknetem oder gebackenem Fleisch von Kabeljau, Scholle, Heilbutt oder Seehecht. Es sind Premium-Produkte zumeist in Bio-Qualität. Eine Tüte mit 350 Gramm Kauknochen aus Wolfsfischhaut kostet knapp 15 Euro. Der Kilopreis liegt also etwa auf dem Niveau feinsten Rinderfilets.

Viele Sorten sind bereits ausverkauft

Doch die Firma hat ein Problem: Viele Sorten sind bereits ausverkauft, die Lagerbestände sind übersichtlich, Nachschub vom Hersteller aus der mittelenglischen Hafenstadt Grimsby ist aber nicht in Sicht. „Was noch da ist, reicht für zehn bis 14 Tage“, sagt Theilacker. Er und und seine Firma sind zwar Corona-Gewinner, zugleich aber Leidtragende und bald womöglich Opfer des Brexits und seiner Folgen.

„Die Bürokratie ist dabei, eine Existenz zu vernichten“, sagt der Tierfutterunternehmer gut 100 Tage nach dem endgültigen Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion.

Tiefe Spuren im Handel zwischen Deutschland und Großbritannien

Das hat tiefe Spuren im Handel zwischen Deutschland und Großbritannien hinterlassen: Nach den jüngsten vorliegenden Zahlen brachen die Exporte ins Königreich im Februar gegenüber dem Vorjahresmonat um 12,2 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro ein. Die Importe von der Insel nach Deutschland stürzten gar um 26,9 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro ab.

Laut einer aktuellen Umfrage hat fast jedes vierte britische Export-Unternehmen seine Ausfuhren in die EU gestoppt, manche bereits komplett eingestellt. Nach Angaben des Branchenverbands Federation of Small Businesses sind vor allem kleinere Unternehmen betroffen. Die Exporteure hätten weiterhin Probleme mit „unglaublich anspruchsvollem, ungewohntem Papierkram“, so der Verband „Was Kinderkrankheiten sein sollten, droht nun, zu dauerhaften, systemischen Problemen zu werden.“

Bürokratieaufwuchs ist enorm

Hans Fabian Kruse, der Präsident des AGA Unternehmensverbands der norddeutschen Groß- und Außenhändler, schätzt die Lage ganz ähnlich ein. Das Geschäft mit Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich habe im März zwar etwas angezogen, liege allerdings noch weit unter dem Vorjahresniveau.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

„Der Bürokratieaufwuchs ist enorm und noch immer sind nicht alle Unklarheiten beseitigt. Es kommt weiter zu Verzögerungen im Warenverkehr, immer wieder hören wir von abgewiesenen Lkw an der Grenze. Viele, gerade Klein- und Kleinstunternehmen sind aus dem Geschäft zwischen EU und United Kingdom ausgestiegen“, sagt Kruse dem Abendblatt. Er glaubt, dass das dauerhaft so bleibt: „Der Brexit wird eine Lücke im europäischen Außenhandel hinterlassen.“

Transport der Ware müssen Behörden auf beiden Seiten des Kanals zustimmen

Jens Theilacker hatte zuletzt kurz vor Weihnachten in Grimsby nachbestellt. Fünf Paletten mit knapp zwei Tonnen Fischleckerli. „Sie stehen seit dem 2. Januar beim Hersteller im Lager, aber keine Spedition ist bereit, sie aufs Festland zu bringen. Die beauftragte Zollagentur weiß auch nicht mehr weiter“, sagt er bitter. Das Problem: Dem grenzüberschreitenden Transport der Ware müssen die Veterinärbehörden auf beiden Seiten des Kanals zustimmen, die Begleitpapiere müssen genauestens ausgefüllt sein.

„Unter anderem wird gefordert, dass das Kennzeichen des Lkw eingetragen wird, mit dem die Ware kommt. Das ist völlig unrealistisch“, sagt der Tierfutterunternehmer. Weil die Gefahr groß ist, dass die Lieferung an einer der Grenzen strandet, trauten sich die Transportunternehmen nicht, den Auftrag anzunehmen.

Simon Jackson kennt das Problem. „Den Transport von Waren, die ein Veterinärzertifikat benötigen, als Teilladung gemeinsam mit Waren anderer Kunden können wir derzeit nicht anbieten“, sagt der Engländer und geschäftsführende Gesellschafter der internationalen Spedition Apex in Glinde.

Unterschiedliche Hygienevorschriften

Deren Mitarbeiter wickeln zwar bis zu 150 Transporte pro Woche zwischen Deutschland und Großbritannien ab – nur eben keine mit brisanten Produkten wie Kauknochen aus Fischhaut. „Das Risiko, dass ein Lkw oder Trailer gestoppt wird und deshalb zehn oder 15 andere Kunden ihre Lieferung nicht rechtzeitig erhalten, ist einfach zu groß“, sagt Jackson.

„Es herrscht auf beiden Seiten eine sehr große Unsicherheit, welche Dokumente benötigt werden. Der bürokratische Aufwand ist riesig. Da haben insbesondere kleine Unternehmen große Probleme“, bestätigt Matthias Keller vom Fisch-Informationszentrum (FIZ) in Hamburg. So sei etwa der Import britischer Muscheln in die EU „komplett eingebrochen“.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Wegen unterschiedlicher Hygienevorschriften. Das gilt offenbar nicht nur bei Fisch und Meeresgetier. So konnten sich etwa die deutschen Lammfleischanbieter kurz vor Ostern über ungewöhnlich hohe Preise freuen – weil die britischen Konkurrenten ihre Ware nicht über die Grenze schaffen konnten oder es gar nicht erst versuchten.

Unterschiedliche Zollsätze

In der Fischwirtschaft lösen zudem unterschiedliche Zollsätze Unverständnis aus. So belegt Großbritannien Räucherlachs mit zwölf Prozent Aufschlag, wenn der Lachs aus Norwegen stammt. Und FIZ-Chef Keller weiß: „Fischstäbchen aus Deutschland können zollfrei eingeführt werden, auf Schlemmerfilets werden 20 Prozent Zoll erhoben.“

Auch der Hamburger Wein- und Spirituosenhändler Uwe Lühmann spürt die Brexit-Folgen nachhaltig. In der Abteilung Whisky des Onlineshops und in den Regalen seiner Weinquelle an der Lübecker Straße tun sich bei manchen schottischen Destillerien erhebliche Lücken auf.

Wann Nachschub aus Britanniens Norden kommt, ist ungewiss

Eine Reihe von Abfüllungen sind ausverkauft, ob und wann Nachschub aus Britanniens Norden kommt, ist ungewiss. Viel hänge vom Importeur ab, hat Lühmann gelernt. „Manche bekommen das inzwischen gut hin, andere nicht so“, sagt er. Existenzbedrohend für das Unternehmen sei das zwar nicht, so Lühmann. „Aber, wenn man bestellt und 30 Prozent davon nicht geliefert werden, ist das mindestens ärgerlich.“

Corinna Schwarz und ihr Mann Dietmar Schulz, Inhaber und Geschäftsführer des Whisky- und Spirituosenimporteurs Alba in Nottensdorf bei Buxtehude, haben viele Abläufe im Geschäft mit Schottland umgestellt. „Früher haben wir meist zwei, drei Paletten bestellt, die als Teilladung kamen. Jetzt werden die Bestellungen in Glasgow gesammelt, bis ein Container voll ist“, sagt Schwarz.

Transportkosten sind explodiert

Im Zweifel ordert sie lieber etwas mehr – „aber das bindet Kapital und benötigt Lagerfläche“. Alba hat sich einen neuen Spediteur gesucht, der die Abwicklung schneller hinbekommt. Trotzdem vergeht zwischen Bestellung und Anlieferung mit drei Wochen etwa doppelt so viel Zeit wie zuvor. Die Transportkosten sind wegen des bürokratischen Aufwands explodiert. „Speditionen und Zolldienstleister lassen sich jede Extra-Dienstleistung fürstlich bezahlen. Die Transportkosten haben sich für uns auf etwa einen Euro pro Flasche verdoppelt“, so Schwarz. Und immer noch kosten die Folgen des Brexits mindestens eine Stunde Mehrarbeit pro Tag.

Spediteur Simon Jackson schätzt die Mehrkosten für Kunden, die zwischen Deutschland und dem Königreich Waren verschicken, auf „etwa 20 bis 30 Prozent. Aber das wird sich normalisieren und auch die Gesamtsituation wird sich weiter verbessern“, ist er überzeugt. Einstweilen gibt er seinen Auftraggebern aber keine festen Lieferterminzusagen.

Jens Theilacker hat die IHK Lüneburg und Europaabgeordnete eingeschaltet

„Früher konnten wir versprechen, dass ein Container, der montags in Hamburg beladen wird, am Mittwoch um 10 Uhr in Manchester ist. So etwas können wir derzeit nicht versichern.“ Im Schnitt sei ein Trailer von Hamburg auf die Insel und zurück jetzt zwei Wochen unterwegs, zuvor war es eine Woche.

Jens Theilacker hat inzwischen die IHK Lüneburg und Europaabgeordnete eingeschaltet, weitergebracht hat ihn das bislang allerdings nicht. Einen von langer Hand vorbereiteten Umzug des Ladens in ein größeres Geschäft in Hittfeld, den Umzug des Versandlagers nach Hanstedt und die Einstellung von vier Mitarbeitern will er trotz allem durchziehen. Sein Plan, in der Region Lüneburg eine Tierfutter-Manufaktur zu errichten, ist aber einstweilen ausgebremst. „Wir sind verzweifelt, mittlerweile geht das alles auf die Gesundheit.“

Öffentlichkeitswirksamer Protest

Zumal er sich auch noch mit einer zweiten Problemlieferung herumschlagen muss. Beim deutschen Zoll hängen seit sechs Wochen zwei Paletten mit Trockenfutter fest, die es zwar von Großbritannien aufs Festland aber nicht bis Emsen geschafft haben. Im schlimmsten Fall wird die Ware vernichtet, im zweitschlimmsten Fall muss sie zurück auf die Insel. Das würde noch einmal mehrere Tausend Euro kosten.

Die Gedanken des Unternehmers kreisen mittlerweile um öffentlichkeitswirksamen Protest. „Als Nächstes fliege ich selbst rüber und kette mich in Grimsby so lange an die Paletten, bis ich sie endlich mitnehmen kann“, sagt er. Dann allerdings müsste Theilacker gleich nach der Einreise ein Corona-Opfer bringen – und zunächst erst mal zehn Tage lang in häusliche Quarantäne.