Hamburg. Löschautos, Flugzeugtrolleys oder eine Windrad-Fabrik: Hamburger versteigern das Inventar insolventer Betriebe - und haben Erfolg.

Holger Haun hat mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Branche, die längste Zeit davon als Chef seiner eigenen Firma. 1994 gründete er mit Kompagnon Tom Thomsen die HT Hanseatische Industrie-Consult KG. Das ist eine Gesellschaft, von der ihre Chefs sagen, sie gehöre zu den „führenden Unternehmen für die Bewertung und Verwertung von mobilen Sachanlagen und Industriegütern in Deutschland“. Was sperrig klingt, bedeutet: Die HT KG mit Sitz am Duvenstedter Damm ganz oben im Hamburger Norden findet heraus, was das Inventar eines Pleiteunternehmens noch wert ist, und versteigert es meistbietend.

Wenn man so etwas seit mehr als drei Jahrzehnten macht, sind Überraschungen eher selten. Doch bisweilen geschehen Dinge, mit denen selbst ein alter Hase wie Holger Haun nicht gerechnet hat. Wie beim insolventen Flughafen Parchim-Schwerin. Jahrelang hatten chinesische Investoren sich darum bemüht, den ehemaligen Militär-Fliegerhorst in Mecklenburg zu einem internationalen Drehkreuz zu entwickeln.

Auch Flughafeneinrichtung wird versteigert

Erfolglos. Dann waren die Investoren verschwunden, und die Hamburger hatten den Auftrag, zu Geld zu machen, was ungenutzt herumstand am Rande der drei Kilometer langen Start- und Landebahn und in der Passagierhalle: Tankwagen, Löschfahrzeuge, Fahrgasttreppen, Gepäckbänder, Sitzgruppen, Passagiercounter.

Die Online-Auktion lief über mehrere Wochen. „Am Ende waren die Einnahmen dreimal höher, als wir erwartet hatten“, sagt Haun und liefert schnell eine Erklärung, warum sie zu niedrig kalkuliert hatten am Duvenstedter Damm. „Es gab keine Erfahrungswerte. Das komplette Inventar eines Flughafens zu verkaufen, das hatte in Deutschland vor uns noch niemand gemacht.“

Flughafen-Inventar nach Rumänien verkauft

Zudem existiere kein Gebrauchtmarkt für solcherlei Spezialgerät, an dem man sich hätte orientieren können. „Ein Airport-Tankwagen muss besonders hohe Sicherheitsstandards erfüllen, ist neu sehr teuer, fährt aber wenig. Der wird nicht nach ein paar Jahren weiterverkauft“, hat Haun gelernt.

Vieles von dem, was in Parchim nutzlos geworden war, ging dann nach Rumänien. „Der Käufer hat dort gleich mehrere Flughäfen modernisiert“, so Haun. Wie viel Geld das Flughafen-Inventar einbrachte, sagt er nicht. Das erfuhren nur der Insolvenzverwalter und die Gläubiger. Firmenverwertung ist ein sehr diskretes Geschäft, hierzulande betreiben es nur eine Handvoll Unternehmen.

Fertigungsanlagen für Windkraftanlagen werden versteigert

Sie haben ihren Sitz vorwiegend in Hamburg. So versteigert die an der ABC-Straße residierende Firma Netbid bis diesen Montag die kompletten Fertigungsanlagen für Windkraftanlagen des 2019 in die Insolvenz gerutschten Senvion-Konzerns in Portugal.

Tags darauf endet die Gebotsfrist für allerlei Material, das dort noch lagert. Das Angebot reicht von einer Palette Sechskantmuttern in diversen Größen für 160 Euro bis hin zu nie verbauten Gondelabdeckungen für je 7800 Euro. Gebote dafür liegen bislang nicht vor.

Auktionshaus Dechow: Inventar vom Flughafen Tegel

Das Hamburger Auktionshaus Dechow wurde bundesweit bekannt, als es die Reste der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin unter den Hammer brachte. Aktuell bietet Dechow Inventar des geschlossenen Berliner Flughafens Tegel an.

Demnächst kommen Teile der Innenausstattung der Boeing 707 an die Reihe, die seit Jahrzehnten als Ausstellungsstück auf dem Hamburg Airport steht. Der Flughafen hatte vor wenigen Tagen angekündigt, dass er sich die Instandhaltung des musealen Fliegers in Corona-Zeiten nicht mehr leisten könne und wolle.

Branche spürt keinen starken Effekt der Corona-Pandemie

Einen deutlichen Effekt der Corona-Pandemie und ihrer Folgen für die Wirtschaft spürt die Branche einstweilen nicht. „Wir haben trotzdem sehr gut zu tun“, sagt Holger Haun von der HT KG. Deren Beschäftigte schwärmen von deutschlandweit vier weiteren Standorten aus, um das Inventar von Unternehmen zu bewerten.

Zumeist im Auftrag von Insolvenzverwaltern. Die Gutachten sichern einen Teil der Einnahmen, wickelt die Firma auch die Versteigerung ab, erhält sie dafür einen Aufschlag von 18 Prozent auf den Verkaufspreis.

Firmen schon vor Corona pleite

Was jetzt unter den Hammer kommt, stammt oft aus Firmen, die wie Senvion schon vor Corona pleite waren oder nicht wegen der Pandemie Insolvenz anmelden mussten. So wie unlängst der Apotheken-Abrechnungsdienst AvP, dessen Büroeinrichtung Haun und Thomsen derzeit online versteigern.

Ohnehin ist die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland trotz Pandemie im vergangenen Jahr sogar gesunken, weil Teile der Insolvenzordnung vorerst außer Kraft gesetzt sind. Die großen Wirtschaftsauskunfteien Euler Hermes und CrifBürgel erwarten aber, dass die Zahl der Firmeninsolvenzen in diesem Jahr nach oben schießt.

Wandel Richtung E-Mobilität führt zu Pleiten in Autozuliefererbranche

„Corona wird die strukturellen Probleme von Unternehmen sicher verstärken“, ist der studierte Betriebswirt Haun überzeugt. Im vergangenen Jahr verwertete sein Unternehmen unter anderem die Mobilien mehrerer Großbäckereien mit alles in allem Hunderten Verkaufs­filialen, die am Markt nicht mehr bestehen konnten. Aktuell wird wegen des Wandels Richtung E-Mobilität mit einer wachsenden Zahl von Pleiten in der Autozuliefererbranche gerechnet.

Dort waren auch die Leipziger Gusswerke einst unterwegs, deren jahrelanger Niedergang im vergangenen Herbst mit der Entlassung der letzten Mitarbeiter endete. Nun ist die HT KG auf der Suche nach Käufern für die Maschinen und Gerätschaften, mit denen einst unter anderem Motorblöcke gegossen wurden. Mehr als 1500 einzelne Posten, die zusammen einen „siebenstelligen Betrag, vorne eine eins“ einbringen könnten. Ausnahmsweise nennt Haun doch mal eine Zahl.

Käufer werden in Kunden-Datei gesucht

Wer aber hat schon Interesse an einer Gießpfanne für drei Tonnen Flüssigmetall, wenn die Gießereien hierzulande ohnehin tief in der Krise stecken und absehbar keine große Zukunft haben, weil sich die wenigen Motorblöcke, die die Autobauer künftig noch brauchen, in – zum Beispiel Moldawien – billiger gießen lassen? Und welches Unternehmen kauft eine erst wenige Jahre alte Kompressoranlage, die einst 2,5 Millionen Euro kostete und von den Hamburger Firmenverwertern nun auf 200.000 Euro taxiert wird?

Das ist noch nicht einmal der Mindestpreis. „Am Ende werden es vielleicht zwei, drei Unternehmen sein, für die es interessant ist, die Anlage zu demontieren und andernorts wieder aufzubauen“, sagt Haun. Potenzielle Käufer sucht seine Firma unter den Zehntausenden Kunden in der eigenen Datei, zudem hilft Mund-zu-Mund-Propaganda in der jeweiligen Branche.

Gebote trudeln oft in letzten Minuten der Auktion rein

Dass es gut zwei Wochen vor Auktionsende für viele der Versteigerungsposten aus Leipzig noch kein einziges Gebot gibt, irritiert den HT-Chef nicht weiter. „Die Musik spielt meist in den letzten Minuten vor Ende der Auktion. Das ist fast wie bei Ebay“, weiß Haun. Und immerhin habe es schon mehr als 300.000 Clicks auf das Gießerei-Inventar gegeben.

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Doch natürlich sind Spezialmaschinen aus der Industrie schwieriger als Büromöbel, der Transporterfuhrpark eines insolventen Mittelständlers, ein Chef-Porsche aus Konkursmasse oder gar die Überreste einer Pleitefluggesellschaft. Was für das Auktionshaus Dechow Air Berlin war, war für die HT KG bald darauf Germania.

Das Inventar der Germania wurde erfolgreich versteigert. (Archivbild)
Das Inventar der Germania wurde erfolgreich versteigert. (Archivbild) © Hanseatische Industrie-Consult

Inventare der Flugesellschaften waren restlos ausverkauft

Bordbesteck und Büromöbel, der Autofuhrpark, Hunderte Trolleys, Kuscheldecken, Sitzkissen, Planschbälle mit Germania-Schriftzug – all das fand problemlos Käufer. „Es gibt viele Fans von so etwas, Menschen, die sich ein Erinnerungsstück sichern wollen. Am Ende war alles restlos ausverkauft“, sagt Haun. Dass er das in ein paar Wochen auch für die Leipziger Gusswerke sagen kann, ist eher zweifelhaft.