Berlin. Die Aktie des Videospielhändlers hat am Mittwoch um 100 Prozent zugelegt. Zuvor war bekannt geworden, dass Finanzchef Bell abtritt.
In den vergangenen Wochen hatte sie starke Verluste hinnehmen müssen, nun geht die Aktie des kriselnden Videospielhändlers Gamestop erneut durch die Decke. Am Donnerstag ging die Aktie mit einem Kursplus von 85 Prozent in den Handel.
Der Kurs hatte sich bereits am Vortag mehr als verdoppelt, ohne dass auf Anhieb ein klarer Grund ersichtlich gewesen wäre. Angesichts der Zustände an den US-Börsen warnte der langjährige Partner von Staranleger Warren Buffett, Charlie Munger, vor Exzessen.
Der Vizechef von Buffetts Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway sieht die jüngsten Turbulenzen am US-Finanzmarkt mit großer Sorge. Kurskapriolen wie bei den Aktien von Gamestop seien Anzeichen einer „irritierenden Blase“, die irgendwann einmal ein böses Ende nehmen müsse, sagte der 97-Jährige bei der jährlichen Hauptversammlung des US-Medienkonzerns Daily Journal Corporation.
Gamestop: Finanzchef Jim Bell verkündet Rücktritt
Die Aktien von Gamestop waren bereits am Mittwoch vorübergehend vom Handel ausgesetzt worden und hatten letztlich mit einem Plus von 104 Prozent bei fast 92 Dollar geschlossen. Nachbörslich ging es mit heftigen Schwankungen weiter, zeitweise schoss der Kurs um weitere rund 100 Prozent nach oben. Am Vortag hatte Gamestop den Abgang von Finanzchef Jim Bell angekündigt, ohne einen Grund zu nennen.
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US-Medien berichteten später, dass der Manager auf Druck einflussreicher Anteilseigner seinen Rücktritt habe einreichen müssen, weil es Unstimmigkeiten über die Strategie gegeben habe. Dabei soll Investor Ryan Cohen eine Schlüsselrolle gespielt haben, der im Januar einen Posten im Verwaltungsrat übernommen hatte. Er gilt vielen Spekulanten als Hoffnungsträger für ein Comeback, weil er bereits den Tierbedarfshändler Chewy erfolgreich umgekrempelt hatte.
Börsen-Altmeister Munger hält vom Gamestop-Hype indes gar nichts. Der Spekulationsrausch offenbare, so seine Kritik, eine gefährliche neue Kultur, bei der Menschen von Billig-Brokern wie Robinhood ermutigt würden, wie bei Pferdewetten mit Aktien zu zocken.
Kleinanleger vermiesen den Investmenthäusern das Geschäft
Im Forum „Wall Street Bets“ auf der Plauder-Plattform Reddit hatten sich im Januar Kleinanleger verabredet, den angeschlagenen Videospiele-Händler Gamestop vor Kurswetten der milliardenschweren Hedgefonds zu schützen – und den umstrittenen Investmenthäusern das Geschäft zu vermiesen.
Zunächst ging der Plan auf: Die hohe Nachfrage trieb den Aktienkurs von knapp 15 Euro auf bis zu 419,90 Euro in die Höhe. Die Hedgefonds, die auf sinkende Kurse gewettet hatten, verloren rund 20 Milliarden Dollar (17 Milliarden Euro), ein Investor musste gar mit einer besonders großen Geldspritze gerettet werden.
Gamestop-Aktie stürzte unter 55 Euro
Nun zog das Kursfeuerwerk immer mehr Anleger in Erwartung eines großen Gewinns an. Das eigentliche Geschäft der Ladenkette, die auch in Deutschland rund 200 Filialen betreibt und unter der Digitalisierung leidet, interessierte kaum jemand. Für viele folgte das böse Erwachen: Gamestop-Aktien waren Anfang Februar weniger als 50 Euro wert. Über 25 Milliarden Euro Anlegergeld waren damit vernichtet.
Auch die Aktien des Netzwerkausrüsters Nokia und der US-Kinokette AMC und einiger anderer Firmen erlebten einen kurzzeitigen Höhenflug. Zuletzt hatten es die Anleger auf Silber abgesehen. Auch der Kurs des Edelmetalls konnte seinen Höhenflug nicht halten.
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Im Internet häufen sich Beiträge wie der eines US-Sportbloggers, der mit Gamestop- und AMC-Aktien 700.000 Dollar verloren haben will. Nicht wenige haben den Aktienkauf offenbar auch mit Krediten finanziert, wie in den Foren zu lesen ist. Der milliardenschwere amerikanische Investor Marc Cuban hinterließ den Anlegern auf Twitter eine eindringliche Warnung: „Wenn du kaufst, weil du den Kursanstieg brauchst, um dein finanzielles Loch zu stopfen, ist das der exakt falsche Zeitpunkt.“
Smartphone-Broker erleben Kundenansturm
Hinter dem großen Ansturm auf die Aktien von Gamestop und Co. stehen Kleinanleger, die vor allem sogenannte Neobroker wie Robinhood aus den USA oder das deutsche Pendant Trade Republic nutzen. Die neuen Anbieter ermöglichen mit Smartphone-Apps einen unkomplizierten und vergleichsweise kostengünstigen Weg an die Börse. Kleinanleger können mit Aktien oder auch hochkomplexen Finanzprodukten handeln.
Die Gebühren sind deutlich niedriger als bei klassischen Banken. Trade Republic verspricht Aktienhandel für einen Euro. Die sagenhaften Gewinne, die mancher mit Gamestop einstreichen konnte, beschert dem Berliner Start-up viele neue Kunden. Wer sich bei der Plattform anmeldet, muss wegen der hohen Nachfrage mit stundenlangen Wartezeiten rechnen. „Das Interesse ist ungebrochen hoch“, sagt eine Sprecherin unserer Redaktion. Genaue Zahlen nennt das Unternehmen jedoch nicht.
Anleger beschweren sich über Trade Republic
Zum Höhepunkt des Hypes hatte Trade Republic den Kauf von Gamestop-Aktien ausgesetzt. Der Handelsplatz LS Exchange, das elektronische System der Börse Hamburg, war überlastet. An anderen Börsen konnte die Aktie aber weiter frei gehandelt werden. Damit zog das Start-up den Zorn enttäuschter Anleger auf sich.
Womöglich hat der Vorgang auch rechtliche Folgen. Nutzer berichten von stornierten Kaufaufträgen, die ihnen trotzdem abgebucht worden sind. Die Gründer von Trade Republic bitten die Anleger inzwischen um Entschuldigung: „Wir haben hier keinen guten Job gemacht“, schreiben sie.
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Die Verbraucherzentrale Hamburg spricht nach dem Hype um die Gamestop-Aktie eine deutliche Warnung aus: „Trading-Apps verführen zum Zocken.“ Unerfahrene Anleger würden hier Gefahr laufen, von den spielerischen Mechanismen zu unbedachten Transaktionen verführt zu werden. „Doch der Handel mit Aktien und Optionen ist kein Spiel“, lautet die eindringliche Warnung. „Der Handel mit Einzelaktien ist etwas für Zocker und Profis.“ Und eine einseitige Kaufbeschränkung für einzelne Werte, wie es sie bei Trade Republic gab, sei schlicht „nicht akzeptabel“.
Gamestop-Investment „als Spiel, Rache oder Wette“
Christine Bortenlänger, Chefin des Deutschen Aktieninstituts, warnt ebenfalls vor den Gefahren. „Aktien zu einem Kurs zu erwerben, der weit abseits des fundamentalen Werts liegt, birgt ein großes Risiko.“ Viele Anleger hätten darauf gewettet, den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg zu erwischen.
Sie betrachtet es als „eher unwahrscheinlich“, dass alle Anleger in die Feinheiten der Marktmechanismen eingestiegen seien. „Teilweise haben Anleger investiert, die ihr Investment in Gamestop als Spiel, Rache oder Wette gesehen haben.“ Viele seien aber vermutlich nur aufgesprungen, weil sich eine „gewisse Goldgräberstimmung breit gemacht hat.“
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Wer in den Aktienmarkt investieren will, sollte die Grundregeln der Aktienanlage beachten, betont die Expertin. Man sollte ein finanzielles Polster für Notfälle haben wie einen kaputten Computer oder Kühlschrank. „Wer dann in Aktien anlegen will, sollte das Geld langfristig, breit gestreut und am besten kontinuierlich investieren“, erklärt Bortenlänger.
Sie rät zu breitgestreuten Aktienfonds oder Aktien-ETFs (Indexfonds). „Das klingt jetzt wahrscheinlich langweilig, ist aber clever, sichert es den Anlegern doch dauerhaft Freude an ihrem Aktieninvestment“, sagt sie.
SPD fordert strengere Finanzaufsicht
Die SPD-Bundestagsfraktion wegen der Schwarmspekulation um Gamestop eine strengere Finanzaufsicht. Diese müsse für „Transparenz und die Einhaltung der Handelsregeln auf den Märkten“ sorgen, sagte der finanzpolitische Sprecher Lothar Binding unserer Redaktion. Zudem müssten Hedgefonds besser reguliert werden, so Binding: „Für Leerverkäufe sind strengere Regeln erforderlich.“
Zugleich verurteilte er die Verabredung von Kleinanlegern, die Hedgefonds bei Gamestop auszubooten: „Manipulatives Verhalten darf nicht durch entgegengesetzte Manipulationen beantwortet werden.“ In der Vergangenheit hätten immer wieder Hedgefonds ihre Marktmacht in unfairer Weise eingesetzt. „Eine Bekämpfung dieser unfairen Handelspraktiken durch Schwarmspekulationen von Kleinanlegern wäre aber der falsche Weg“, betonte der Finanzexperte.
Zugleich äußerte Binding die Sorge, dass Kleinanleger Gefahr liefen, von Online-Brokern wie „Trade Republic“ unfair behandelt zu werden. Die Aussetzung des Kaufs von Gamestop-Aktien durch den Broker habe viele Kleinanleger vom Marktzugang ausgeschlossen. „Online-Broker müssen dafür sorgen, dass die von ihnen angebotenen Dienstleistungen auch bei vermehrter Handelsaktivität zur Verfügung stehen und dass die Handelsregeln eingehalten werden“, forderte der SPD-Politiker.
Die Finanzaufsicht müsse untersuchen, ob die Handelseinschränkung auf den Einfluss der von der Schwarmspekulation negativ betroffenen Hedgefonds zurückzuführen ist.
Hedgefonds halbieren Verluste – und streichen Millionen ein
Die Hedgefonds konnten ihre massiven Verluste unterdessen eingrenzen. Marktbeobachtern von S3 Partners zufolge haben sie schon in der vergangenen Woche das Minus auf zehn Milliarden Dollar halbiert. Und aus dieser Reihe stammt wohl auch der größte Gewinner des Gamestop-Hypes. Laut „Wall Street Journal“ hatte der Hedgefonds Senvest Management schon im vergangenen Jahr im großen Stil Aktien gekauft – und strich nun 700 Millionen Dollar ein. (aky/dpa)