Berlin. Anleger sorgen für ein Börsenbeben, indem sie die Gamestop-Aktie in die Höhe treiben. Politiker fordern eine Anhörung zum Aktienmarkt.

Der gigantische Kursanstieg der Gamestop-Aktie hat nun auch ein politisches Nachspiel. Seit Jahresanfang ist der Kurs der Gamestop-Aktie von 15 Dollar auf den bisherigen Höchststand von 409 Euro am 28. Januar gestiegen - und hat sich damit mehr als verzwanzigfacht. Der Schlussstand lag an der amerikanischen Börse am Donnerstag allerdings um rund 25,62 Prozent unter dem Vortag.

Die großen Schwankungen sind ungewöhnlich. Ausgelöst wurde der immense Kursanstieg offenbar durch eine gemeinsame Aktion von Kleinanlegern, während dadurch wiederum mehrere Hedgefonds in finanzielle Nöte gerieten, die auf fallende Kurse gesetzt hatten.

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Um die Computerspiele-Einzelhandelskette Gamestop ist ein Aktien-Hype entstanden.
Um die Computerspiele-Einzelhandelskette Gamestop ist ein Aktien-Hype entstanden. © AFP | Frederic J. Brown

Gamestop-Aktie: Politik kritisiert große Online-Broker

In der Kritik der Politik stehen nun aber vor allem große Online-Broker, die in den Handel zugunsten der Hedgefonds eingegriffen haben sollen. So steht der Online-Broker Robinhood im Verdacht, den Handel der Papiere zuletzt eingeschränkt zu haben - und dadurch den Kursrückgang ausgelöst zu haben. So konnten offenbar die Papier von Anlegern nur noch verkauft, aber nicht mehr gekauft werden.

Der künftige Vorsitzende des Bankenausschusses im US-Senat, Sherrod Brown, hat deshalb eine Anhörung „zum aktuellen Zustand des Aktienmarkts“ angekündigt. Es sei an der Zeit für die Börsenaufsicht SEC und den Kongress dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft für alle funktioniere, nicht nur für die Wall Street, sagte Brown.

Kleinanleger dürften nicht gegenüber Wall-Street-Großinvestoren benachteiligt werden. Bei der Anhörung soll es um die Turbulenzen am Finanzmarkt und um die Rolle von Hedgefonds dabei gehen. Laut US-Medien plant auch die Vorsitzende des Finanzausschusses im US-Repräsentantenhaus, Maxine Waters, eine Anhörung.

Was hinter dem Kursanstieg von Gamestop steckt

Was hinter dem Fall steckt: Die Macht der Leerverkäufer hat ihre Grenzen an einer Aktion von Kleinanleger-Aktivisten gefunden. Videospiel-Enthusiasten rund um den Globus haben sich zusammengetan, um Spekulationen gegen die angeschlagene Ladenkette Gamestop zu sabotieren. Ihre Gegenreaktion wirkt nun so durchschlagend, dass sie große Institutionen der Wall Street in den Ruin treibt.

Es gibt Finanzfirmen, sogenannte Hedge-Fonds, die sich mit Vorliebe auf die schwächsten Wirtschaftsakteure stürzen. Sie identifizieren Firmen, die vor Problemen stehen, und wetten darauf, dass deren Kurse fallen. Sie durchforsten Bilanzen und analysieren Trends, um mögliche Opfer zu identifizieren.

Die Manager solcher Fonds sehen dabei eine positive Rolle für sich selbst – indem sie Schwächen aufzeigen, machen sie das Wirtschaftssystem nach eigener Auffassung effizienter.

Kleinanleger verabreden sich auf Reddit – und greifen Hedge-Fonds an

Nun hatten Gamer im weltumspannenden Plauder-Forum Reddit Anfang des Jahres Wind davon bekommen, dass zwei große Finanzfirmen sich die Ladenkette Gamestop für diese profitable Marktbereinigung vorgenommen haben.

Zwei New Yorker Fonds, Melvin Capital und Citron Research, prognostizierten schlechte Aussichten für physische Läden für Computerspiele. Moderne Spielkonsolen kommen zum Teil schon ohne ein Laufwerk. Die Spielebranche will auf rein virtuellen Vertrieb im Netz umstellen, weil das für sie einfacher ist. Es sind zudem schon Abo-Modelle für Spiele nach Vorbild von Netflix in der Mache.

In der Corona-Krise wurden die Konsumenten zusätzlich zu Online-Kunden umerzogen. Eine börsennotierte Gesellschaft mit so schlechten Zukunftsaussichten – das wäre ein gefundenes Fressen für Leerverkäufer.

Zorn auf die amerikanische Finanzindustrie

Doch die Reddit-Gemeinde war dagegen. Viele Videospieler mögen Gamestop. Das Personal in den Filialen spielt selbst gerne und ist für einen Plausch offen, zudem dienen die Läden als Tauschbörse für gebrauchte Spiele. In Einkaufszentren sind sie Anlaufstelle zum Abhängen für Gamer.

Auf Reddit ergab sich jetzt eine chemische Reaktion zwischen dem Forum „Wall Street Bets“, in dem es um Leerverkäufe und Finanzgeschäfte geht, und der Spielergemeinde. Die überwiegend jungen Leute versprachen sich, die Aktie zu ordern. „Ich habe alle meine Ersparnisse in Gamestop investiert und muss meine Miete daher in diesem Monat auf Pump mit Kreditkarte bezahlen“, schreibt der Nutzer „ssauronn“.

Die Gegenreaktion gegen die Hedge Fonds hat durchaus eine politische Komponente: einen tief sitzenden Zorn auf die amerikanisch Finanzindustrie.

Bewertung wurde auf mehr als zehn Milliarden Dollar getrieben

„Als die Krise von 08 das Land schüttelte, war ich ein junger Teenager“, schreibt „ssauron“. Er sei es leid, das Finanzfirmen sich auf Kosten der Gemeinschaft bereichern, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. Seine Familie sei damals schwer betroffen gewesen. Jetzt sei die Zeit gekommen, sich nicht nur herumschubsen zu lassen. „An Melvin Capital: Ihr steht für alles, was ich daran hasse!“

Die vielen kleinen Kauforders haben den Gamestop-Kurs spektakulär hochgetrieben. Nachdem sich die Kunde von der Aktion verbreitete, sprangen immer mehr Kleinanleger auf. Auf Videoseiten für Spieler wie Twitch tauchten Anleitungen zum Aktienhandel für Anfänger auf.

Die Bewertung der angeschlagenen Kette von 5500 Läden übersteigt inzwischen zehn Milliarden Dollar. Melvin Capital musste so gewaltige Positionen decken, dass der vermeintlich reiche Fonds sich 2,75 Milliarden Dollar leihen musste, um zu überleben.

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Unbegrenztes Verlustpotenzial bei Hedge-Fonds

Für Hedge-Fonds steht einem hohen Gewinnpotenzial ein unbegrenztes Verlustpotenzial gegenüber - und zwar dann, wenn ihre Wetten schieflaufen.

Sie arbeiten vor allem mit Leerverkäufen. Damit lässt sich Profit aus fallenden Kursen schlagen. Im Fall von Aktien läuft so ab: Der Leerverkäufer leiht sich zunächst ein großes Paket der Anteilsscheine bei einem institutionellen Investor.

Dafür kommt beispielsweise eine Versicherung in Frage, die ihr Geld langfristig in eine große Zahl von Werten anlegt. Die Versicherung erhält dafür eine Gebühr uns ist nicht weiter beteiligt. Der Shortseller verkauft dieses Aktienpaket nun regulär am Markt und nimmt dafür Geld ein. Zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft kauft er genau die gleiche Stückzahl an Aktien dann zurück.

Wenn der Kurs des Papiers inzwischen wie erwartet gefallen ist, muss er dafür weniger Geld bezahlen, als er zuvor beim Verkauf eingenommen hat. Wenn er zunächst 100 Millionen Euro eingenommen hat und der Kurs sich in der Laufzeit des Geschäfts halbiert, bleiben 50 Millionen Euro übrig. Der Einsatz zu Beginn war jedoch minimal, schließlich waren die Aktien nur geliehen.

Hohes Risiko für die Hedge-Fonds

Diesem irren Gewinnpotenzial steht nun ein noch viel höheres Risiko gegenüber. Wenn der Kurs steigt, statt zu fallen, sind die Aktien zum festgelegten Termin dennoch zurückzukaufen. Der Leihgeber erwartet sie pünktlich zurück.

Während der Kurs aber nur maximal auf 0 fallen kann, ist die Möglichkeit zum Anstieg nach oben offen. Verdreifacht sich der Kurs, entsteht bei einem anfänglichen Aktienwert von 100 Millionen Euro ein Verlust von 200 Millionen Euro.

Die Märkte befinden sich in Aufruhr

Der Kurs von Gamestop ist nun seit einem Tief im vergangenen Jahr insgesamt sogar um den Faktor 50 gestiegen. Der besonders steile Anstieg lag auch und gerade an den Praktiken der Leerverkäufer. Sie müssen die Aktienpakete schließlich auf den Markt werfen, um das Geschäft abzuschließen – auch, wenn der Kurs schon unnatürlich hoch steht.

Damit treiben sie mit Milliardenmitteln aus ihren Kassen den Kurs weiter nach oben. Schließlich schaffen sie weitere Nachfrage – auch wenn das alles letztlich ein Luftgeschäft war.

Nun stürzen sich Gegenspekulanten weltweit auf Aktien, von denen bekannt ist, dass sie gerade die Zielobjekte von Leerverkäufern sind – und bringen die Märkte in Aufruhr. Marktexperten sehen das als Warnung an die Hedge-Fonds, nicht selbstzufrieden zu werden und die Risiken von Rückschlägen gegen ihre Praktiken besser einzubeziehen.