Hamburg. Hannah Gerlach macht eine Ausbildung bei Hapag-Lloyd. Eigentlich sollte sie nur zehn Wochen auf dem Meer sein. Doch es kam anders.

Schiffsmotoren sind ihr Ding. Wenn Hannah Gerlach über ihre Arbeit spricht, dann von ihrem Interesse am Zusammenspiel der unterschiedlichen Aggregate und Maschinen, die den Betrieb eines riesigen Containerfrachters ermöglichen. Fasziniert berichtet die 20-Jährige von den Kräften, die es benötigt, einen zwölf Tonnen schweren Kolben in Bewegung zu setzen. Hannah Gerlach ist Auszubildende als Schiffsmechanikerin bei Hamburgs Traditionsreederei Hapag-Lloyd. Sie ist im dritten Lehrjahr, hat also schon gewisse Erfahrung auf See. Genauer gesagt: jede Menge Erfahrung. Denn die junge Frau aus Timmendorfer Strand hat mehr Zeit auf dem Wasser zugebracht als vorgesehen, weil eine auf zwei Monate angelegte Ausbildungsfahrt zu einer neunmonatigen Odyssee auf den Weltmeeren wurde. Nicht der Kapitän hatte Schuld oder die Reederei, sondern Corona.

Die Pandemie hat weltweit zu Reisebeschränkungen und Quarantäneanordnungen geführt. Die Folge: Tausende Seeleute konnten und können nicht nach Hause, weil sie in den Häfen, die sie anlaufen, keinen Fuß an Land setzen dürfen, oder weil sie wegen fehlender Flugverbindungen nicht in ihre Heimat kommen. Und selbst wenn sie ein Ticket ergattern könnten, kommen sie nicht weg, weil das Ersatzpersonal nicht anreisen kann. Auf rund 400.000 wird die Zahl der Seeleute geschätzt, die wegen der Pandemie aktuell auf See festsitzen. Eine war Hannah Gerlach.

13.200 Container kann die „Basle Express“ laden

Sie hatte nach ihrem Abitur in Lübeck 2019 bei Hapag-Lloyd angeheuert. Nach einer Ausbildungsfahrt mit mehreren Azubis stand im September eine zweite Reise für zehn Wochen an. „Ich war sehr aufgeregt, da es meine erste Einzelfahrt war“, erinnert sie sich. Ihr Schiff: die 13.200 Standardcontainer fassende „Basle Express“. Von Hamburg ging die Rundreise über Antwerpen und Southampton durch den Suezkanal nach Jeddah - und weiter über Colombo, Singapur und Thailand bis nach Vietnam. Von dort zurück nach Europa.

Da gerade kein Berufsschulblock anstand, verlängerte sie mit Zustimmung der Reederei ihre Zeit an Bord. Wie gesagt, Gerlach interessiert sich für Schiffsmotoren. Zudem wollte sie auf eine wichtige Erfahrung nicht verzichten: „Ich wollte einmal eine sechsmonatige Reise machen, damit ich erlebe, wie es den meisten Seeleuten geht, wenn sie so lange auf See sind. Klar hatte sie Heimweh. „Vor allem fehlte mir meine Familie“, sagt sie. Aber was sind schon sechs Monate. Zumal sie wusste, dass sie Anfang März in Singapur aussteigen und von dort zurückfliegen sollte.

Eine Reise ins Ungewisse

Aber es wurde alles anders, denn dann kam Corona. Singapur machte den Hafen dicht. „Daraufhin hieß es, ich könnte in Colombo aussteigen. Ich hatte meinen Koffer schon gepackt, doch im letzten Moment entschied Sri Lanka, auch keine Seeleute mehr von Bord zu lassen.“ Sie rief zu Hause bei ihrer enttäuschten Mutter an. Und Gerlach lernte, ihre Koffer schnell ein- und auszupacken. Denn auch die Häfen Laem Chabang in Thailand und Cai Mep in Vietnam wollten für die junge deutsche Auszubildende keine Ausnahme machen. Es wurde Anfang April. Nun sollte das Schiff eigentlich zur Routineinspektion in die Werft gehen. „Aber auch der Werfttermin wurde wegen Corona abgesagt, ein Fahrtauftrag gestrichen. Von da an wussten wir: Jetzt wird es eine Reise ins Ungewisse.“

Dreieinhalb Wochen driftete der Frachter beschäftigungslos im Südchinesischen Meer. „Wir hörten von der Ausbreitung der Corona-Epidemie. Und wir waren sehr besorgt. Aber weniger um uns, sondern vielmehr um die Familien zu Hause“, sagt Gerlach. „Für die Väter, die auf den Philippinen junge Familien mit Kindern haben, war das noch schlimmer als für mich.“ Dennoch sei die Stimmung an Bord positiv gewesen. „Mit einem Lächeln am Tisch sieht alles ganz anders aus.“

Und dann kam zu Hause der kleine Neffe zur Welt

Ende April übernahm die „Basle Express“ einen neuen Dienst zwischen Asien und dem Persischen Golf. Auch weit weg von Timmendorfer Strand. Für Gerlach stand eigentlich ein neuer Berufsschulblock an. Aber weder in Dubai noch in Abu Dhabi durfte sie von Bord. Glück im Unglück: wegen des Lockdowns fand der Unterricht sowieso nur online statt. Der Kapitän wollte Gerlach für die Zeit vom Dienst an Bord freistellen. Doch sie verzichtete. „Ich wollte meine praktischen Erfahrungen weiter ausbauen.“ Also absolvierte sie weiter ihre Schicht und machte die Schularbeiten abends in ihrer Kabine. Sie hatte Dienst von 6.00 bis 17.00 Uhr. Danach musste sie lernen.

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Es wurde Mai. „Da kam mein kleiner Neffe auf die Welt. Ich bin Patentante, aber ich konnte ihn nicht kennenlernen. Das tat weh“, erinnert sich Gerlach. Anfang Juni kam es zu einer glücklichen Fügung: die „Basle Express“ war wieder auf dem Weg nach Asien, als China meldete, die Pandemie überwunden zu haben. Am 23. Juni war es dann soweit. Der Frachter legte in Hongkong an. Gerlach und die Crew durften abmustern. So waren aus zwei Monaten Seefahrt neun geworden. Und was machte Gerlach als Erstes nach ihrer Ankunft zu Hause? Sie traf sich mit ihrer Familie auf ihrem Segelboot am Ostseestrand. „Das Meer lässt mich nicht los.“ Natürlich nicht. Am kommenden Dienstag geht es wieder an Bord eines Hapag-Lloyd-Schiffs. Diesmal führt die Reise über den Atlantik Richtung USA und Südamerika. Neun Wochen soll die Fahrt dauern. Wer weiß?