Hamburg. Eine hat ihre Basis in Lübeck, eine andere will nach Hamburg fliegen. Sie sehen sich weder als Billiganbieter noch als Klimasünder.

Wer würde schon mitten in der größten Luftfahrtkrise der Nachkriegszeit eine neue Fluggesellschaft gründen? Gleich mehrere Unternehmer sehen darin offenbar keinen Widerspruch: Allein in Deutschland und im benachbarten Dänemark gehen in diesen Monaten vier Airlines an den Start.

Zwei von ihnen haben einen engen Bezug zu Hamburg: Schon seit August verbindet Lübeck Air den Flughafen Lübeck-Blankensee, der für etliche Hamburger aus dem Osten der Stadt genau so schnell zu erreichen ist wie der Fuhlsbütteler Airport, mit München und Stuttgart. Green Airlines hingegen will vom Frühjahr an von Karlsruhe/Baden-Baden aus unter anderem nach Hamburg fliegen, außerdem ist einer der beiden Gründer als Geschäftsmann in Hamburg aktiv.

Corona-Krise: Virtuelle Fluggesellschaften

Bei den zwei dänischen Firmen handelt es sich um den Charterflieger Air Seven, der im Mai den Betrieb aufnehmen will, und um Jettime, den Nachfolger der seit Juli aufgrund der Corona-Pandemie insolventen Chartergesellschaft Jet Time. Deren Jets waren für Reiseveranstalter, aber auch im Auftrag von Kunden wie Mercedes-Benz, Volkswagen und Dänemarks Fußball-Rekordmeister FC Kopenhagen unterwegs.

Abgesehen von Jettime sind die drei anderen Neugründungen das, was man im Branchenjargon eine „virtuelle Fluggesellschaft“ nennt: Sie haben nicht die Lizenz für einen Flugbetrieb in eigener Regie (Air Operator Certificate, AOC), müssen also eine andere Airline damit beauftragen, die Maschinen zu fliegen und technisch zu betreuen.

„Natürlich denkt man angesichts einer Krise von so historischen Dimensionen darüber nach, den Start noch aufzuschieben“, sagt Jürgen Friedel, Geschäftsführer des Flughafens Lübeck und auch von Lübeck Air. Doch dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass bereits erhebliche Investitionen getätigt wurden: Das Terminalgebäude wurde mit Blick auf den Linienbetrieb modernisiert und um einen Anbau für den neuen Wartebereich erweitert, das eigene Passagierflugzeug – gebraucht gekauft von der dänischen Air Alsie, die die Maschine jetzt auch betreibt – war im Juli eingetroffen. So entschieden Friedel und Mit-Geschäftsführer Winfried Stöcker, den Betriebsstart lediglich um einige Woche aufzuschieben.

Lübeck Air musste nach wenigen Wochen Zahl der Flüge halbieren

Mit den anfänglichen Passagierzahlen ist Friedel „nicht unzufrieden, wenn man die Umstände berücksichtigt.“ Er fügt aber an: „Natürlich sind wir bei weitem nicht da, wo wir eigentlich hin wollten.“ Zudem habe Lübeck Air im November die Zahl der Flüge um die Hälfte reduzieren müssen. Dennoch hat Friedel für die nächsten Monate schon Pläne für zusätzliche Verbindungen. Weil sonnabends keine Linienflüge stattfinden, wollen die Lübecker dann Charterflüge für Skitouristen nach Memmingen im Allgäu testen. Für das Frühjahr kann sich Friedel Flüge nach Wien und Zürich vorstellen. Dazu würde ein weiteres Flugzeug angeschafft.

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Für den bisherigen Linienbetrieb nutzt Lübeck Air eine Turboprop-Maschine vom Typ ATR-72. Mit 60 Passagierplätzen bietet sie den Gästen mehr Fußraum als bei der für dieses Flugzeug sonst üblichen Anzahl von 72 Sitzen. Ohnehin positioniert sich das Unternehmen nicht im Billigsegment: Im Ticketpreis – ab 98 Euro nach München (nur Hinflug) – sind eine „kleine Bordmahlzeit“ sowie der Transport eines Aufgabe-Gepäckstücks enthalten.

Green Airlines will nun im zweiten Quartal 2021 losfliegen

Auch wenn Lübeck Air eine eigene Flugbetriebslizenz zwar anstrebt, aber noch nicht besitzt, müsse die Firma beim Passagierkomfort und bei den Ticket-Konditionen keine Kompromisse eingehen, so Friedel: „Wir haben das volle wirtschaftliche Risiko und wir gestalten das Produkt vollständig selbst.“

Ganz ähnlich sieht das Konzept von Green Airlines aus. Auch dieses Unternehmen will mit Turboprop-Maschinen auf Regionalstrecken fliegen und sich nicht durch Billigtickets profilieren. „Wir sind keine Airline mit Kampfpreisen“, sagt Geschäftsführer Stefan Auwetter. Er kooperiert für den Flugbetrieb mit dem französischen Unternehmen Chalair, dessen Flotte aus fünf ATR-Maschinen und acht kleineren Turboprops vom Typ Beech 1900D besteht.

Ursprünglich wollte Green Airlines im November mit Flügen von Karlsruhe/Baden-Baden nach Berlin starten, bis März 2021 sollten die Routen Karlsruhe-Hamburg und Paderborn-Zürich folgen. Nun sagt Auwetter: „Wenn es die Bedingungen zulassen, könnte es im zweiten Quartal kommenden Jahres losgehen.“ Dass Hamburg unter den Zielorten ist, liegt womöglich am Mitgründer Daniel Sander: Er ist gebürtiger Hamburger und der Luftfahrt seit etlichen Jahren geschäftlich verbunden, unter anderem als Besitzer einer Firma, die gebrauchte Flugzeug-Trolleys und Frachtcontainer umarbeitet und an Fans verkauft.

Warum sich Green Airlines als „klimafaire“ Fluggesellschaft sieht

Nach Auffassung von Auwetter wird in der aktuellen Krise deutlich, „dass sich der Flugverkehr insgesamt verändern wird und auch muss“. Daraus ergäben sich große Chancen. Ein neues, schlank aufgestelltes Unternehmen könne dank digitaler Lösungen schneller und beweglicher agieren. So will man den Passagieren ermöglichen, bei der Buchung die Serviceleistungen flexibel an die eigenen Bedürfnisse anzupassen, anstatt starre, an Buchungsklassen orientierte Angebote zu machen.

Vor allem aber will Green Airlines dem Namen entsprechend eine „klimafaire“ Fluggesellschaft sein. Nach Angaben von Auwetter will man mehr Emissionen kompensieren, als durch die einzelnen Flüge entstehen, außerdem soll in den Ticketpreisen die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in den Regionen des Abflug- und Zielflughafens enthalten sein. Denn vorrangig richte sich Green Airlines an Geschäftsreisende, sagt Auwetter, und „das Bewusstsein für Klima- und Umweltfragen nimmt auch bei den Unternehmen weiter zu“.

Klimaschützer sehen gerade die Inlandsflüge besonders kritisch

Zwar sehen Umwelt- und Klimaschützer gerade Inlandsflüge besonders kritisch, weil sie leicht durch Zugfahrten zu ersetzen seien. Doch auch Friedel findet, dass man kein schlechtes Gewissen haben müsse, wenn man mit Lübeck Air nach München oder Stuttgart fliege: „Diese Strecken sind so lang, dass die Bahn keine echte Alternative ist.“ Zudem könne man mit den Online-CO 2 -Rechnern von Klimakompensationsagenturen leicht nachprüfen, dass ein Flug mit der ATR-72 von Lübeck nach München pro Person deutlich weniger als halb so viel CO 2 erzeuge, als es ein Flug mit einem üblichen Jet wie einem Airbus A320 täte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Turboprop-Flugzeuge etwa 4000 Meter niedriger fliegen als Düsenmaschinen. Diese sind für den Reiseflug auf die kalte, dünne Luft nahe der Stratosphäre angewiesen, weil sonst der Verbrauch zu hoch wäre – aber genau in dieser Höhe entfaltet das von den Triebwerken ausgestoßene CO 2 besonders große Klimawirkung.

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Die beiden dänischen Neugründungen hingegen können den Turboprop-Umweltvorteil nicht bieten. Jettime und Air Seven werden ausschließlich Boeing-737-Jets einsetzen. Dabei gehören die für Air Seven vorgesehenen Flieger nicht einmal zu den neueren, sparsameren Ausführungen: Die zwei bereits umlackierten Gebrauchtmaschinen sind immerhin 28 und 30 Jahre alt.