Hamburg. Die drastische Produktionskrise beim Flugzeugbauer trifft nun auch die Zulieferer: Stellenabbau in Hamburg.
Der Nürnberger Diehl-Konzern stürzt die Beschäftigten seiner Luftfahrtzuliefersparte in Hamburg in ein Wechselbad der Gefühle: Kurz vor Weihnachten 2018 schockte man den Standort mit dem Plan, etwa die Hälfte der damals 1100 Arbeitsplätze in der Hansestadt abzubauen.
Nach harten Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft Ver.di hieß es im Oktober 2019, nun sollten lediglich noch 240 Stellen bis 2023 wegfallen. Doch nun kommt es doch wesentlich schlimmer. Angesichts der weltweiten Branchenkrise will Diehl hier mehr als 400 der jetzt noch knapp 900 Arbeitsplätze streichen.
Zudem soll der Abbau nun noch wesentlich schneller umgesetzt werden – größtenteils schon bis Ende nächsten Jahres. Betriebsbedingte Kündigungen könnten aktuell nicht ausgeschlossen werden, heißt es von dem Unternehmen, das in Hamburg Bordküchen und -toiletten für Flugzeuge entwickelt und produziert. Hauptabnehmer ist Airbus.
Langstreckenjets haben viele Küchen, sind jetzt aber kaum gefragt
„Nachdem im Frühjahr noch eine relativ schnelle Erholung von dem coronabedingten Einbruch möglich schien, müssen wir jetzt davon ausgehen, dass die Branche erst in mehreren Jahren wieder ein Niveau wie vor der Pandemie erreichen kann“, sagt Rainer von Borstel, Chef von Diehl Aviation, der Luftfahrtzuliefersparte des Industriekonzerns.
„Für uns ist das Marktsegment der größeren Flugzeuge für Langstrecken besonders bedeutend, weil in diese Jets deutlich mehr Waschräume und Küchen eingebaut werden als in Kurz- und Mittelstreckenjets“, erklärt der Manager. „Aber gerade die Langstreckenmaschinen sind durch die aktuelle Krise stärker betroffen.“ So hat Airbus die monatliche Produktionsrate des Typs A330neo im April von zuvor 4,5 auf nur noch zwei Jets zurückgefahren.
Schon der Wegfall des doppelstöckigen A380 hat Diehl getroffen
Die Einbußen bei Diehl sind heftig: „In diesem Jahr fehlen uns etwa 40 Prozent des Geschäfts, das wir noch 2019 erzielen konnten“, sagt Rainer von Borstel. „Im kommenden Jahr werden wir eher noch weniger Umsatz erwirtschaften, weil es in diesem Jahr bis März ja noch normal lief.“ Das erklärte Ziel ist es, Ende 2022 die dann noch verbliebenen Mitarbeiter wieder voll beschäftigen zu können. Allerdings wird man nach Einschätzung des Spartenchefs auch nach einem Ende der Covid-19-Welle noch reichlich Gegenwind haben: „Wenn die Pandemie überwunden ist, werden wir gegen einen Wettbewerb antreten müssen, der so hart und aggressiv ist wie nie zuvor.“
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Denn schon vor Beginn der Corona-Krise habe in der Branche eine Konsolidierungswelle eingesetzt. So hatte Diehl das vorige, im Dezember 2018 angekündigte Sparprogramm nicht nur mit dem Auslaufen der Fertigung des doppelstöckigen A380 im kommenden Jahr begründet, sondern auch mit dem zunehmenden Kostendruck durch immer größere Wettbewerber.
75 Prozent erwirtschaftet Diehl mit Ausstattung von Neuflugzeugen
Etwa 75 Prozent des Geschäfts von Diehl Aviation werden mit der Ausstattung von Neuflugzeugen erwirtschaftet, die restlichen 25 Prozent mit Kabinennachrüstungen der schon im Linieneinsatz stehenden Maschinen. Bereits seit längerer Zeit bemüht sich das Team um Rainer von Borstel, diesen Teil des Geschäfts auszuweiten – auch um die Abhängigkeit vom Großkunden Airbus zu verringern.
Zu den Neuerungen, mit denen das erreicht werden soll, gehört unter anderem eine berührungslos benutzbare Bordtoilette: Mittels einer Art Bewegungsmelder kann ein Passagier den Waschraum betreten, den Toilettendeckel anheben, die Spülung betätigen, den Wasserhahn einschließlich der Temperaturregelung sowie den Seifenspender bedienen und den Raum wieder verlassen, ohne etwas angefasst zu haben. „Damit sind wir offenbar weiter als die Wettbewerber“, sagt Helge Sachs, Leiter Produktinnovation bei Diehl Aviation, im Juli dem Abendblatt. Auch verbesserte Luftfilter würden entwickelt.
Den Airlines wird noch längere Zeit das Geld für Investitionen fehlen
„Unser Konzept für Kabinen, die das Infektionsrisiko noch weiter senken, stößt bei Airlines zwar auf Interesse“, sagt Rainer von Borstel. Aber: „Airlines müssen derzeit sehr hohe Verluste hinnehmen. Schon daher wird es einige Jahre dauern, bis die Fluggesellschaften wieder die Finanzkraft haben zu investieren.“ Zudem seien die Einbußen bei der Ausstattung von Neuflugzeugen derzeit zu hoch, als dass Nachrüstungen sie ausgleichen könnten.
Wie Diehl am späten Montagnachmittag mitteilte, sollen deutschlandweit den neuen Plänen zufolge bis zu 1400 von 4400 Stellen des Luftfahrtbereichs wegfallen. Entlassungen sollen so weit wie möglich vermieden werden, zunächst setze man auf „sozial verträgliche“ Maßnahmen wie Altersteilzeitprogramme und freiwilliges Ausscheiden von Beschäftigten.
„Wir wollen ein Zukunftskonzept für Diehl Aviation – keinen Personalabbau über betriebsbedingte Beendigungskündigungen“, hieß es dazu vom Betriebsrat des Unternehmens. Schon vor Beginn der Corona-Krise hätten der Betriebsrat und die IG Metall gefordert, unter Beteiligung der Belegschaft ein solches Konzept zu entwickeln.