Hamburg. Allianz verabschiedet sich von voller Beitragsgarantie. Was das für Alt und Neukunden bedeutet, wie Riester-Verträge betroffen sind.

Seit Jahren schon müssen sich Kunden von Lebens- und Rentenversicherungen mit einer sinkenden Verzinsung abfinden und jetzt geht es auch noch an die Garantie der eingezahlten Beiträge. Bei Neuverträgen verabschiedet sich Marktführer Allianz von der jahrzehntelangen einhundertprozentigen Beitragsgarantie. Experten erwarten, dass andere Lebensversicherer folgen werden, weil die Gesellschaften wegen der niedrigen Zinsen in immer schwierigeres Fahrwasser geraten. Auch bei Riester-Verträgen wackelt die Beitragsgarantie. Was kommt auf die Kunden zu? Bringt die neue Strategie eine höhere Rendite? Welche Konsequenzen hat das für bestehende Verträge? Was wird aus Riester-Verträgen und betrieblicher Altersvorsorge? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was bedeutet das für eine neu abgeschlossene Police?

Ab dem nächsten Jahr wird es bei der Allianz in der privaten Altersvorsorge nur noch Garantien geben, die je nach Kundenwunsch bei 90, 80 oder 60 Prozent der eingezahlten Beiträge liegen. „Das ist der endgültige Bruch mit Produkten, die wenigstens Verluste verhindern“, sagt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten. Denn eine hundertprozentige Kapitalgarantie gibt es nicht mehr. Das betrifft vor allem private Rentenversicherungen.

Schon bisher hat die Allianz mit dem Tarif Per­spektive einen Tarif favorisiert, der die eingezahlten Beiträge nicht mehr jährlich, sondern nur zum Ende des Sparvorgangs garantierte. Als Folge ist die aktuelle Überschussbeteiligung geringfügig höher (2,6 Prozent) als bei einer Rentenversicherung mit klassischer Garantie (2,5 Prozent). Ab 2021 sinkt für Neuverträge dieses Tarifs die Garantie auf 90 Prozent. Zwei Drittel der Kunden sind bereit, in der Niedrigzinsphase für höhere Renditen auf einen Teil der Garantien zu verzichten“, sagte Allianz-Leben-Vorstandschef Andreas Wimmer. „Viele Kunden sehen den Zusammenhang von Rendite und Garantie differenzierter in Zeiten, in denen sie für ihr Erspartes kaum noch Zinsen oder teilweise Negativzinsen bekommen.“

Weniger Garantie – was bedeutet das für die Anlagestrategie?

Bei einer 30 Jahre laufenden Rentenpo­lice, die 2021 bei der Allianz gekauft wird und noch eine Rückzahlung der Beiträge im Umfang von 80 Prozent garantiert, können etwa zwei Drittel der Gelder in risikoreichere Anlagen gesteckt werden. „Durch die Kombination des Sicherungsvermögens mit Anlagen wie Aktien, alternativen Anlagen wie etwa zur Infrastruktur, Unternehmens- und Schwellenländeranleihen lassen sich auch in Zeiten von Null- und Negativzins attraktive und sichere Lösungen gestalten“, sagt Wimmer. „Die Risiken werden zunehmend auf den Anleger verlagert und das Produkt wird komplizierter und unkalkulierbarer“, sagt hingegen Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Die Allianz sieht das anders und verweist auf die stabilisierende Wirkung des starken Sicherungsvermögens der Allianz Leben. Bei kapitalmarktnahen Konzepten wird die Aufteilung zwischen dem Sicherungsvermögen und den chancenorientierten Anlagen täglich geprüft und gegebenenfalls angepasst. Allerdings: Auch das Sicherungsvermögen der Allianz ist mit nur noch weniger als der Hälfte der Anlagen in Staatsanleihen der Industrieländer oder Pfandbriefen investiert, dafür aber rund 45 Prozent in chancenorientierten Anlagen wie Aktien. „Das Produkt wird zum Risikoinvestment“, sagt Kleinlein.

Was ist mit Riester-Verträgen?

Altersvorsorgeprodukte der sogenannten zweiten Schicht erfordern noch ein Garantieniveau von 100 Prozent, weil das der Gesetzgeber so vorschreibt. Das gilt für Vorsorgeprodukte, die an die Erwerbstätigkeit gekoppelt sind. Zu diesen Produkten zählt die Riester-Rente und die betriebliche Altersvorsorge (bAV). „Wo es gesetzlich verankert ist, bieten wir 100 Prozent Garantie an“, heißt es bei der Allianz. Hinter den Kulissen laufen jedoch Reformbestrebungen, die eine Aufweichung der Garantien zum Inhalt haben. Bei der Riester-Rente ist eine 80-Prozent-Garantie im Gespräch und bei der Betriebsrente für die Beitragszusage mit Mindestleistung eine Garantie oberhalb von 50 Prozent. „In einer Welt ohne positiven Nominalzins muss die Altersvorsorge neu gedacht werden – das gilt auch für Riester und die betriebliche Altersversorgung“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft.

Sind Altverträge betroffen?

Wer bei der Allianz eine Lebens- und Rentenversicherung bereits abgeschlossen hat, ist von den neuen Regelungen nicht betroffen. Die Verträge werden unverändert weitergeführt. Die einst vereinbarte Garantie bleibt unangetastet. In der Vergangenheit wurden bei wesentlich höheren Marktzinsen den Kunden Garantiezinsen von bis zu vier Prozent gewährt. Verzinst werden damit aber nicht die eingezahlten Beiträge, sondern nur der Sparbeitrag, der nach Abzug der Kosten übrig bleibt.

Lohnt jetzt noch der Abschluss einer Police mit voller Garantie?

„Es war schon in der Vergangenheit nicht richtig, mit unflexiblen Lebens- oder Rentenversicherungen für das Alter vorzusorgen“, sagt Klug. „Die neuen Regelungen machen die Produkte noch unattraktiver. Wenn das Kapitalmarktrisiko auf den Kunden verlagert wird, kann er auch gleich in einen ETF-Sparplan investieren, etwa in Kombination mit festverzinslichen Anlagen, für die auch die kostengünstigen Exchange Traded Funds (ETF), also börsengehandelte Indexfonds, genutzt werden können.“ Für Verbraucherschützer Kleinlein sind die neuen Versicherungsprodukte „schlechter als der Sparstrumpf“.

Werden Wettbewerber der Allianz folgen?

„Die anderen Anbieter werden dem Marktführer folgen, daran habe ich keinen Zweifel“, sagt Kleinlein. Die klassische Police mit Garantiezins, die wegen der vielen Altverträge in Deutschland noch immer dominiert, gilt in der Branche bereits seit Längerem als Auslauf­modell. Es dürfte angesichts anhaltend niedriger Zinsen nur eine Frage der Zeit sein, bis die klassischen Policen mit voller Garantie im Neugeschäft praktisch keine Rolle mehr spielen.

Warum ist die Lage der Lebensversicherer so schwierig?

Seit Jahren leiden die Lebensversicherer in Deutschland unter den historisch niedrigen Kapitalmarktzinsen. Das ist eine Folge der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Als Folge sinkt seit Jahren die durchschnittliche Verzinsung (Überschussbeteiligung) der Lebens- und Rentenversicherungen (s. Grafik). In diesem Jahr liegt sie bei 2,23 Prozent, während die Versicherten vor zehn Jahren noch 4,20 Prozent erhielten. Auch verschärfte Eigenkapitalanforderungen begrenzen die Spielräume der Lebensversicherer. Den Gesellschaften fällt es zunehmend schwerer, die erforderlichen Renditen zu erwirtschaften, um die versprochenen Garantieleistungen langfristig zu erfüllen.

Seit 2011 müssen Versicherer deshalb eine Zinszusatzreserve (ZZR) bilden, um dafür zu sorgen, trotz niedriger erwirtschafteter Zinsen die garantierten Leistungen erfüllen zu können. Vom nächsten Jahr an müssen Lebensversicherer nun auch für Verträge mit einem Garantiezins von 1,75 Prozent Rückstellungen bilden. Dieser Zins galt bis 2015. „Damit ist für 2021 eine stärkere Erhöhung der ZZR zu erwarten als in den letzten beiden Jahren. Schon jetzt jedoch können viele Lebensversicherer die ZZR kaum noch schultern“, sagt Kleinlein. „Wir erwarten branchenweit eine Erhöhung der ZZR von etwa 80 auf knapp 100 Milliarden Euro. Wenn überhaupt, werden einige Versicherer die zusätzliche Belastung nur durch das Verscherbeln des Tafelsilbers stemmen können.“

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Soll ich meinen Vertrag jetzt kündigen?

Aus der Abschaffung der vollen Beitragsgarantie ergibt sich kein Grund dafür, da Bestandskunden nicht betroffen sind. Wer dennoch unzufrieden mit seiner Police ist, sollte sich vor einer möglichen Kündigung von Experten beraten lassen. Das sind Verbraucherzentralen, der Bund der Versicherten oder unabhängige Versicherungsberater, die den bestehenden Vertrag überprüfen können. Denn ein vorzeitiger Ausstieg kann zu Verlusten führen. Bei finanziellen Problemen kann der Vertrag beitragsfrei gestellt werden. Aber auch das führt zu geringeren Leistungen.