Hamburg. Waggonvermieter steigert Umsatz, stellt Mitarbeiter ein und kauft Firma. Der Logistiker könnte von der Pandemie profitieren.

Heiko Fischer ist seit 16 Jahren Vorstandschef des Hamburger Logistikunternehmens VTG und hat schon viele Krisen durchgestanden. Aber so etwas wie Corona hat er – natürlich – auch noch nicht erlebt. „Ich glaube, wir stehen gesamtwirtschaftlich an einem Scheideweg. Schon heute ist festzustellen, dass die Kauflaune sinkt und dass die Menschen versuchen, ihr Geld zusammenzuhalten. Wird der Herbst ähnlich schlimm wie das Frühjahr, hat das negative psychologische Auswirkungen. Und dann kann es zu einem wirtschaftlichen Einbruch kommen, von dem sich das Land nicht schnell erholen wird“, sagt er im Gespräch mit dem Abendblatt.

Dabei muss er sich um sein eigenes Unternehmen wenig sorgen. Nachdem Europas größter privater Vermieter von Eisenbahnwaggons das Jahr 2019 mit dem mit Abstand besten Geschäftsergebnis in der Geschichte absolviert hat, ist es dem Konzern trotz Corona gelungen, das Niveau im ersten Halbjahr 2020 zu halten. Mit 605,8 Millionen Euro gelang es sogar, den Umsatz um 1,1 Prozent leicht zu steigern. Die Gewinngröße Ebitda blieb mit 245,8 Millionen Euro nahezu auf Vorjahreshöhe und ging nur leicht um 0,5 Prozent zurück.

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Die neuen Eigentümer haben VTG mittlerweile von der Börse genommen

„Wir haben hier und da ein wenig Transportvolumen verloren, aber insgesamt haben wir im ersten Halbjahr ein gutes Ergebnis erzielt. Die Waggonvermietung läuft weiterhin stabil“, sagt Heiko Fischer. Hamburger Anleger, bei denen die VTG-Aktie beliebt war, können davon aber nicht mehr profitieren. Die neuen Eigentümer haben VTG mittlerweile von der Börse genommen. Nun gehört das Unternehmen, das 95.000 Waggons in der Vermietung hat, mehrheitlich der US-amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley.

Fürs zweite Halbjahr bleibt Fischer vorsichtig: „Was den weiteren Verlauf betrifft, müssen wir abwarten, wie sich das Infektionsgeschehen und die Infektionsschwere im Herbst entwickeln.“ Zugleich sieht er aber auch Vorteile, die sich aus der Krise für sein Unternehmen ergeben können. „Ich glaube, dass die Krise dem Schienentransport und damit auch uns Vorschub leisten kann.“ Fischer zielt dabei auf die Produktionsstillstände bei zahlreichen produzierenden Betrieben ab, denen mit Ausbruch der Pandemie von heute auf morgen der Nachschub ausgegangen war. „Wir sehen derzeit, welche Bedeutung die Schiene für die Versorgungssicherheit hat.

Hamburger Firma baut nahe Hildesheim selbst Waggons

Mit dem System können große Mengen über weite Entfernungen mit wenig Personaleinsatz transportiert werden. Zudem hat sich beim Einbruch der Logistikketten gezeigt, dass es falsch ist, sich immer nur auf Lieferung just in time zu verlassen. Ich denke, die Industrie wird wieder mehr Augenmerk auf eine Bevorratung legen.“ Dazu müsse sie nicht unbedingt teure Lager bauen. Waren für einige Tage im Waggon zu lagern könne eine günstige Alternative sein, so Fischer.

So scheut er auch nicht davor zurück, in der Krise seinen Konzern weiter auszubauen. Im Juni schloss die VTG die Übernahme des slowakischen Eisenbahnverkehrsunternehmens Carbo Rail mitsamt 25 Lokomotiven und rund 150 Mitarbeitern ab. Nur einen Monat später erweiterte die VTG ihre Werkspräsenz in Osteuropa mit der Übernahme eines Eisenbahninstandhaltungswerks im slowakischen Želos. Fischer wiegelt ab: „Die Übernahme des slowakischen Instandhaltungswerks ist weniger eine Expansion als vielmehr eine Abrundung unseres Geschäfts vor Ort. Wir hatten, was Reparaturstandorte betrifft, einen gewissen Nachholbedarf in Osteuropa.“ VTG vermietet nicht nur Waggons. In Elze im Landkreis Hildesheim betreibt das Hamburger Unternehmen ein eigenes Werk zum Neubau. Erst kürzlich konnte ein Vertrag mit Medway Italia über die Lieferung von 60 Containertragwagen abgeschlossen werden, von denen 40 bereits abgeliefert sind.

Zahl der VTG-Mitarbeiter in Hamburg gestiegen

Gerade im Bau von Spezial-Waggons ist VTG präsent. Zusammen mit DB Cargo hat die VTG nach eineinhalbjähriger Entwicklungsarbeit einen innovativen „modularen“ Tragwagen für die Schiene vorgestellt. Der Wagen kann je nach Ladungsbedarf mit unterschiedlichen Aufbauten ausgestattet und in der Länge angepasst werden. Und mit Traigo hat VTG ein digitales System entwickelt, dass Eisenbahnbetreibern die Verwaltung der Flotte erleichtert. Laufleistung, Standzeiten von Zügen, Schäden, Werkstattaufenthalte – alles lässt sich über einen Bildschirm abrufen.

Dies ist die Aufgabe der Mitarbeiter. 1750 Beschäftigte zählt das Unternehmen mittlerweile weltweit. An seinem Stammsitz in Hamburg hat es die Zahl seiner Beschäftigten seit Jahresanfang um 40 auf 520 aufgestockt. Und es geht weiter. „Wir haben in Hamburg einen leichten Mitarbeiteraufbau“, sagt Fischer. Obgleich noch nicht alle wieder in der Zentrale am Nagelsweg arbeiten. „Weniger als 50 Prozent unserer Mitarbeiter befinden sich derzeit im Home­office.“

Fischer: „Homeoffice wird Büro nicht ersetzen“

Fischer glaubt aber, dass die Büroarbeit nach Corona wieder eine Zukunft hat. „Ich finde all diese Prognosen, die das Ende des Büros ausrufen, fragwürdig. Viele Dinge lassen sich tatsächlich leicht und unkompliziert per Videokonferenz klären. Es ist aber auch festzustellen, dass gerade in der Industrie komplexere Prozesse erst einmal nach hinten geschoben werden. Das Homeoffice wird das Büro in Zukunft nicht komplett ersetzen.“

Hamburg habe sich in dieser Krise bisher gut gehalten, meint Heiko Fischer abschließend: „Jetzt zahlt sich aus, dass der Bürgermeister mit den Lockerungen vorsichtig umgegangen ist. Das derzeitige Infektionsgeschehen zeigt, dass vor allem Großstädte mit vielen Begegnungsstätten von einer schnellen Virusverbreitung betroffen sind.“