Hamburg. Heiko Fischer kritisierte seinen größten Aktionär – um seinen Job fürchtet er allerdings trotzdem nicht.

Hamburgs Eisenbahnkonzern VTG sorgt für Schlagzeilen. Erst kündigte der Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne an, seinen 20-Prozent-Anteil an VTG an den In­frastruktur-Fonds der US-Investmentbank Morgan Stanley zu verkaufen. Dann unterbreiteten die Amerikaner, die damit auf gut 49 Prozent der Anteile kommen, den restlichen Anteilseignern ein Übernahmeangebot zu 53 Euro je Aktie. Zu guter Letzt stellte sich VTG-Vorstandschef Heiko Fischer gegen den neuen Großaktionär und sagte, das Unternehmen sei viel mehr Wert als 53 Euro pro Aktie. Im Abendblatt-Interview erklärt er, ob er jetzt um seinen Job bangt, und was er mit der mutigen Entscheidung bezweckt.

Herr Fischer, wie lange wollen Sie noch Vorstandsvorsitzender von VTG bleiben?

Heiko Fischer: Solange man mir das Vertrauen schenkt und ich die Gewissheit habe, mich strategisch wie bisher einbringen zu können. Ich fühle mich hier, wie alle wissen, sehr wohl. Wir haben das Unternehmen in den verschiedensten Eigentümerkonstellationen immer strategisch weiterentwickeln können. Und das wollen wir auch weiterhin. Wir haben ja auch die Aussagen des künftigen Mehrheitsaktionärs Morgan Stanley Infrastructure, dass sie das Unternehmen unterstützen und kontinuierlich weiterentwickeln wollen.

Aber Sie haben sich mit Ihrem Hauptaktionär Morgan Stanley angelegt. So stellt es sich nach außen zumindest dar.

Fischer: So würde ich das gar nicht sehen. Wir haben keine Aktionen unternommen, um dessen Übernahmeangebot an die Aktionäre zu behindern. Wir haben lediglich pflichtgemäß eine vorläufige Einschätzung zum Preis abgegeben. Unsere Einschätzung wird zu konkretisieren sein, wenn das von der Bankenaufsicht abgesegnete Übernahmeangebot vorliegt. Dann werden Aufsichtsrat und Vorstand dazu eine sogenannte Begründete Stellungnahme abgeben, die auf alle Angebotsinhalte eingeht. Bezüglich des Preises wird diese sicher nicht komplett anders ausfallen. Wir müssen als Treuhänder und Sachwalter der außenstehenden Aktionäre streng nach Recht und Gesetz handeln. Nichts anderes haben wir bisher getan.

Aber im Grunde genommen haben Sie doch Ihrem Großaktionär ein günstiges Geschäft teurer gemacht.

Fischer: Das glaube ich gar nicht. Was Morgan Stanley für die Übernahme der Aktien von Herrn Kühne mit diesem vereinbart hat, wird doch davon gar nicht tangiert. Es ist nur der Hinweis des Managements an andere Investoren, dass wir dritten Aktionären die Annahme des Angebots zu diesem Preis nicht empfehlen können, weil verschiedene Faktoren aus unserer Sicht nicht berücksichtigt sind. Da ist zum einen die Digitalisierung, bei der wir in der Bahnbranche weit vorne sind. Dann der Effekt der Übernahme des Konkurrenten Nacco, die unmittelbar bevorsteht. Und schließlich das Fehlen einer Übernahmeprämie. Dass wir so reagiert haben, hat Morgan Stanley meines Wissens nach auch nicht überrascht. Wir mussten so reagieren. Ich sehe da keinen großen Dissens.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Morgan Stanley?

Fischer: Gut und professionell. Wir gehen als Vorstand davon aus, im Falle der Übernahme, in die weiteren strategischen Überlegungen eingebunden zu werden. Wir haben die letzten 15 Jahre mit der VTG eine große Erfolgsgeschichte geschrieben, der wir sehr gern weitere Kapitel hinzufügen wollen.

53 Euro pro Aktie finden Sie zu wenig. In welcher Höhe sehen Sie denn für Aktio­näre einen angemessenen Preis?

 Fischer: ch sage zum Preis, der am Ende herauskommen sollte, nichts. Das ist eine Frage, die im Wesentlichen die Aktionäre und der Markt aushandeln. Wir beschränken uns darauf zu sagen, 53 Euro sind zu wenig.

Mancher Vorstand hätte sich nicht getraut, einem Großaktionär, der zukünftig 49 Prozent halten wird und sich anschickt die Mehrheit zu übernehmen, so in die Suppe zu spucken. Haben Sie lange darüber nachgedacht, ob Sie das tun sollen?

Fischer: Wir haben natürlich lange darüber nachgedacht, was die richtige, angemessene Reaktion ist. Ich bin aber auch nicht mancher Vorstand und naturgemäß nicht nur einem Aktionär verpflichtet, sondern allen Aktionären und Stakeholdern. Wir wären hier nicht richtig als Vorstand aufgehoben, wenn wir darüber hinweggehen würden.

Spielt dabei auch eine Rolle, dass Morgan Stanley als amerikanische Bank, Ihnen bestimmte Geschäfte beispielsweise in Russland verbieten könnte, die von den USA sanktioniert sind?

Fischer: Die VTG überprüft ihre Geschäftsbeziehungen fortlaufend auf sanktionsrelevante Sachverhalte. Morgan Stanley ist aber gegebenenfalls einem noch strengeren Rahmen unterworfen als die VTG. Deshalb muss in einem Übernahmeprozess genau abgeklopft werden, ob es zu Problemen kommen könnte.

Das Übernahmeangebot hat Sie zu einer Zeit erwischt, in der Sie schon genug mit dem Kauf des französischen Mitbewerbers Nacco zu tun hatten, der ja nicht reibungslos gelaufen ist ...

Fischer:... dass die beiden Großaktionäre Morgan Stanley und Kühne Holding das Übernahmegeschäft in dieser wichtigen Phase losgetreten haben, kann man nur so interpretieren, dass sie von der hohen Leistungsfähigkeit der VTG-Mitarbeiter überzeugt sind.

Sie haben vor einem Jahr die Übernahme des französischen Konkurrenten Nacco angekündigt. Das hatten die Kartellbehörden zunächst untersagt, weil diese befürchteten, dass die VTG dann eine marktbeherrschende Stellung erhält. Sie betreiben mehr als 83.000 Waggons. Hätten Sie den Einspruch der Wettbewerbshüter nicht voraussehen können?

Fischer: Nein, nicht unbedingt. Wir haben diese Transaktion vor einem Jahr natürlich nicht aufs Geratewohl hinaus unternommen. Wir hatten selbstverständlich intensive kartellrechtliche Überlegungen im Vorhinein angestellt. Wir hatten dabei aber den relevanten Markt weiter gefasst. Dem sind die Aufsichtsbehörden nicht gefolgt. Das war für uns eine Überraschung.

Wie geht es jetzt weiter in diesem Übernahmeprozess?

Fischer: Um den Forderungen der Kartellbehörden nachzukommen, werden wir auf einen Teil der Nacco-Gruppe verzichten, für die wir jetzt einen neuen Käufer gefunden haben. Diesem geben wir rund 4400 Waggons der Nacco-Gruppe samt Verträgen ab.

Wie viele verbleiben Ihnen dann nach der Übernahme?

Fischer: Rund 10.000. VTG kommt damit insgesamt auf mehr als 93.000 Waggons. Die Transaktion wird aller Voraussicht nach Anfang Oktober durch sein.

Was bedeutet diese große Nacco-Übernahme für Hamburg?

Fischer: Eine Stärkung. Personell wird es aber nur einen geringen Zuwachs in den Konzernfunktionen geben. Unser zweitgrößter Standort in der Waggonvermietung ist Paris, auch dort wird es einen Zuwachs geben.

Keinen Zuwachs, sondern einen Rückgang verzeichnet der Hamburger Hafen. Sind Sie davon betroffen?

Fischer: Nicht direkt. Wir machen zwar Geschäfte im Hamburger Hafen. Das ist aber nicht die Masse. Dennoch sehe ich die Entwicklung des Hafens durchaus mit Sorge. Der relative Verlust an Ladung gegenüber den Westhäfen, ist ein klares Zeichen, dass Hamburg an Attraktivität verloren hat. Das kann auf Dauer für den Logistik-Standort nicht ohne negative Folgen bleiben.