München/Berlin. Fünf Jahre nach Auffliegen des Dieselskandals hat der erste Strafprozess begonnen. Vor Gericht steht dabei Ex-Audi-Chef Rupert Stadler.

Rupert Stadler fährt im Mercedes vor. Ausgerechnet. Sein halbes Leben lang hat der 57-Jährige versucht, Daimler Kunden abzujagen. Und das oft mit Erfolg. Seit 1990 arbeitete Stadler bei Audi, begann im Controlling und kletterte die Karriereleiter bis ganz nach oben. 2007 folgte er Martin Winterkorn als Vorstandsvorsitzender nach, nachdem dieser auf den Chefposten des VW-Mutterkonzerns gewechselt war.

Stadler, der 26 Kilometer Luftlinie vom Audi-Hauptsitz in Wachenzell als Sohn eines Landwirts aufwuchs, hatte es geschafft. Und er machte weiter. Kaum ein Jahr verging, in dem kein Audi das „Goldene Lenkrad“ gewann. Immer wieder heimste auch Stadler selbst Auszeichnungen ein, wurde von mehreren Verbänden zum Unternehmer des Jahres gewählt. Dann wurde 2015 der Dieselskandal öffentlich. Und die Erfolgsgeschichte nahm ein Ende.

Dieselskandal: Erster Strafprozess hat begonnen

Fünf Jahre später hat nun der erste Strafprozess um den Skandal, bei dem elf Millionen Fahrzeuge des VW-Konzerns mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden waren, in München begonnen. Und als brauche es noch mehr Symbolik, so findet dieser ausgerechnet im Gefängnis statt. Das sei kein böses Omen, erklärt die Justiz, sondern habe pragmatische Gründe. Der Verhandlungssaal der Justizvollzugsanstalt Stadelheim biete einfach den meisten Platz.

Und dennoch ist der Platz nicht ansatzweise groß genug, um dem Interesse nach der Frage, wer die Schuld am Dieselskandal trägt, Herr zu werden. Allein 280 Journalisten hatten sich für den Prozessauftakt angemeldet, in den Saal durften aufgrund der Corona-Beschränkungen nur elf Berichterstatter.

Rupert Stadler ist der prominenteste Beschuldigte, der auf der Anklagebank Platz nehmen muss. Dabei sind die in der rund 90-seitigen Anklageschrift erhobenen Vorwürfe gegen ihn weniger schwerwiegend als gegen drei seiner ehemaligen Kollegen, die ebenfalls angeklagt sind.

Ex-Audi-Chef Rupert Stadler nahm am Mittwoch auf der Anklagebank Platz.
Ex-Audi-Chef Rupert Stadler nahm am Mittwoch auf der Anklagebank Platz. © dpa | Peter Kneffel

Bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe drohen

Der frühere Leiter der Audi-Motorenentwicklung ist darunter, Wolfgang Hatz. Er musste bereits neun Monate in Untersuchungshaft in Stadelheim verbringen. Außerdem müssen sich die beiden Ingenieure Giovanni P. und Henning L. verantworten. Sie waren bereits zum Teil geständig und haben die Topmanager mit ihren Aussagen belastet.

Die Anklage wirft Hatz sowie den beiden Ingenieuren vor, dass sie den Betrug veranlasst haben sollen. Und die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, diesen Vorwurf für über 424.000 Fahrzeuge von Audi, Porsche und VW in Europa und den USA nachweisen zu können. Allein in den USA sei dadurch ein Schaden von mehr als 3,1 Milliarden Euro entstanden. Neben dem Vorwurf des Betrugs wirft die Staatsanwaltschaft allen vier Beschuldigten auch mittelbare Falschbeurkundung und strafbare Werbung vor.

Der frühere Leiter der Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz (Mitte), auf dem Weg zum Gerichtssaal.
Der frühere Leiter der Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz (Mitte), auf dem Weg zum Gerichtssaal. © AFP | Christof Stache

Vorwürfe gegen Stadler sind weniger schwerwiegend

Die strafbare Werbung betrifft Stadler am meisten. Er soll laut Anklage erst ab 2015 von der Manipulation gewusst haben. Anschließend habe er aber nicht verhindert, dass der Verkauf der Fahrzeuge gestoppt werde, sondern habe diese weiter als vermeintlich sauberen Diesel angepriesen. Über 120.000 Audis wurden noch ausgeliefert, sie mussten für insgesamt rund 27,5 Millionen Euro nachgerüstet werden.

„Dass die Vorwürfe gegen Rupert Stadler nicht so schwerwiegend sind wie gegen die drei Hauptbeschuldigten, führt zu der Ableitung, dass die Beweislage gegen ihn wahrscheinlich nicht so stark ist“, sagte Rechtsanwalt Philipp Caba von der Berliner Rechtsanwaltskanzlei Gansel unserer Redaktion.

Verfahren könnte für Zivilklagen relevant werden

Es sei schwierig, solche Vorwürfe in den Vorstandsetagen nachzuweisen. „Bei den Ingenieuren halte ich die Wahrscheinlichkeit für höher, dass es zu einer Verurteilung kommt, sei waren ja in Teilen bereits geständig“, sagt Caba. Die Höchststrafe bei einem solch schweren Betrug beträgt zehn Jahre Freiheitsstrafe. Caba geht bei einer Verurteilung maximal von einem Drittel der Höchststrafe aus.

Allerdings erhofft sich der Rechtsanwalt, neue Informationen zu erlangen, die für mögliche Zivilklagen von Betroffenen relevant sein könnten. Eine zusätzliche Anklage würde sich gegen weitere Audi-Manager richten. „Umso mehr Druck auf das mittlere Management entsteht, umso größer ist die Chance, dass immer mehr auspacken und der wahre Ablauf der Ereignisse ans Tageslicht kommt“, sagt Caba.

Auch Winterkorn wird vor Gericht erscheinen müssen

Doch nicht nur das mittlere Management wird sich vor Gericht verantworten müssen, auch die höchsten Entscheidungsträger wie eben Stadler stehen im Fokus. Erst vor kurzem ließ das Oberlandesgericht Braunschweig die Anklage gegen Stadlers Vorgänger und früheren VW-Chef Martin Winterkorn zu, der sich bald vor Gericht verantworten muss. Winterkorn trat im September 2015 zurück.

Rupert Stadler blieb dagegen noch fast drei Jahre bis zu seiner Verhaftung im Juni 2018 Audi-Chef. Ein Fehler, findet Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer: „In diesen drei Jahren hatte es Stadler schwer, da viele Technikvorstände gekommen sind und wieder entlassen wurden, während gegen ihn selbst die Vorwürfe immer lauter wurden.“ Audi habe in dieser Zeit „seinen Vorsprung komplett verspielt und fährt noch heute hinterher“, sagte Dudenhöffer unserer Redaktion.

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Urteil wird erst 2022 erwartet

Bis es im Prozess gegen ihn sowie die weiteren Beschuldigten zu einem Urteil kommt, wird es noch dauern. 181 Verhandlungstage sind angesetzt, ein Urteil wird erst im Dezember 2022 erwartet. Es deutet sich ein zäher Prozess an.

Die Ingenieure P. und L. beschuldigen die Führungskräfte Hatz und Stadler, die wiederum von nichts gewusst haben wollen. Und noch bevor am Mittwoch die stundenlange Verlesung der Anklageschrift beginnen konnte, machte Stadlers Verteidiger deutlich, dass er bereit ist, mit allen juristischen Mitteln für seinen Mandanten zu kämpfen – auch wenn es das Privatleben der Richter betrifft.

Er fragte per Auskunftsantrag, ob aus dem Kreis der Richter, Schöffen und Ersatzrichter jemand selbst oder dessen Partner seit 2009 Autos mit von Audi entwickelten Motoren gefahren habe. Nicht dass jemand befangen sei. Das Gericht wird später antworten.

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