Hamburg. Geschäftsführer Hans Bongartz über Pendeln zwischen Holland und Hamburg, ehrgeizige Wachstumsziele sowie hohe Strompreise.

Hans Bongartz bittet zum Gespräch in den 7. Stock der Lichtblick-Zentrale am Zirkusweg auf St. Pauli. Der Weg in den Konferenzraum führt vorbei an weithin verwaisten Büros. Der Großteil der mehr als 400 Beschäftigten des Ökostrom-Anbieters arbeitet im Home­office. Der 52 Jahre alte Niederländer komplettiert seit Mitte April das Geschäftsführungsquartett, er kommt vom niederländischen Mutterunternehmen Eneco und verantwortet die Unternehmensentwicklung von Lichtblick. Im Abendblatt-Interview spricht er über seinen ungewöhnlichen Start in Hamburg, den Wandel des Ökoenergie-Anbieters zum Klimaschutz-Unternehmen – und er sagt, wie grüner Strom in Deutschland billiger werden könnte.

Hamburger Abendblatt: Herr Bongartz, Sie haben mitten im Lockdown Ihren Geschäftsführerposten in Hamburg angetreten. Wie funktioniert so etwas?

Hans Bongartz: Tatsächlich war ich in den ersten Wochen noch gar nicht in der Stadt, sondern zu Hause in Haarlem, 20 Kilometer westlich von Amsterdam. Den Mitarbeitern vorgestellt habe ich mich in einer Videokonferenz. Ich saß im Wohnzimmer, vor mir die Kamera, im Hintergrund die Bücherwand, unser Hund und Familienfotos. Ich nehme an, es war ein etwas überraschender Anblick.

Sind Sie inzwischen angekommen in der Stadt, gibt es schon einen Lieblingsplatz?

Bongartz: Bevor ich meine Wohnung in der Altstadt bezogen habe, war ich noch einige Wochen in einem Hotel hier in der Nähe und dort fast der einzige Gast. Das Restaurant war geschlossen, der Fitnessraum auch. Ich bin abends stundenlang zu Fuß unterwegs gewesen, an der Elbe entlang, in der HafenCity, rund um die Alster. Inzwischen weiß ich genau, warum Hamburg regelmäßig in den Ranglisten der Städte mit der höchsten Lebensqualität platziert ist. Planten un Blomen gefällt mir gut, ich laufe jeden Tag auf dem Weg zwischen Wohnung und Büro durch die Anlagen.

Sie sind Wochenendpendler zwischen Hamburg und den Niederlanden. Wie klappt das in Corona-Zeiten?

Bongartz: Die Region Holland, wo ich mit meiner Frau und den Kindern lebe, ist derzeit Risikogebiet. Ich lasse mich bei jeder Rückkehr von dort testen. Neulich hatte ich extra einen Expresstest gebucht, dessen Ergebnis am Vormittag vorliegen sollte, aber doch erst mittags kam. Deshalb konnte ich bei einer wichtigen Sitzung nicht von Anfang an dabei sein. Ich fürchte, mit so etwas müssen wir noch eine Zeit lang leben.

Lichtblick hat kurz vor der Pandemie den Mietvertrag für den künftigen Sitz der Zen­trale in einem Neubau in der Innenstadt unterschrieben. Werden aus heutiger Sicht die 8000 Quadratmeter Büro wirklich noch benötigt?

Bongartz: Ja, unbedingt. Einerseits brauchen wir wegen neuer Arbeitsplatzkonzepte und verstärkten Homeoffice zwar weniger Raum, andererseits haben wir klare Wachstumsziele: Die Zahl unserer Lieferverträge für Ökoenergie mit Privat- und Geschäftskunden soll sich bis 2025 auf zwei Millionen verdoppeln. Das wird dazu führen, dass wir auch mehr Beschäftigte haben werden.

Firma im Wandel:

  • Das 1998 gegründete Hamburger Unternehmen gilt als Ökoenergie-Pionier und mittlerweile fünftgrößter Strom- und Gasanbieter hierzulande. Nach eigenen Angaben hat Lichtblick insgesamt eine Million Lieferverträge mit Privat- und Firmenkunden abgeschlossen, davon mehr als 110.000 in Hamburg. Im Frühjahr kamen durch die Übernahme des Heizstromgeschäfts von E.on bundesweit auf einen Schlag etwa 260.000 Kunden hinzu. Nach 700 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr werden für 2020 nun eine Milliarde Euro Erlöse erwartet. Seit Ende 2018 gehört Lichtblick zu 100 Prozent dem niederländischen Energieunternehmen Eneco, das wiederum Ende 2019 von Mitsubishi (Japan) gekauft wurde. Die beiden letzten Führungskräfte aus der Gründungsphase haben Lichtblick Ende Juni 2020 verlassen. Geführt wird das Unternehmen nun von vier gleichberechtigten Geschäftsführern. hs

Ein ehrgeiziges Ziel. Wie wollen Sie das schaffen?

Bongartz: Einerseits durch Digitalisierung, die Kunden sollen es einfacher haben, einen Vertrag mit uns abzuschließen. Zum Beispiel gibt es bei Lichtblick keinen Einheitstarif mehr, sondern Tarife je nach Wohnort, die die unterschiedlich hohen Netzentgelte berücksichtigen. Ein anderer Weg sind Übernahmen anderer Anbieter, die es sicher geben wird. Vor allem aber, indem Lichtblick sich vom Ökostrom-Anbieter zum Klimaschutz-Unternehmen wandelt. Wir wollen Kunden gewinnen, indem wir es ihnen mit neuen Produkten und Services ermöglichen, den persönlichen Klima-Fußabdruck zu verkleinern und letztlich ein klimaneutrales Leben zu führen. Das ist dringend notwendig, und wir sind überzeugt, dass viele Menschen ihren persönlichen Beitrag leisten wollen.

Klimaneutrales Unternehmen ist ein hübsches Etikett. Was will Lichtblick anbieten?

Bongartz: Ein Kunde, der alle unsere Produkte nutzt, kann seinen persönlichen Klima-Fußabdruck schon jetzt um etwa ein Drittel verkleinern. Das wollen wir ausbauen. Wir bieten bereits ein Komplettpaket für alle Energiefragen an. Solarstrom produzieren und speichern, saubere Wärme oder Ökostrom für E-Mobile. Im Laufe des nächsten Jahres wird es dann auch möglich sein, den individuellen Fußabdruck über uns genau zu ermitteln, und mit Klimaschutzprojekten zu kompensieren. Schrittweise wollen wir unseren Kunden dann – zum Beispiel durch Kooperationen – auch in anderen Lebensbereichen wie Reisen oder Konsum helfen, ihren Klima-Fußabdruck zu senken.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass das Unternehmen nicht nur mit Ökoenergie handelt, sondern sie selbst erzeugt ...

Bongartz: Wir prüfen gerade den Einstieg in große Windenergie- und Fotovoltaik-Projekte. Im Grundsatz stehen dafür intern alle Ampeln auf Grün. Dass wir uns künftig an der Produktion von Ökoenergie beteiligen, ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Der Konkurrent Vattenfall will dagegen sein 2015 eröffnetes Kohlekraftwerk Moorburg am liebsten Mitte 2021 abschalten. Hat diese Ankündigung Sie überrascht?

Bongartz: Nein, überhaupt nicht. Wir hätten eine solche Investition niemals gemacht. Aus ökologischen Gründen natürlich schon mal gar nicht, aber auch aus ökonomischen Gründen nicht. An sich war von vornherein klar, dass ein solches Kraftwerk wirtschaftlich kein Erfolg sein kann. Das hat sich dann ja auch bewahrheitet.

Wird der Strom aus Moorburg überhaupt noch gebraucht? Gehen ohne ihn in Hamburg die Lichter aus?

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Bongartz: Da sehe ich keine Gefahr. In Deutschland wird mehr Strom hergestellt als verbraucht. Das Kohlekraftwerk Moorburg kann und sollte ganz schnell abgeschaltet werden.

In Deutschland sind die Strompreise weltweit am höchsten, in Hamburg sind sie die höchsten in Deutschland. Ist Strom aus Sicht des Ökostromanbieters Lichtblick hierzulande zu teuer?

Bongartz: Diese Aussage wäre mir zu pauschal. Ja, im Strompreis ist ein hoher Anteil von Steuern, Entgelten und Umlagen enthalten. Aber diese Umlagen haben ja dazu beigetragen, dass Deutschland auf dem Weg der Energiewende schon so weit ist. Aus unserer Sicht ist das Problem, dass die Kosten überwiegend den Verbrauchern aufgebürdet werden. Sinnvoller und gerechter wäre es, die 6,8 Cent Ökostrom-Umlage pro Kilowattstunde zu streichen und höhere Abgaben auf die Nutzung fossiler Brennstoffe zu erheben. Dann wäre dreckiger Strom teurer als grüner Strom. Das würde der Energiewende und dem Klimaschutz einen Schub geben, den sie dringend brauchen. Alle Stromkunden, natürlich auch unsere Kunden, würden davon profitieren.