Hamburg. IG Metall protestiert gegen geplante Streichung von 2260 Stellen in Hamburg. Hunderte Beschäftigte sind schon weg.

Fans des FC St. Pauli hätten sich am Dienstagvormittag auf Finkenwerder heimisch gefühlt. Der AC/DC-Song „Hells Bells“ – Einlaufhymne des Fußball-Zweitligaklubs bei seinen Heimspielen am Millerntor – dröhnt aus den Boxen vor dem Osttor von Airbus. Rasseln röhren, Trillerpfeifen schrillen. Dann beginnen die Beschäftigten, den Countdown von zehn herunterzuzählen.

Nach der Eins setzt sich der Autokorso um 9.58 Uhr in Bewegung. Dem Streifenwagen vorneweg folgen einige Motorräder, eine Vespa und ein Trike. Dann passiert Wagen um Wagen das Eingangstor. Hupend, mit blinkenden Warnlichtern und aus dem Seitenfenster hängender IG-Metall-Flagge. 29 Minuten geht das so. 500 Autofahrer machen laut der Gewerkschaft beim mobilen Protest mit. Sie lenken ihre Wagen gen Westen, fahren auf dem Neßdeich etwa fünf Kilometer entlang der Start-und-Lande-Bahn und kommen durch das Südtor zurück auf das Werksgelände.

200 Personen für Airbus-Demonstration

Als die Blechlawine endet, steigt Sophia Kielhorn auf die Ladefläche eines Lastwagens, die als Bühne für die Redner dient. „Ich war total begeistert von diesem Autokorso, der gar nicht mehr aufhören wollte“, sagt die Betriebsratsvorsitzende von Airbus auf Finkenwerder. Die Aktion sei lange geplant gewesen. Zum Standardrepertoire der Arbeitskampfmaßnahmen von Gewerkschaften gehört sie nicht. „Wir wollten eigentlich mit 5000 Leuten auf die Landebahn“, sagt Kielhorn.

Aber das wäre in Corona-Zeiten, in denen Abstand halten das Gebot der Stunde ist, schwierig geworden – und nicht genehmigt worden. Deswegen sei sie froh, mit 200 Beschäftigten vor dem Werkstor zu stehen. Mehr Teil­nehmer dort waren am bundesweiten Aktionstag der IG Metall gegen den Jobabbau bei Airbus nicht erlaubt.

Jede siebte Stelle in Hamburg soll betroffen sein

Die Gewerkschaft hatte zum Protest vor der Haustüren des Konzerns aufgerufen. 15.000 von 90.000 Arbeitsplätzen im zivilen Flugzeugbau sollen wegen der durch die Pandemie ausgelösten Luftfahrtkrise wegfallen. Bundesweit sind es unterm Strich 6000 Stellen bei Airbus und der Tochter Premium Aerotec. In Hamburg sollen 2260 Stellen betroffen sein. Rein rechnerisch etwa jede siebte.

Ob diese Rechnung noch Bestand hat, ist unklar. Nach Bekanntwerden der Streichpläne Anfang Juli hatte das Airbus-Management Hoffnungen auf einen geringeren Jobabbau gemacht. Wenn das Kurzarbeitergeld verlängert werde, könne sich die Zahl um 1500 Stellen in Deutschland verringern, hieß es. Nun beabsichtigt die Bundesregierung, das Kurzarbeitergeld zumindest von zwölf auf 21 Monate zu verlängern. Am 31. August begannen die Verhandlungen zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgeber. Neue, veränderte Zahlen seien bisher nicht kommuniziert worden, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Jan-Marcus Hinz dem Abendblatt.

Fertigungsraten für Maschinen gedrosselt

Ein Airbus-Sprecher sagt auf Anfrage dazu: „Insbesondere die Kurzarbeit macht, wie auch arbeitszeitverkürzende Maßnahmen, nur dort Sinn, wo wir in den nächsten ein bis zwei Jahren einen erneuten Ratenanstieg erwarten, die Anpassungsbedarfe also temporär sind.“

Das Unternehmen hatte Ende April die Fertigungsraten für seine Maschinen gedrosselt. So sollen vom Verkaufsschlager A320-Familie nur noch 40 statt zuvor 60 Flieger pro Monat gebaut werden. Entscheidend dürfte nun also sein, wann sich das Geschäft erholt. Wurde anfangs in der Branche häufig 2023 damit gerechnet, hört man nun immer häufiger 2025.

Airbus: Leiharbeiter abgemeldet

Es gehe nicht nur um die 2200 Festbeschäftigten, sagt einige Minuten später auf der Lkw-Ladefläche Emanuel Glass. „Es findet hier schon Personalabbau statt“, sagt der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Region Hamburg. Leiharbeiter werden abgemeldet, und Verträge von befristet Beschäftigten erhielten keine Verlängerung, so Glass. Der Konzern bestätigt dies. Es gebe in Hamburg derzeit rund 800 befristet Beschäftigte. Viele von ihnen hätten Verträge mit einer Laufzeit bis 2021.

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„Unter den aktuellen Umständen können wir leider nur in ganz wenigen Ausnahmefällen befristete Verträge verlängern oder in unbefristete umwandeln“, sagt der Airbus-Sprecher. Ende 2019 habe es noch etwa 2900 Leiharbeitskräfte gegeben. Anfang Juni sollen es rund 1800 gewesen sein. Nun nennt das Unternehmen die Zahl 1400 – also wurden die Dienste von 400 weiteren Zeitarbeiten abbestellt.

Airbus beharrt auf „Personalanpassungsbedarf“

Am Freitag werden die Verhandlungen fortgesetzt. Glass kündigt am Dienstag ein Entgegenkommen der Beschäftigten an, sodass sie bei Arbeitszeitverkürzung weniger Geld erhalten würden. Im Gegenzug müsste die Zahl der Auszubildenden aber stabil bleiben, diese unbefristet übernommen werden und – der Kernpunkt der IG Metall-Forderungen – betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden.

Der Konzern beharrt hingegen derzeit noch auf dem „Personalanpassungsbedarf“. Reichten die freiwilligen Maßnahmen nicht aus, „können wir keine betriebsbedingten Kündigungen ausschließen“, so der Sprecher: „Wir müssen uns alle Maßnahmen zur Sicherung der Unternehmensexistenz offenhalten.“