Hamburg. Online-Marktplatz Cirplus will Markt für Plastik-Recycling transparenter machen. 380 Kunden nutzen das Portal schon.

Gelbe Tonne auf, Plastikmüll rein. Das ist gelernt. Aber was heißt schon Müll? Wenn es ums Trennen von Abfällen für die Wiederaufbereitung geht, sprechen Entsorgungsunternehmen lieber von Wertstoffen. Ausgeschleckte Joghurtbecher, leere Shampooflaschen und die zerknüllten Klopapier-Verpackungen – alles das soll ein zweites Leben bekommen. Seit mehr als 30 Jahren gehört Abfallverwertung quasi zur deutschen DNA. Aus Alt mach Neu.

Das hört sich gut an, ist aber ziemlich kompliziert. Eine Pet-Flasche aus dem Supermarkt etwa lässt sich ziemlich einfach recyceln. Bei einem Ballen durchsichtiger Transportfolie aus einem Möbelhaus ist der Aufwand auch noch moderat.

Wenn es aber um Gewerbeabfälle geht oder das, was üblicherweise bunt gemischt in der gelben Tonne landet, ist es deutlich schwieriger und vor allem teuer. Tatsächlich wurde deshalb in Deutschland bislang mehr als die Hälfte der gut sechs Millionen Tonnen Kunststoffabfall jährlich verbrannt oder ins Ausland exportiert.

Eine Art Amazon für wieder verwertbare Kunststoffe

Das soll sich ändern. Seit Anfang 2019 schreibt ein neues Verpackungsgesetz feste Recyclingquoten von aktuell 58,3 Prozent vor. Trotzdem bleiben viele Grauzonen. Zu viele, sagt Christian Schiller. „Wir bringen Anbieter von Altplastik, Recyclingunternehmen und Kunststoffverarbeiter zusammen“, so der Wahl-Hamburger. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Volkan Bilici hat er den Online-Marktplatz Cirplus gegründet.

Lesen Sie auch:

Bislang seien die Gräben zwischen Anbieter und Käufern in dem intransparenten und kleinteiligen Markt sehr groß. Während die einen auf großen Mengen von Kunststoffabfällen oder bereits vorverarbeiteten Granulaten säßen und nicht wüssten, wo sie sie loswerden sollten, sei es für Einkäufer in der Verpackungs- oder Autoindustrie schwer, verlässliche Mengen wiederverwertbarer Kunststoffe zu gleichbleibender Qualität zu beschaffen.

Mit Cirplus, einer Wortschöpfung aus dem englischen Circular Plastic, wollen die Gründer den Markt für Plastik-Recycling transparenter machen. „Man kann sich uns wie eine Art Amazon für wieder verwertbare Kunststoffe vorstellen“, bringt der Gründer seine Geschäftsidee auf den Punkt.

Der Anblick von dem verdreckten Ozean ließ ihn nicht mehr los

Dass er etwas gegen die wachsenden Berge von Plastikmüll tun will, war dem 35-Jährigen nach einem Urlaubserlebnis klar geworden. Während einer Reise, die ihn rund um die Welt geführt hatte, war er auf einem Segelschiff zwischen Kolumbien und Panama unterwegs. Als er bei Flaute die Beine vom Deck ins Wasser hatte baumeln lassen, habe ihn plötzlich etwas berührt, berichtet Schiller.

„Erst dachte ich, dass es ein Hai oder ein anderes Tier ist. Aber es war ein riesiger Teppich aus Plastikmüll und Algen. Der auch noch entsetzlich stank.“ Der Anblick von dem verdreckten Ozean ließ ihn nicht mehr los. Zurück in Hamburg bewarb sich Schiller, der Internationale Beziehungen und Völkerrecht studiert und die Online-Mitfahrzentrale BlaBlaCar in Deutschland mit aufgebaut hat, für das Start-up-Programm Entrepreneur Frist.

„Dass man ökologische Probleme mit marktwirtschaftlichen Mitteln angehen kann, hatte ich bei BlaBlaCar gelernt“, sagt er. Anfang des Jahres 2019 bekamen er und sein Partner Bilici 80.000 britische Pfund Startkapital für die Entwicklung von Cirplus.

Es gibt 500 verschiedene Kunststoffsorten

„Bislang war das große Problem des Plastikmülls, dass er keinen Wert hatte“, sagt Geschäftsführer Schiller. Kunststoffverarbeiter würden eher Neuplastik einkaufen, weil recycelte Kunststoffe zu teuer und nicht in guter Qualität verfügbar seien. Das Problem: Es gibt 500 verschiedene Kunststoffsorten. Fürs Recycling müssen sie nach Zusammensetzung und Farben sortiert, zerkleinert, gereinigt und aufbereitet werden.

Ratgeber: So trennen Sie Müll richtig
Ratgeber: So trennen Sie Müll richtig

weitere Videos

    Nur dann kann es zu Granulat werden, das als Rohstoff für die Kunststoffproduktion eingesetzt werden kann. In der Fachsprache heißt das Rezyklat. Die Nachfrage wächst gerade stark, denn auch große Konsumgüter-Hersteller wie Beiersdorf, Unilever und Henkel müssen wegen der gesetzlichen Vorgaben größere Recyclingquoten erfüllen und setzen bei Verpackungen von Waschmittel, Spülmittel oder Duschgel verstärkt auf den Einsatz von recyceltem Plastik. Kreislaufwirtschaft heißt das Zauberwort.

    Hier setzt Cirplus an. Im Prinzip funktioniert das Portal wie ein Katalog: Für jedes Angebot werden Menge, Materialart, Quelle und Zustand aufgelistet. Es gibt Fotos, etwa von zu Ballen gepresstem Plastikmüll. Gehandelt wird weltweit. Ein deutsches Unternehmen bietet eine Tonne Kunststoffabfälle für 150 Euro an, ein Anbieter aus Kanada will 260 US-Dollar für eine Tonne. Eine andere Firma ruft für einen tonnenschweren Ballen gemischter und stark verdreckter Kunststoffreste nur einen Cent auf.

    Das Start-up finanziert sich über Fördergelder

    Die Preise werden zwischen den Parteien ausgehandelt, Cirplus mischt sich nicht ein. „Letztendlich ist das Ziel, Transaktionskosten zu senken, also recyceltes Plastik erschwinglich zu machen.“ Seit März 2020 ist die Plattform im Livebetrieb, mit aktuell über 500.000 Tonnen Material Handelsvolumen. Inzwischen sind 380 Unternehmen aus 49 Ländern bei Cirplus registriert.

    Im Moment ist die Nutzung noch umsonst. Das Start-up, das inzwischen 8,5 Mitarbeiter hat, finanziert sich über Fördergelder, unter anderem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Außerdem konnte Cirplus 14 Partner aus der Kunststoff- und Recyclingindustrie einbinden, die das Projekt mit regelmäßigen Beiträgen mitentwickeln. Dabei sind unter anderem Greiner, ein großer Kunststoffanbieter aus Österreich und die Hamburger Sund-Gruppe mit den Marken Deiss (Müllsäcke) und Bingold (Einmalhandschuhe).

    Das Interesse an dem Konzept ist groß. Denn: „Mit jeder Tonne recycelten Kunststoffwaren werden bis zu 85 Prozent des CO2-Ausstoßes gespart, der bei der Herstellung von neuem Plastik entsteht“, sagt Schiller. Inzwischen hat Cirplus einige Auszeichnungen eingeheimst und war im vergangenen Jahr für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.

    2021 steigt vorgeschriebene Recyclingquote für Kunststoff

    „Aller Voraussicht nach im nächsten Jahr soll Cirplus kostenpflichtig werden“, sagt Christian Schiller. Denkbar seien ein Abomodell oder auch Transaktionsgebühren pro Verkauf. Schon jetzt sieht das Gründerduo für den Online-Marktplatz großes Potenzial. 2021 steigt die gesetzlich vorgeschriebene Recyclingquote für Kunststoffe auf 63 Prozent.

    Dazu kommt, dass in der Europäischen Union die neue Plastiksteuer auf nicht recycelbare Kunststoffverpackungen in Kraft treten soll. „Wir helfen beim Übergang zum nachhaltigen Umgang mit Kunststoffen, denn es steht europaweit im Raum, dass die EU-Steuer direkt auf die Unternehmen umgelegt wird“, sagt Cirplus-Gründer Schiller.