Jork. Im Alten Land beginnt die Ernte. Landwirte haben höhere Kosten durch Corona-Schutzmaßnahmen. Bioprodukte immer beliebter.

Jelena Fuchs ist kein typischer Name für eine Erntehelferin im Alten Land. „Ich will noch studieren, aber jetzt noch nicht“, sagt die Hamburgerin, die seit dem Abitur vor zwei Jahren erst einmal die Welt bereist hat und hier und dort arbeitet. Erfahrungen als Erntehelfer hat sie bereits. „Ich habe in Neuseeland Blaubeeren gepflückt und in Australien Ingwer geerntet“, erzählt Fuchs. Doch dann kam Corona, und sie musste zurück, erst nach Großbritannien und jetzt wieder in die Heimat.

Zusammen mit vier Freunden, die sie aus Großbritannien mitgebracht hat, pflückt sie jetzt auf dem Herzapfelhof in Jork die ersten Äpfel. Obstbauer Hein Lühs ist froh über jede helfende Hand. Insgesamt hat er 35 Erntehelfer, vorwiegend aus Polen, angeheuert. In der Vormittagssonne leuchten die Äpfel mit ihrer kräftigen roten Farbe schon von Weitem durch die grünen Blätter. „Die Sorte Santana eignet sich gut für den Bioanbau auf unserem Hof, weil sie nicht so schorfempfindlich ist. Und sie ist neben Delba Estival und Gravensteiner eine der Ersten, die jetzt geerntet werden“, sagt Lühs.

Rund 295.000 Tonnen Äpfel

Mit der Ernte der Hauptsorten Elstar und Holsteiner Cox wird Ende der Woche begonnen. „Es wird eine normale Ernte in guter Qualität“, sagt Lühs. Vor allem die kühlen Nächte und die Sonne tagsüber sorgen dafür, dass die Äpfel jetzt noch richtig Farbe bekommen. Der Obstbauer rechnet mit insgesamt 1000 Tonnen, die er als Bioware von seinen insgesamt 35 Hektar mit Apfelbäumen ernten kann. Das sind bis zu 20 Prozent weniger als im konventionellen Anbau.

Von der Niederelbe, das Gebiet reicht vom Mühlenberger Loch bis Cuxhaven und umfasst mehr als nur das Alte Land, „kommen in diesem Jahr rund 295.000 Tonnen Äpfel, ein Drittel der deutschen Produktion“, sagt Karsten Klopp, Leiter des Obstbauzentrums Jork. „Es ist von der Menge her eine durchschnittliche Ernte in guter Qualität.“ Aber in mehr als 20 Frostnächten mussten die Blüten im Frühjahr durch Beregnung vor dem Erfrieren geschützt werden. „Das ist der höchste Wert, den wir bisher verzeichnen“, sagt Klopp.

Zu den wichtigsten Apfel-Sorten im Alten Land zählen Elstar und Jonagold

Zu den wichtigsten Sorten im Alten Land zählen mit je einem Drittel Elstar und Jonagold. Die Verbraucher warten schon auf die neue Ware. Denn die Äpfel aus dem Vorjahr haben nicht bis zur neuen Ernte gereicht. „Wir haben eine Angebotslücke, und die neue Ware wird sehnlichst erwartet“, sagt Helwig Schwartau von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). „Da auch im übrigen Europa nur mit einer normalen Erntemenge zu rechnen ist, sind keine Dumpingangebote von anderen Produzenten zu erwarten“, sagt Klopp. Für neue Äpfel müssen die Verbraucher in diesem Jahr tiefer in die Tasche greifen.

Mitarbeiter aus England helfen in diesem Jahr beim Äpfelpflücken.
Mitarbeiter aus England helfen in diesem Jahr beim Äpfelpflücken. © Roland Magunia

Marktexperte Schwartau nennt einen durchschnittlichen Ladenverkaufspreis für ein Kilo Elstar von 2,19 Euro, das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Elstar kommt jetzt noch aus dem badischen Raum, aber das wird sich in den nächsten Wochen ändern, wenn die Altländer Obstbauern ihre Ernte deutlich hochfahren. „Dann können die Preise auch noch etwas nachgeben, aber Tiefstpreise wie im September 2018 mit 1,54 Euro für das Kilo Elstar werden wir nicht sehen“, sagt Schwartau. Die Frühsorte Delbar Estivale aus dem Alten Land bietet Edeka in dieser Woche zum Aktionspreis von 1,76 pro Kilo statt 2,93 Euro an. Äpfel aus Übersee kosten jetzt sogar 27 Prozent mehr als im Vorjahr. Obwohl regionale Äpfel den Kunden immer wichtiger werden, kann der gesamte Bedarf in Deutschland gar nicht gedeckt werden. „Die Hälfte der Äpfel muss importiert werden“, sagt Klopp.

Wegen der Übergangszeit kann das Obst erst drei Jahre später als Bioware vermarktet werden

Obstbauer Lühs möchte möglichst wenig an seinen Preisen verändern. „Wir versuchen über Jahre, den Preis kon­stant zu halten“, sagt er. Aber in diesem Jahr muss er seinen Preis doch etwas anheben. Löhne und andere Kosten steigen – und in diesem Jahr hat er zusätzlich 30.000 Euro für die Umsetzung des Hygienekonzepts wegen Corona für die Erntehelfer investiert. In seinem Hofladen hat er deshalb die Preise für das Kilo Bioäpfel aus Demeter-Anbau auf 2,70 Euro angehoben. Das sind zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Drittel seiner Ernte kann der Herzapfelhof im Direktvertrieb absetzen. Der Rest geht an den Großhandel. Dort bekommt er im Moment 1,50 bis 1,70 Euro pro Kilo. Nicht so großen Preisschwankungen ausgesetzt zu sein wie bei konventioneller Ware war ein Grund für Hein Lühs, 2012 auf den Bioanbau umzuschwenken.

Wegen der Übergangszeit kann das Obst erst drei Jahre später als Bioware vermarktet werden. Der Hof selbst hat eine lange Tradition, seine Wurzeln gehen bis in das 18. Jahrhundert zurück: Damals war es ein kleiner, typischer Altländer Obsthof mit vier Hektar Land und Viehhaltung. Als Hein Lühs seine Lehre machte, waren es erst sechs Hektar. Inzwischen ist die gesamte Anbaufläche auf 40 Hektar angewachsen. Das ist mehr als doppelt so groß wie ein durchschnittlicher Obsthof, aber er muss auch zwei Familien ernähren. Sohn Rolf führt den Obsthof bereits seit 2016.

Unkrautbekämpfung unter den Bäumen muss manuell erfolgen

Auf rund 20 Prozent der Flächen wird Bioanbau an der Niederelbe betrieben. „Hier gibt es rund 80 Betriebe, die Bioobst auf 2000 Hektar anbauen“, sagt Klopp. Immer häufiger fragen die Kunden in den Hofläden: Ist das bio? „Wenn der Junior nicht mitgezogen hätte, hätte ich nicht auf Bio umgestellt“, sagt Lühs. „Aber der Sohn hat seine Ausbildung in einem Biobetrieb gemacht, und dort hat er das Demeter-Konzept kennengelernt.“ Es hat sehr strenge Richtlinien für den Bioanbau. „Ich wollte auch etwas Neues ausprobieren, die Standardisierung im konventionellen Anbau hat mich gestört“, sagt Lühs. „Wir verwenden keine chemischen Pflanzenschutzmittel, keine Herbizide zur Unkrautbekämpfung und keinen synthetischen Dünger“, sagt der Obstbauer. Der Anbau ist um etwa 50 Prozent arbeitsintensiver als beim integrierten Anbau.

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Denn die Unkrautbekämpfung unter den Bäumen muss manuell erfolgen. Beispiel Schädlingsbekämpfung: So darf er den Apfelwickler nicht mit einem chemischen Mittel bekämpfen. „Wir müssen mehrstufig vorgehen“, sagt Lühs. „In die Plantagen werden Kapseln mit einem Lockduftstoff, sogenannte Pheromone, zur Verwirrung aufgehängt. Sie verhindern, dass sich Weibchen und Männchen des Schmetterlings zur Paarung finden.“ Diese Bekämpfung wirkt nicht zu 100 Prozent, da die Duftstoffe auch verweht werden können. Deshalb werden die Flächen noch mit einem Viruspräparat behandelt.

Die Äpfel können später noch per Laser beschriftet werden

Die Äpfel mit einem kleinen Herzen auf der Schale, das Markenzeichen des Obsthofes, wird es in diesem Jahr nur eingeschränkt geben. Statt kleine Schablonen auf die Äpfel aufzubringen, musste Lühs in diesem Jahr seine Früchte in den heißen Augusttagen vor dem Sonnenbrand, eine Quelle für spätere Fäulnis, bewahren und beregnen. „Durch die Sprinkleranlagen können die Äpfel um bis zu 15 Grad abgekühlt werden“, sagt Klopp. Mit einer Lasertechnik können aber Äpfel unabhängig von der Ernte noch später für Firmen- oder Familienfeiern beschriftet werden. 600.000 Stück waren es im vergangenen Jahr.

Ein Onlineshop, Äpfel zum Selbstpflücken, Baumpatenschaften, mit denen dann bis zu 40 Kilogramm Äpfel im Jahr geerntet werden können, oder der Herz-Apfel-Garten mit 200 historischen Apfelsorten: Familie Lühs will nicht nur Äpfel anbauen. „Mit den vielen Nebenaktivitäten ziehen wir Kunden an und binden sie an unseren Hof und unsere Produkte“, sagt Lühs. Auch von weit her: Von den 1200 Baumpatenschaften wurden 200 nach Nordrhein-Westfalen verkauft. Das sei auch ein wichtiges wirtschaftliches Standbein. Zuletzt wurden über fünf Millionen Euro in einen neuen Hofladen mit Café und in eine Lagerhalle mit Sortieranlage investiert. So ist der Herzapfelhof für die Zukunft gerüstet.