Berlin. Der Zahlungsdienstleister Wirecard steckt in einem weitreichenden Finanzskandal. Nun riskiert der Dax-Konzern weitere Ermittlungen.

Der Dax-Konzern Wirecard ist in einen Bilanzskandal verwickelt und muss nach dem Eingeständnis mutmaßlicher Luftbuchungen in Milliardenhöhe wohl weitere Ermittlungen fürchten. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I sagte am Montag: „Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten.“

Ob konkret gegen ehemalige oder amtierende Wirecard-Manager wegen Bilanzmanipulation ermittelt wird oder dies geplant ist, sagte die Sprecherin nicht: Einzelheiten zum Vorgehen würden nicht genannt.

Bei der Behörde läuft bereits ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun und drei weitere Manager der Wirecard-Spitze wegen des Verdachts der Falschinformation von Anlegern in zwei Börsen-Pflichtmitteilungen. Braun war am Freitag zurückgetreten.

Im Zentrum des Bilanzskandals stehen der ehemalige Wirecard-Finanzchef in Südostasien und ein Treuhänder, der bis Ende 2019 für Wirecard aktiv war. Er hat offenbar das in großen Teilen wahrscheinlich gar nicht existierende Geschäft mit den Drittpartnern betreut.

Wirecard: Verbuchte 1,9 Milliarden Euro existieren wohl gar nicht

Wirecard hatte zuvor mitgeteilt, dass 1,9 Milliarden Euro, die das Unternehmen auf Treuhänderkonten verbucht hatte, „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ nicht existieren. Deswegen prüft der Konzern die nachträgliche Korrektur seiner Bilanzen: „Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden.“

Ob es Mitwissende, beziehungsweise Mittäter in der Firmenzentrale im Münchner Vorort Aschheim gab, ist derzeit noch ungeklärt. Nicht bekannt ist auch, ob und inwieweit Braun oder andere Mitglieder des Vorstands über die Lage im Bilde waren – oder möglicherweise sogar beteiligt waren.

Das Unternehmen selbst sieht sich als Opfer: Der Chef der Finanzaufsicht BaFin, Felix Hufeld, sprach von einem „kompletten Desaster“ und gab sich selbstkritisch. „Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert“, so Hufeld bei einer Bankenkonferenz in Frankfurt. „Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe“, sagte er. Wichtig sei nun rasche Aufklärung.

Wirecard-Chef Markus Braun hat seinen Posten im Zuge des Skandals geräumt.
Wirecard-Chef Markus Braun hat seinen Posten im Zuge des Skandals geräumt. © dpa | Peter Kneffel

Wirecard: Fall laut FDP-Experte „Katastrophe für den Finanzplatz Deutschland“

Kritik und Fragen, wie die mutmaßlichen Manipulationen unentdeckt bleiben konnten, gibt es sowohl an die Adresse der BaFin als auch an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die Jahresabschlüsse 2017 und 2018 geprüft und testiert hatte.

Der FDP-Finanzexperte Florian Toncar bezeichnete den Fall Wirecard als „eine Katastrophe für den Finanzplatz Deutschland“ und eine „Bankrotterklärung der beteiligten Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden“. Auch der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz sagte, „gründliche Prüfungen hätten einen solchen Schaden sicherlich früher aufdecken müssen“. Und die Linke unter Fraktionsvize Fabio de Masi forderte die Einführung eines Unternehmensstrafrechts. Dies würde bedeuten, dass künftig nicht mehr nur Manager wegen Straftaten angeklagt werden könnten – sondern ganze Unternehmen.

Eine Berliner Anwaltskanzlei hatte bereits im Mai eine Klage gegen EY vor dem Landgericht Stuttgart angedroht. Ob diese tatsächlich eingereicht wurde, teilte das Gericht bislang nicht mit.

Wirecard: Aktie stürzt – Berichte über Manipulationen schon vor einem Jahr

An der Frankfurter Börse stürzte die Wirecard-Aktie ein weiteres Mal in die Tiefe, die Papiere verloren erneut knapp 40 Prozent und sackten bis zum frühen Nachmittag auf knapp 15 Euro. Damit war Wirecard weniger als zwei Milliarden Euro wert. Seit dem Höchststand der Aktie im September 2018 summieren sich die Kursverluste der Anleger auf über 20 Milliarden Euro. Allein seit dem vergangenen Mittwoch haben die Papiere über zehn Milliarden an Wert verloren.

Über mögliche Bilanzmanipulationen bei Wirecard hatte schon vor über einem Jahr die britische „Financial Times“ berichtet. Im Oktober hatte das Blatt dann berichtet, dass ein beträchtlicher Teil der Wirecard-Umsätze mit Drittfirmen in Asien womöglich auf Scheingeschäften beruhe.

Der mittlerweile zurückgetretene Wirecard-Chef Markus Braun hatte die Berichterstattung der „FT“ über Monate als haltlos zurückgewiesen. Da es schon nach den ersten „FT“-Artikeln zu außergewöhnlichen Kursstürzen der Wirecard-Aktie an der Frankfurter Börse gekommen war, hatten BaFin und die Münchner Staatsanwaltschaft zunächst Untersuchungen eingeleitet, ob Kursmanipulationen von Börsenspekulanten dahinter steckten.

Wirecard-Rettung hängt vom Wohlwollen der Banken ab

Die Zukunft des Dax-Konzerns hängt nun vom Wohlwollen der Banken ab, die wegen des fehlenden testierten Jahresabschlusses für 2019 das Recht haben, zwei Milliarden Euro Kredite zu kündigen. Der Interims-Chef von Wirecard, James Freis, gibt sich kämpferisch Man stehe weiterhin mit Hilfe der angeheuerten Investmentbank Houlihan Lokey in „konstruktiven Gesprächen“ mit den kreditgebenden Banken.

Wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ am Samstag berichtete, wollen die Banken das Unternehmen nicht fallen lassen. „Keiner hat ein Interesse daran, den Kredit zu kündigen“, hieß es am Wochenende. „Alle wollen jetzt das Ding kurzfristig stabilisieren.“

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Der Dax-Konzern Wirecard steckt in einem handfesten Skandal. Unser Autor kommentiert: Der Schaden geht weit über den Konzern hinaus. Eine Zusammenfassung des Skandals lesen Sie hier: Wirecard: Ein Wirtschaftskrimi mit ungewissem Ausgang. Vor rund einem Jahr hatte die „Financial Times“ über Manipulationen berichtet. Wirecard entgegnte dies mit Vorwürfen. Bericht: Wirecard wirft „Financial Times“ Manipulation vor.

(dpa/reb)