Hamburg. Die Corona-Pandemie setzt der Veranstalterbranche massiv zu. Nun wird über neue Konzepte und Alternativen diskutiert.
Die Messe gehörte nie zu den stabil profitablen städtischen Unternehmen Hamburgs. Mal lieferte die Hamburg Messe und Congress GmbH (HMC) einen kleinen Gewinn ab, meist aber höhere Verluste. Und doch bringe sie der Stadt einen hohen Nutzen, argumentierte HMC-Chef Bernd Aufderheide stets: Die Messe- und Kongressbesucher ließen jährlich rund 400 Millionen Euro in Hotels und Gastronomie.
Im Corona-Jahr 2020 fallen auch diese Einnahmen jedoch weitgehend aus – und längst stellt sich die Frage, ob es in den Hallen zwischen Fernsehturm und Karolinenviertel eine Rückkehr zur Normalität geben wird. Marketingexperte Alexander Schwertner ist da skeptisch. „Ich denke, dass das Messegeschäft künftig nicht mehr so funktionieren wird wie früher“, sagt der Geschäftsführer der Hamburger Kommunikationsagentur Raikeschwertner. „Damit stehen die Veranstalter vor einer wirtschaftlichen Herausforderung.“ Vielen Menschen habe die Pandemie vor Augen geführt, dass eine persönliche Anwesenheit gar nicht immer notwendig ist, so Schwertner. „Nach etlichen Monaten mit Videokonferenzen im Homeoffice setzt ein Gewöhnungseffekt ein.“ Zwar werde man sich nun auch der Grenzen digitaler Veranstaltungen bewusst, „aber der Vertrieb in den Unternehmen setzt zukünftig sicher mehr auf digitale Plattformen und konzentriert sich weniger auf Messen.“
Messewirtschaft gehört zu den durch das Coronavirus am härtesten getroffenen Branchen
Aufderheide lässt sich durch eine solche Argumentation nicht aus der Ruhe bringen. „Schon Ende der 1990-er Jahre, als das Internet stark an Bedeutung gewann, prophezeiten manche dem Messewesen ein baldiges Ende. Tatsächlich war die Branche 20 Jahre später so stark wie nie zuvor“, sagt der HMC-Chef. „Wir setzen natürlich auf Messen und Kongresse mit physischer Präsenz. Daran wird sich auch nichts ändern.“ Genau dafür habe man ja die Hallen und die Veranstaltungsräume. „Persönlicher Kontakt bleibt wichtig“, räumt Schwertner ein. „Aber man muss sich nicht in Messehallen treffen. Und die Firmen werden nicht mehr Dutzende von Mitarbeitern um die halbe Welt auf solche Veranstaltungen schicken.“ Daher würden klassische Messen in Zukunft „vermutlich nicht mehr so groß sein.“
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Unzweifelhaft gehört die Messewirtschaft zu den durch das Coronavirus am härtesten getroffenen Branchen. Nach Angaben des deutschen Veranstalterverbands Auma wurden allein bis Ende Juli 58 Prozent aller für das Jahr 2020 geplanten Messen in der Bundesrepublik abgesagt oder verschoben. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen auch für die Hotellerie und Gastronomie seien immens. 150.000 Arbeitsplätze sind nach Darstellung des Verbands gefährdet und drei Milliarden Euro an Steuereinnahmen gingen dem Staat verloren. Die Branche geht inoffiziell davon aus, dass frühestens 2023 bis 2025 das frühere Niveau wieder erreicht wird. In Hamburg musste man allerdings schon in den Jahren vor 2020 tendenziell sinkende Besucherzahlen verzeichnen. Einstige Flaggschiffe wie die Messe „Du und deine Welt“ oder die „Hanseboot“ wurden wegen mangelnden Interesses und schwindender Ausstellerzahlen eingestellt.
Potenzial für rund 2500 Wohnungen
Vor diesem Hintergrund stellte die Bürgerschaftsfraktion der Linken schon im August 2019 den Antrag, den Senat aufzufordern, eine Verlegung der Messe Hamburg in die Wege zu leiten. „Erfolgreiche Messestandorte in Deutschland befinden sich nicht mitten im innerstädtischen Bereich“, sagt Heide Sudmann, Stadtentwicklungsexpertin der Hamburger Linken. „Auf dem 17 Hektar großen Gelände könnten rund 2500 Wohnungen mit dauerhaft günstigen Mieten entstehen“, sagt Sudmann. Es sei „unsinnig“, eine 1-A-Lage für Messehallen zu reservieren, die im Schnitt mehr als die Hälfte des Jahres leer stünden. Als neuer Standort der Messe kämen zum Beispiel Areale auf dem Kleinen Grasbrook oder an der A1 in Moorfleet infrage.
Zwar wurde der Antrag der Linken von der Bürgerschaft mit großer Mehrheit abgelehnt. Doch bereits im Jahr 2016 hatte eine Stadtplaner-Tagung auf Einladung der Hamburgischen Architektenkammer einen ähnlichen Vorschlag formuliert: Aus dem bisherigen Messegelände könne ein neuer Stadtteil werden. Nun könne die Corona-Krise solchen Überlegungen neue Aktualität verleihen, findet Sudmann – zumal sich zum 26. Oktober 2020 eine Gelegenheit böte, den regulär bis zum Jahr 2034 laufenden Leasingvertrag für die Messe-Immobilien vorzeitig zu kündigen.
Neustart nach sechs Monaten Zwangspause
Messechef Aufderheide hat für derartige Gedankenspiele wenig Sympathie. „Die Lage ist für Veranstaltungsgelände enorm wichtig“, sagt er. Unter dem Strich profitiere auch die Stadt von dem zentralen Standort der Hallen: „Im Umkreis von wenigen Gehminuten finden sich mehrere Tausend Hotelbetten. Andere Messebetreiber beneiden uns um eine solche Lage.“ Aufderheide weiß allerdings sehr gut, dass Hamburg nicht zu den bedeutendsten Messeplätzen zählt: „Wir haben nicht 300.000 oder 400.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche wie andere Messegesellschaften in Deutschland. Im Moment könnte man sagen: Glücklicherweise nicht. Wir haben knapp 90.000 Quadratmeter.“
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Überwiegend seien die Hallen, wenn man Auf- und Abbauzeiten mit berücksichtige, zuletzt über das Jahr gesehen zu 80 Prozent ausgelastet gewesen. Tatsächlich plant die HMC derzeit sogar eine neue „multifunktionale“ Halle an der Lagerstraße mit rund 8000 Quadratmetern. Diese Erweiterung benötige man „so oder so, um an Flexibilität zu gewinnen“, sagt Aufderheide: „Schließlich laufen manchmal etliche Messen auf unserem Gelände parallel.“ Aktuell richtet sich seine Aufmerksamkeit auf den Neustart nach sechs Monaten Zwangspause: Am 5. September beginnt die Konsumgüterschau „Nordstil“. Zwar gilt eine Maskenpflicht und es müssen Abstandsregeln eingehalten werden. „Aber wir haben unser Verhalten ja auch schon im Alltag umgestellt“, sagt Aufderheide.
Modernere Veranstaltungsformate
Für die nächsten Jahre setzt er auf neue, modernere Veranstaltungsformate, die mehr Unterhaltungselemente bieten. „Es ist ja kein Zufall, dass wir schon vor längerer Zeit eine Partnerschaft mit dem Team, das den Digitalkongress Online Marketing Rockstars (OMR) veranstaltet, eingegangen sind“, so Aufderheide. „Das ist ein reger Austausch, aus dem interessante neue Konzepte entstehen werden.“ Solche neuen Formate könne man künftig auch im Fernsehturm erproben, den die HMC zusammen mit dem OMR-Team und dem Projektentwickler Home United von 2023 an betreiben wird. Dort sind in rund 130 Metern Höhe unter anderem Produktpräsentationen vorgesehen. „Das kann zukunftsweisend für die Branche werden“, so Aufderheide.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden
Er ist jedenfalls überzeugt: „Auch die Menschen, die heute 20 Jahre alt sind, werden in zehn Jahren auf eine Messe gehen. Für sie muss es dann aber eine sein, die ganz viel Spaß macht.“ Bis dahin experimentiert man in der Branche mit diversen virtuellen Angeboten, um neue Güter vorstellen zu können oder einen Knowhow-Austausch zu ermöglichen, auch wenn die Menschen nicht zu einer realen Messe oder einem Kongress anreisen können oder wollen.
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So richtete die Deutsche Messe im Juli die „Hannover Messe Digital Days“ aus, eine zweitägige Live-Veranstaltung im Internet. Den Auftakt bildete eine Podiumsdiskussion unter anderem mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Zwar feierten die Hannoveraner die Online-Messe hinterher als „vollen Erfolg“. Gerade einmal gut 10.000 registrierte Teilnehmer machen sich gegenüber den mehr als 200.000 Besuchern einer „echten“ Hannover Messe aber eher bescheiden aus.
Nach Aufderheides Einschätzung können solche digitalen Formate zwar eine „Erweiterung der Wertschöpfungskette“ einer Messegesellschaft darstellen, „aber sie können unser Geschäftsmodell nicht ersetzen“. Das sieht Alexander Schwertner im Prinzip auch so. Die Messeveranstalter würden für ihre Kunden mithilfe digitaler Technik wohl neue Lösungen finden, sagt Schwertner: „Die Frage ist, wie viel Geld man damit verdient. Die hohen Standmieten werden sich kaum ersetzen lassen.“