Hamburg. Hamburger Vorzeigeprojekt ist auf Eintrittsgelder angewiesen und kämpft ums Überleben - kurz vor seinem 20. Geburtstag.

Die Vorbereitungen für eine fröhliche Geburtstagsparty am Mittwoch ließen Vorfreude keimen – bei den 132 Mitarbeitern und bei geladenen Gästen. 20 Jahre Dialog im Dunkeln im Herzen der Hamburger und in der Speicherstadt, das wäre ein Grund zum Feiern.

Zumal auch die Ableger dieses Projekts mit sozialem Inhalt, die Dialoge mit der Zeit, der Stille sowie dem Ende, ansehnlich gedeihen. 110.000 Besucher im vergangenen Jahr, davon die Hälfte Kinder und Jugendliche, dokumentieren das Echo. Zukunftspläne zur Erweiterung des Angebots sollten bald präsentiert werden. Ein Stichwort ist das „Museum des Lebens“.

Geschäftsführer: "Uns steht das Wasser bis zur Nasenspitze."

Nachdem das Fest ebenso wie der Tag der offenen Tür am kommenden Sonntag notgedrungen abgesagt werden mussten, droht einer der sinnbringendsten Attraktionen der Hansestadt das Aus. „Uns steht das Wasser wirtschaftlich nicht nur bis zum Hals, sondern bis zur Nasenspitze“, sagt Andreas Heinecke, Geschäftsführer des Dialoghauses am Alten Wandrahm, dem Abendblatt.

Seine vor mehr als drei Jahrzehnten entwickelte Idee wurde in 45 Länder und 140 Großstädte exportiert. Der Gedanke, den Kosmos von Blinden, Gehörlosen und alten Menschen praktisch erlebbar zu machen, ging um die Welt. Die Entdeckung des Unsichtbaren und der persönliche Perspektivwechsel sensibilisierte die Sinne vieler Menschen. Allein in der Speicherstadt machten sich seit der Gründung im Jahr 2000 fast zwei Millionen Gäste ein persönliches Bild vom Alltag gehandicapter Mitbürger.

Um im Bild der Kultur und Bildungsstätte Dialog im Dunkeln zu bleiben: Das Licht droht wieder anzugehen. Seit dem 4. März ist das Portal des Eckhauses mit dem 3000 Quadratmeter umfassenden Ausstellungszentrum geschlossen. Bis auf ein Kernteam von 15 Mitarbeitern in der Verwaltung befinden sich 52 Festangestellte sowie mehr als 60 Teilzeitkräfte und Aushilfen in Kurzarbeit.

Überbrückungskredit kann das Problem nicht lösen

„Die monatlichen Fixkosten von 230.000 Euro werden dadurch nicht entscheidend gesenkt“, sagt der promovierte Philosoph und Honorarprofessor Andreas Heinecke. Da die von ihm geführte gemeinnützige Gesellschaft über kein finanzielles Polster verfüge, sei das Ende nah.

„Selbstverständlich wissen wir, dass momentan viele Firmen und Menschen in Nöten sind“, sagt Heinecke. Mit einem von der Hausbank angebotenen Überbrückungskredit indes sei das Problem nicht zu lösen. Er hoffe, dass Hamburg und die Hamburger dem Dialoghaus „nachhaltig zur Seite stehen“. Gespräche werden geführt; und nicht nur ein Senator soll sich hinter den Kulissen für eine Unterstützung ausgesprochen haben.

Eine offizielle Bestätigung gibt es nicht. „Uns ist die schwierige Lage zahlreicher Einrichtungen und auch einzelner Personen sehr bewusst“, teilte Martin Helfrich dem Abendblatt im Namen der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration mit, abgestimmt mit den Kollegen der Bildungs- und Kulturbehörden. Gemeinsames Ziel sei es, „die Folgen der notwendigen Schließungen möglichst gut abzufedern, damit alle möglichst gut durch diese Zeit kommen“. In den kommenden Tagen würden die Berechtigten und die Beantragungsdetails feststehen, sodass Hilfspakete angefordert werden können.

Jahresumsatz liegt zwischen 2,5 und 2,7 Millionen Euro

Ob das reicht, um die Hamburger Welt der Dialoge dauerhaft zu retten? Der Geschäftsführung ist bekannt, dass ohne Transparenz keine Unterstützung zu erwarten ist. Der Jahresumsatz liegt zwischen 2,5 und 2,7 Millionen Euro. 13 Prozent dieser Summe fließt durch Spenden und Zuschüsse für die Anstellung gehandicapter Mitarbeiter in den Etat. 87 Prozent kommen durch Eintrittsgelder, Vermietung von Veranstaltungsräumen und das „Dinner in the Dark“ in die Kasse.

Die Ticketerlöse, das mit Abstand stabilste Standbein, ist nunmehr komplett weggebrochen. Andererseits habe der Betrieb im vergangenen Jahr 950.000 Euro Steuern und Sozialabgaben bezahlt. „Wir setzen in der aktuellen Zwangslage auch auf Stiftungen oder wohlmeinende Einzelpersonen“, sagt Geschäftsführer Andreas Heinecke. „Besonders, weil es für eine soziale Kulturstätte wie uns kein Netz und keinen doppelten Boden gibt.“ Es gehe darum, die Existenz einer Institution zu sichern und parallel eine Anschlussperspektive zu erarbeiten – finanziell wie inhaltlich. Das Konzept für das erste „Social Science Center“ der Welt mit Sitz in Hamburg könne die Zukunft sichern.

Dialog im Dunkeln ist "unverzichtbarer Lernort"

Die Mitarbeiterschaft des Dialoghauses in der Speicherstadt kämpft für den Erhalt – von persönlichem Herzblut ganz abgesehen. „Es entsteht eine große Lücke im Lehrplan aller Schulen“, sagt die erblindete Diplom-Sozialpädagogin Manuela Küchenmeister, seit 20 Jahren an Bord und Teamleiterin bei „Dinner in the Dark“.

Ein „inzwischen unverzichtbarer Lernort“ falle weg. „Durch unsere Ausstellungen wird Inklusion gefördert und Bewusstsein für mehr Toleranz geschaffen“, ergänzt der gehörlose Ausstellungsführer Tobias Schauenburg. „Die Möglichkeit, meine Sprache weiterzugeben und für mehr Aufklärung zu sorgen, fällt mit der Schließung des Dialoghauses weg.“

Was eigentlich für die Geburtstagsfeier geschaffen wurde, findet jetzt für einen stillen Protest Verwendung. Sieben noch verbliebene Angestellte positionierten sich im Foyer des Ausstellungsgebäudes. Hand in Hand präsentierten sie Plakate mit den Gesichtern und Aussagen ihrer Mitstreiter. Die Botschaft: Was vor gut zwei Jahrzehnten mit Sinn entstand, soll erhalten bleiben.