Aschheim. Beim Finanzdienstleister Wirecard lassen sich 1,9 Milliarden Euro nicht zuordnen. Gigantischer Betrug? Jetzt tritt der Chef zurück.

  • Es gibt Probleme beim Zahlungsdienstleister Wirecard: Am Donnerstag wurde die Bilanz erwartet – doch daraus wurde nichts
  • Das Management hält für denkbar, dass Wirecard Opfer eines gigantischen Betrugs geworden ist
  • Wirecard-Chef Braun tritt mit sofortiger Wirkung zurück
  • Der Kurs der Wirecard-Aktie stürzte nach den Nachrichten zeitweise um fast 70 Prozent auf 35 Euro in den Keller

Eigentlich sollte der Zahlungsdienstleister Wirecard am Donnerstag seine Bilanz für 2019 vorlegen, doch daraus wurde nichts. Für Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden lägen keine ausreichenden Prüfungsnachweise vor, teilte der Dax-Konzern mit Sitz in Aschheim bei München mit. Das ist etwa ein Viertel der gesamten Bilanzsumme.

Das Management hält es für denkbar, dass Wirecard Opfer eines gigantischen Betrugs geworden ist, und kündigte Strafanzeige gegen Unbekannt an. Doch Wirecard droht die Zeit davonzulaufen: Wenn bis Freitag kein geprüfter Jahresabschluss vorliegt, könnten Banken dem Unternehmen Kredite über zwei Milliarden Euro kündigen.

Am Freitag trat daraufhin der Wirecard-Vorstandschef Markus Braun, ist mit sofortiger Wirkung zurück. Das teilte das im deutschen Aktienindex Dax gelistete Unternehmen mit. Interims-Chef wird der erst am Vorabend in den Vorstand berufene US-Manager James Freis.

Wirecard droht der Abschied aus dem Dax

Der Kurs der Wirecard-Aktie stürzte nach den Nachrichten am Donnerstag zeitweise um fast 70 Prozent auf 35 Euro in den Keller und war vorübergehend vom Handel ausgesetzt worden. Zuletzt lag er noch mit 43 Prozent im Minus bei 59,48 Euro. Sollte sich der Kurs nicht nachhaltig erholen, könnte der Konzern im September sogar aus dem deutschen Leitindex Dax absteigen.

Nachdem der Konzern die Abschlüsse der Jahre 2016 bis 2018 bereits einer Sonderprüfung durch das Prüfunternehmen KPMG unterzogen hatte, schauten sich die regulären Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) nun die 2019er-Zahlen besonders gründlich an.

Doch für das Testat, das sie dem Abschluss vor der Veröffentlichung hätten geben müssen, fehlten offenbar entscheidende Belege. EY habe den Konzern darüber informiert, dass über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Prüfungsnachweise vorlägen.

Wirecard-Chef Markus Braun weist Vorwürfe zurück

Es gebe Hinweise, dass dem Abschlussprüfer von einem Treuhänder oder aus dem Bereich von Banken, die die Treuhandkonten führen, „unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt wurden“. Damit gehe es um etwa ein Viertel von Wirecards gesamter Bilanzsumme. Hintergrund seien aktuelle Mitteilungen von zwei Banken, die die Treuhandkonten seit 2019 führen, hieß es. Demnach könnten die betreffenden Kontonummern nicht zugeordnet werden.

Laut Wirecard-Chef Markus Braun hat der Wirtschaftsprüfer früher erteilte Bestätigungen der Banken nicht mehr anerkannt. „Alle Beteiligten sind um schnellstmögliche Aufklärung bemüht“, versicherte er. Den Angaben zufolge haben Tochtergesellschaften von Wirecard auf die Treuhandkonten Sicherheitsleistungen von insgesamt 1,9 Milliarden Euro eingezahlt, um für das Risikomanagement für teilnehmende Händler zu garantieren. Die Konten würden von zwei asiatischen Banken geführt, die beide über ein Investmentgrade-Rating verfügten.

Die „Financial Times“ erhob schon 2019 Vorwürfe gegen Wirecard

Wirecard bietet Händlern im Internet und auch offline die Technik zur Abwicklung von elektronischen Zahlungen an, so etwa die Akzeptanz von Kreditkarten und auch die Risikoabsicherung von Zahlungen. Selbst in der Corona-Krise wuchs das Geschäft zuletzt weiter, auch weil die Menschen angesichts der Pandemie und geschlossener Geschäfte verstärkt online einkauften und öfter auf die Zahlung mit Bargeld verzichteten.

Mehr zum Thema: Bericht: Wirecard wirft „Fiancial Times“ Manipulation vor

Der Zahlungsabwickler steht seit einer Artikelserie mit Vorwürfen in der britischen „Financial Times“ Anfang 2019 unter Druck. Mit der KPMG-Sonderprüfung früherer Bilanzen wollte der Vorstand den angekratzten Ruf des Konzerns eigentlich wieder aufpolieren. Inzwischen hat jedoch die Finanzaufsicht Bafin wegen möglicherweise irreführender Börsen-Pflichtmitteilungen des Unternehmens zu diesem Thema Strafanzeige erstattet.

Wirecard: Staatsanwaltschaft durchsucht Geschäftsräume

Erst vor wenigen Tagen durchsuchte deshalb die Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume des Konzerns. Nach Bekanntwerden des Betrugsverdachts am Donnerstag kündigte die Bafin zudem an, ihre Untersuchung auszudehnen. Jetzt droht Wirecard auch finanziell unter Druck zu geraten. Sollte der Konzern einen testierten Abschluss bis zu diesem Freitag (19. Juni) nicht vorlegen, könnten Banken ihm bestehende Kredite in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro kündigen, warnte das Unternehmen.

Zu allem Überfluss droht dem Wirecard wegen der erneuten Verschiebung der Bilanzvorlage Ärger mit der Deutschen Börse. Wie in solchen Fällen üblich, werde aufgrund der nicht fristgerechten Lieferung des Jahresfinanzberichts die Einleitung eines Sanktionsverfahrens geprüft, hieß es.

Nach vorläufigen Zahlen, die Wirecard am Donnerstag schließlich veröffentlichte, steigerte das Unternehmen sein Transaktionsvolumen im vergangenen Jahr um 38,5 Prozent auf 173 Milliarden Euro. Der Umsatz legte um 37,5 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro zu. Der Nettogewinn wuchs um fast 39 Prozent auf gut 482 Millionen Euro. (küp/dpa)