Berlin. Auf dem Mobilfunk-Markt herrscht eine Preisschlacht. Werden die Verträge noch billiger? Freenet-Chef Christoph Vilanek ist skeptisch.

Der Mobilfunk-Markt in Deutschland ist seit Jahren hart umkämpft. Viele Anbieter konkurrieren mit Preisen, Datenvolumen und Netzqualität. Das größte netzunabhängige Telekommunikationsunternehmen in Deutschland, die Freenet AG, hat in den vergangenen Jahren mit ihren Marken wie mobilcom-debitel und klarmobil den Preiskampf mit angeheizt.

Aber werden nach der Corona-Krise günstigere Preise überhaupt möglich sein? Und wann wird der Mobilfunkstandard 5G angeboten werden? Freenet-Chef Christoph Vilanek spricht im Interview darüber, warum das Unternehmen für diese Krise besser gewappnet ist als es das für die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 war, warum dennoch keine Dividenden gezahlt werden, wie es mit dem Mobilfunk weitergeht und was eigentlich aus dem legendären Klingelton „Crazy Frog“ geworden ist.

Herr Vilanek, in der Corona-Krise sind Arbeitnehmer im Home-Office auf das Smartphone angewiesen und in der Freizeit schauen die Menschen Serien und Filme auf Streaming-Portalen. Gehören Sie zu den Krisengewinnern?

Christoph Vilanek: Nein, ein Krisengewinner sind wir nicht. Aber wir sind unbeschadet. Und wir sehen, dass sich die Nutzung einzelner Angebote verändert. Im Zuge des Shutdowns mussten wir zwei Drittel unserer stationären Läden schließen, konnten das aber durch stärker nachgefragte Online-Angebote kompensieren. Außerdem stellen wir fest, dass wir weniger Kündigungen erhalten.

Was wird stärker nachgefragt?

Vilanek: Bei unserer Tochtergesellschaft Gravis, die auf den Verkauf von Apple-Produkten spezialisiert ist, ist die Nachfrage nach allen Produkten fürs mobile Arbeiten deutlich gestiegen. Im März und April konnten wir Rekordumsätze erzielen. Die spannende Frage ist: Lag das daran, weil die Apple-Stores und Technikmärkte wie Mediamarkt geschlossen hatten? Oder ist der Bedarf tatsächlich gestiegen? Das lässt sich noch nicht beantworten.

Erwarten Sie einen Digitalisierungsschub?

Vilanek: Die Krise wird den Digitalisierungs-Turbo auslösen, kein Zweifel. Aber im Handel wird auch das stationäre Geschäft bedeutend bleiben. Mit dem Shutdown hat sich der Online-Umsatz bei Gravis versechsfacht. Kaum sind die Läden wieder offen, ist es aber, als hätte man einen Schalter umgelegt. Plötzlich läuft das klassische Retail-Geschäft wieder wie vor der Krise. Ich bin davon überzeigt, dass das physische Produkterlebnis und das Gespräch mit dem Verkäufer nach wie vor seine Berechtigung hat.

Der Digital-Branchenverband Bitkom sieht auch im Telekommunikationssektor eine stark eingetrübte Geschäftserwartung. Wie sieht es bei Freenet aus?

Vilanek: Ich könnte es mir jetzt leicht machen und sagen, alles ist ganz schlimm. Dann bräuchte ich mich im Herbst nicht zu rechtfertigen, wenn es schlechter geworden ist. Viele Unternehmen beugen gerade vor und lassen Luft aus dem Reifen, ohne dass es ihnen vorgeworfen wird. Aber ich kann nicht ableiten, warum es schlechter werden soll. Wir haben ein paar mittelständische Kunden, die kurzfristig ihre Rechnungen nicht zahlen. Wirklich relevante Umsatzausfälle haben wir bis heute nicht.

Haben Sie staatliche Hilfen genutzt?

Vilanek: Wir haben keine KfW-Darlehen oder andere Fördermittel genutzt. Die einzige Hilfe, die wir in Anspruch genommen haben, ist das Kurzarbeitergeld. In der Spitze hatten wir 1200 Beschäftigte in Kurzarbeit, im Wesentlichen sind das die Mitarbeiter aus unseren 600 Shops. Über sechs Wochen konnte nur ein Drittel öffnen, und das mit reduzierter Öffnungszeit. Das Kurzarbeitergeld haben wir auf 100 Prozent aufgestockt und zahlen den Mitarbeitern die durchschnittliche Provision der letzten vier Monate weiter.

Mussten Sie die Miete für Ihre Länden stunden?

Vilanek: Nein, das haben wir nicht. Wir haben aber punktuell mit den Vermietern die Mietverträge für drei bis sechs Monate nachverhandelt.

Sie haben bei Freenet in der Finanzkrise 2009 das Ruder übernommen. Ist die Situation vergleichbar?

Vilanek: Damals lagen die größten Schwierigkeiten auf der Finanzierungsseite. Diese Erfahrung von damals hat dazu beigetragen, dass ich jetzt vorgeschlagen habe, die Dividendenzahlung auszusetzen. Ohne diesen Schritt wären wir nach unserer Planung im November bei einer Liquidität von knapp unter 200 Millionen Euro angelangt und müssten am 30. November wir einen Kredit in Höhe von 250 Millionen Euro tilgen. Wir wollten uns nicht von Banken erpressbar machen lassen. Wenn wir jetzt keine günstige Refinanzierung bekommen, dann tilgen wir eben unseren Schuldschein aus eigenen Mitteln. Zudem haben wir gelernt, wie man in Krisen schnell reagiert. Wir haben nirgends Substanz verloren.

Was bedeutet das konkret?

Vilanek: Ein Beispiel: Nachdem unsere Shops schließen mussten, ist in der Stadt Brandenburg der Geschäftsführer unseres Shops zum Bürgermeister gegangen und hat gesagt: Wenn ich mir einen Kaffee über den Laptop schütte und der Kaffee auf die Hose tropft, dann kann ich die Hose in die Reinigung bringen, den Laptop aber nicht reparieren lassen – das macht doch keinen Sinn. Wenig später durfte der Laden wieder öffnen. 24 Stunden später sind sämtliche Shop-Manager zu ihren Bürgermeistern gegangen. Und siehe da, nach zwei Wochen hatten wir 200 Läden offen.

Auch die mobilcom-debitel-Shops mussten schließen. Binnen zwei Wochen konnte Freenet 200 seiner Shops wieder öffnen.
Auch die mobilcom-debitel-Shops mussten schließen. Binnen zwei Wochen konnte Freenet 200 seiner Shops wieder öffnen. © mago images/Revierfoto

Im Zuge der Dividendenstreichung hieß es, die Lage sei „sehr herausfordernd“. Wie passt das damit zusammen, wenn Sie sonst kaum Auswirkungen der Krise merken?

Vilanek: Wir haben diese Aussage ausschließlich auf die Finanzierung bezogen. Wir hätten genug Geld gehabt, um die Dividende zu zahlen und das Geschäft weiterzuführen.

Eigentlich wirbt Freenet mit seiner hohen Dividende bei Anlegern. Wie schwer fiel die Entscheidung?

Vilanek: Uns haben einige Fragen gequält: Verliert man an Glaubwürdigkeit, bewerten die Aktionäre das als Vertrauensbruch? Aber genau da setzt unsere Überlegung an: Wenn wir im gesunden Zustand die Dividende aussetzen, dann ist das besser, als wenn wir im Herbst Probleme bekommen hätten. Dann hätte mancher vielleicht gesagt: Wenn die Bank denen kein Geld gibt, dann sieht es richtig schlecht aus. Wenn man diese Überlegung zu Ende denkt, dann war es keine schwere Entscheidung mehr.

Trotzdem ist die Aktie abgestürzt.

Vilanek: Aber nur am ersten Tag . Wir haben mit vielen Aktionären über die Entscheidung gesprochen und viele haben uns in der Entscheidung bestärkt. In der Theorie hätte unsere Aktie sogar steigen müssen, da der Buchwert ohne Dividendenabschlag höher ist. Nur ist leider der Markt nicht so rational.

Netflix bricht in der Krise alle Rekorde, Amazon ist ein Krisengewinner und Disney+ wächst stark. Sie versuchen mit Ihrem Portalen waipu.tv und freenet Video dagegenzuhalten. Ist die US-Konkurrenz nicht eine Nummer zu groß?

Vilanek: Freenet Video haben wir nicht groß beworben, entsprechend ist ein Ansturm ausgeblieben. Die Gegner von waipu.tv sind Kabel und Satellit, nicht Netflix. waipu.tv liefert lineares Fernsehen mit einer Reihe von Zusatzfunktionen, etwa einer Suchfunktion nach Schauspielern. Die Nutzerzahlen steigen zwar jedes Quartal, ich hätte aber vor zwei Jahren erwartet, dass wir heute schon weiter wären.

Im Mobilfunk herrscht ein harter Wettbewerb, die Tarife werden immer billiger oder leistungsfähiger. Lohnt sich dieser Preiskampf noch?

Vilanek: Wir werden in diesem Jahr einen Betriebsgewinn von rund 415 bis 435 Millionen Euro erzielen. Also lohnt es sich offensichtlich, obwohl wir den Endkunden sehr attraktive Angebote machen. Der Kampf um den letzten Euro kann von mir aus gerne beendet werden. Ein großer Teil der Endkunden ist einverstanden mit monatlich 20 bis 30 Euro für Mobilfunk und mobiles Internet und für Kunden, die nur zehn Euro ausgeben können, gibt es kleinere Verträge.

Wie weit wird der Preiskampf noch führen?

Vilanek: Ich könnte mir schon vorstellen, dass Tarife mit unlimitiertem Volumen noch etwas günstiger werden. Telefónica nimmt heute zwischen 30 und 50 Euro, bei Vodafone und der Telekom liegt man eher bei 60 Euro. Wir bieten aktuell einen 18-Gigabyte-Tarif im Vodafone-Netz für 18 Euro an. Einen Euro für einen Gigabyte finde ich fair.

Vor einem Jahr endete die Versteigerung der 5G-Frequenzen. Bereuen Sie die Entscheidung, dass Freenet nicht mitgemacht hat?

Vilanek: Überhaupt nicht. Für uns war entscheidend, wie der Staat mit den Auktionsbedingungen den Wettbewerb gestaltet. Dafür ist es entscheidend, dass wir vollen Zugang zu der Technologie haben. Das wurde von der Bundesnetzagentur bestätigt. Insofern bin ich froh, dass wir jetzt nicht den Ärger mit dem Ausbau haben und viel Geld in die Hand nehmen müssten.

Aber Sie hätten einen Zukunftsmarkt mitgestalten können.

Vilanek: Wir sind in der Schweiz an Sunrise beteiligt, die dort den schnellsten und größten 5G-Ausbau vorantreiben. Dort erleben wir die Marktrealität. 5G braucht aktuell noch kein Endverbraucher – interessant sind heute lediglich Industrie- oder Verkehrsanwendungen.

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    Wird 5G trotzdem nachgefragt?

    Vilanek: Ehrlich gesagt: Nein. Wer hat heute schon 5G-Handys? Der aktuelle Standard LTE reicht aus, um auf 30 iPhones parallel einen HD-Stream gucken. Wofür brauche ich da 5G?

    Es gibt viele Beschwerden über Funklöcher, eine Analyse sah selbst in Albanien ein besseres Mobilfunknetz. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Vilanek: Die Netze sind im Kern besser als ihr Ruf. Könnten wir besser sein? Ja. Ist das eine gute Ausrede dafür, dass unsere Wirtschaft an einigen Stellen nicht wettbewerbsfähig ist? Nein. Der Albanien-Vergleich passt nicht. Und auch die Vergleiche, die sonst mit Amerika gezogen werden, hinken. Wenn man in Amerika abseits von New York City, San Francisco oder Palo Alto ist, dann gibt es auch keine gute Mobilfunkqualität mehr und das Festnetz besteht aus Rauschen. In Deutschland funktionieren die Netze gut, die Grundsatzdiskussion finde ich überflüssig. Im Vergleich zu Österreich oder zur Schweiz haben wir definitiv noch deutliches Verbesserungspotential.

    Vor zwei Jahren haben Sie eine Beteiligung am Elektronikhändler Ceconomy, zu dem Mediamarkt und Saturn gehören, erworben. Seitdem ging es bergab, Ceconomy braucht Staatshilfe. Bereuen Sie den Einstieg?

    Vilanek: Nein. Ceconomy ist für uns der strategisch wichtigste Kanal, um Neukunden zu gewinnen. Die derzeitige Liquiditätssituation ist eine handelsspezifische Situation. Ende März und im April wurde die Weihnachtsware gezahlt, der Shutdown vor diesem Zeitpunkt hat eine Liquiditätslücke erzeugt. Ceconomy hat alle Zahlungen gegenüber Lieferanten eingehalten, die beantragte Staatshilfe wird vermutlich in der vollen Höhe nie abgerufen werden. Zudem gilt: In der Krise überleben tendenziell die Großen besser als die Kleinen. Am Ende wird Mediamarkt-Saturn nicht nur überleben, sondern gestärkt aus der Krise hervorgehen.

    Vor kurzem quittierte SAP-Chefin Jennifer Morgan ihren Posten, sie war die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns. Damit wurden wieder Rufe nach einer Frauenquote laut. Bei Freenet sitzt keine Frau im Vorstand. Warum eigentlich?

    Vilanek: Ich finde auch, dass eine gute Durchmischung von unterschiedlichen Geschlechtern, verschiedener Herkunftsorte und möglicherweise verschiedener Kulturen sinnvoll und produktiv für ein Unternehmen sein kann. Aber man kann sie nicht durch Zwang erzeugen. Wir hätten gerne eine Frau im Vorstand. Aber wir sind eine Branche, die nach wie vor recht männerlastig ist. Bei Einstellungen haben wir eine eiserne Regel: Bei gleicher Qualifikation nehmen wir immer Frauen.

    Zu Ihrem Angebot zählen auch Portale, die heute wie aus einer anderen Zeit wirken. Etwa der Klingeltonanbieter Jamba, der mit dem Crazy Frog berühmt wurde. Schließt noch jemand Klingelton-Abos ab?

    Vilanek: Das klassische Klingeltongeschäft mit Crazy Frog gibt es noch, auch wenn es deutlich kleiner geworden ist. Aber immerhin sind wir noch in 35 Ländern tätig. Dieses alte Jamba-Klingelton-Geschäft funktioniert nach wie vor in Afrika und in Südamerika gut.

    Das Portal war für Abo-Abzocke bekannt. Wie passt sowas in Ihr Portfolio?

    Vilanek: Abo-Abzocke bezeichnet ja den berühmten One-Click im Hintergrund. Sowas machen wir nicht. Wir betreiben unsere Dienste entlang der regulatorischen Vorgaben.

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