Berlin. Viele Mieter zahlen in der Corona-Krise nicht mehr. Mieter- und Vermieterverbände sind alarmiert, die Koalitionsparteien zerstritten.

Wie kann man in der Corona-Krise die Miete aufbringen? Diese Frage treibt offenbar immer mehr Mieter in Deutschland um. Im April kamen 6,9 Prozent der Mieter ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach, heißt es in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey für den Eigentümerverband Haus & Grund. Das entspricht bundesweit etwa . Zuerst hatte der „Focus“ darüber berichtet.

Normalerweise liege die Zahl der Mieter, die ihre Miete nicht zahlen können, zwischen zwei und 2,5 Prozent. Bei dem sprunghaften Anstieg wird es womöglich nicht bleiben, fürchtet der Eigentümerverband Haus & Grund. Denn 17,6 Prozent der Befragten haben der Umfrage zufolge angegeben, dass sie nicht wüssten, ob sie ihre Miete künftig noch bezahlen können. Das entspricht rund 4,2 Millionen Haushalten.

Corona-Krise: Mieter dürfen nicht gekündigt werden

Die Corona-Krise kann für viele Mieter zu finanziellen Engpässen führen. Drei Millionen Arbeitnehmer könnten durch die Corona-Krise ihren Job verlieren, schätzt das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit.

Auch für viele, die ihren Job behalten können, macht sich die Krise schon jetzt auf dem Lohnzettel bemerkbar: Laut einer Erhebung des Münchener ifo-Instituts hat jede zweite deutsche Firma mittlerweile Kurzarbeit eingeführt.

Wer krisenbedingt seine Miete für den April, Mai oder Juni nicht zahlen kann, muss zumindest keine Angst vor einer Kündigung haben. Die Bundesregierung hat den Mieterschutz zum 1. April ausgeweitet.

Corona-Krise: Miete kann trotzdem eingeklagt werden – mit Zinsen

Allerdings: Aufgeschoben heißt nicht aufgehoben. Die säumigen Mieten müssen nachgezahlt werden, sobald dies möglich ist. „Die jüngst beschlossenen Regelungen zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie stellen Mieter nicht von ihrer Pflicht zur Mietzahlung frei“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums unserer Redaktion.

Zwei Jahre haben Mieter Zeit, die ausgefallene Miete nachzuzahlen. Andernfalls droht zum Juli 2022 die Kündigung. Da es sich nur um einen Kündigungsstopp und nicht um eine Miet-Stundung handelt, kann die Zahlung auch eingeklagt werden – und muss eventuell sogar mit Verzugszinsen gezahlt werden.

SPD will Vollstreckungsschutz erweitern

Das sorgt für Krach zwischen den Koalitionsparteien. Die SPD-Bundestagsfraktion ist sauer, dass man sich in den Gesetzesberatungen mit CDU und CSU nicht auf eine Stundung einigen konnte. „Leider kann so schon jetzt die offene Aprilmiete eingeklagt und vollstreckt werden“, sagte Johannes Fechner, verbraucherschutzpolitischer Sprecher der SPD, unserer Redaktion.

Vollstreckungsmaßnahmen wie Kontenpfändungen könnten aber „dramatische Folgen für Mieter“ haben, warnt Fechner. Deshalb werde geprüft, ob der Vollstreckungsschutz erweitert werden könne.

Mieterbund warnt vor hoher Zahl an Mietausfällen

Mit der aktuellen Lösung sind weder Mieter noch Vermieter zufrieden. „Mit jeder Mietzahlung, die gestundet wird, wird der Rückstand höher. Das ist eine enorme Belastung, sowohl für Mieter als auch für viele Privatvermieter“, sagte Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, unserer Redaktion. Insbesondere in den Metropolregionen würden die Mietervereine verstärkt von Mietern berichten, die keine Rücklagen haben und sich die Miete nicht leisten mehr können.

Das Umfrage-Ergebnis zu den ausbleibenden Mieten findet Siebenkotten zwar „überraschend hoch“, komme aber nicht unerwartet. „Wenn Bund und Länder nicht schnell handeln, wird sich die Zahl drastisch erhöhen. Dann wird sie bald schon im zweistelligen Prozentbereich liegen“, warnt Siebenkotten.

Mieterbunds-Präsident Lukas Siebenkotten warnt vor einer zunehmenden Anzahl an Mietern, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können.
Mieterbunds-Präsident Lukas Siebenkotten warnt vor einer zunehmenden Anzahl an Mietern, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können. © imago images / photothek | Felix Zahn/photothek.netvia www.imago-images.de

Auch für Vermieter ist die Situation bedrohlich

Aber nicht nur für viele Mieter ist die jetzige Situation bedrohlich. 55 Prozent der Befragten wohnen bei einer Privatperson zur Miete. „Viele private Kleinvermieter, die im Hauptberuf als Freiberufler, Handwerker oder Gastronom durch die Corona-Krise betroffen sind, können ein Ausfall der Miete nicht auch noch verkraften“, sagte Kai Warnecke, Präsident von Haus & Grund Deutschland, unserer Redaktion.

Der GdW, der als Spitzenverband 3000 Wohnungsunternehmen und somit bundesweit sechs Millionen Wohnungen betreut, rechnet ab Mai mit größeren Ausfällen von Privatmieten. „Viele Wohnungsunternehmen werden in der Corona-Zeit deshalb zwangsweise Investitionen zurückfahren müssen und auch bei den Instandhaltungen planen jetzt schon zahlreiche Unternehmen Einschnitte“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko unserer Redaktion.

Zuletzt hatten vor allem Unternehmen für Aufsehen gesorgt, die ihre Gewerbemieten gestundet hatten. Vor allem Adidas entfachte einen Sturm der Entrüstung und legte schließlich seinen Plan, die Zahlungen auszusetzen, ad acta.

Verbände dringen auf schnelle Hilfe

Einig sind sich die Verbände, dass Bund und Länder helfen müssen. Schon im März hatten Mieterbund und GdW daher für einen „Sicher-Wohnen-Fonds“ geworben, mit dem bei krisenbedingten Einkommenseinbußen die Miete beglichen werden soll. Jetzt sei eine solche Maßnahme dringender denn je, findet Siebenkotten: „Es geht nicht darum, große Konzerne wie die Vonovia zu finanzieren. Sondern es geht darum, Hilfen für Privatvermieter, etwa den Rentner, der eine Wohnung vermietet, zu leisten und so Mieter zu schützen.“

Auch Haus&Grund schließt sich der Forderung an. „Eine vertrauensvolle Politik muss hier schon heute Lösungen auf den Weg bringen und nicht erst warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagte Warnecke. Alternativ könne ein Bürgschaftsprogramm helfen. Für ein solches Programm sprach sich auch der baupolitische Sprecher der Union, Kai Wegner, gegenüber dem „Focus“ aus.

Grünen-Politiker Kühn: „Brutale existenzielle Unsicherheiten“

Zustimmung finden die Verbände damit zumindest in der politischen Opposition. „Die ersten Zahlen zeigen, dass das Mietmoratorium der Bundesregierung ein unausgegorener Schnellschuss war“, findet Daniel Föst, wohnungspolitischer Sprecher der FDP. Die akute Existenzangst der Mieter werde mit der derzeitigen Regelung nur an die Vermieter weitergegeben.

Chris Kühn, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen, spricht sich für eine Fonds-Lösung aus. „Die Bundesregierung hat für die großen Unternehmen gesorgt, aber nicht für die vielen Millionen von Mietern und deren private Vermieter“, sagte Kühn. Die ausfallenden Mieten würden „brutale existenzielle Unsicherheiten und Ängste“ schaffen, so der Grünen-Politiker.

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