Berlin. Banken und Online-Broker erleben seit der Krise einen regelrechten Ansturm. Die Deutschen sparen mehr – und investieren an den Börsen.

Die Deutschen gelten als Aktienmuffel, daran änderte auch die famose Ralley des vergangenen Jahrzehnts wenig. Im Gegenteil. Während der Deutsche Aktienindex (DAX) im Vorjahr um satte 26 Prozent zulegte, sank in Deutschland laut dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) die Zahl der Aktienbesitzer um 660.000 auf 9,7 Millionen. Nur jeder Siebte besitzt hierzulande überhaupt Wertpapiere, die große Mehrheit in Form von Aktienfonds.

Doch mit der Corona-Krise könnte sich das ändern, eine regelrechte Goldgräberstimmung scheint sich breit zu machen.

Börsen-Boom: Vor allem Aktien sind stark nachgefragt

„Wir sehen deutliche Corona-Effekte. Schon Anfang des Jahres war die Nachfrage nach Depots hoch, ab März hat sie sich verdoppelt“, sagte Arne Thurich, Senior Manager für Marktforschung bei der Comdirect, unserer Redaktion.

Bei der Comdirect und ihrer Tochterbank Onivsta wurden im März und April jeweils rund 50.000 neue Depots eröffnet, zuvor waren es rund 25.000 Depots pro Monat. Knapp drei Viertel aller Neukunden im April seien Börseneinsteiger gewesen, berichtet Thurich. Während die bei Börseneinsteigern oft beliebten Indexfonds (ETFs) nur von rund jedem dritten Neukunden nachgefragt wurden, investierten 77 Prozent in Aktien.

Das waren die beliebtesten Aktien der Depotneukunden im März und April bei der Comdirect:

  1. Deutsche Lufthansa
  2. Wirecard
  3. Shell
  4. Daimler
  5. Airbus
  6. Allianz
  7. BASF
  8. Walt Disney
  9. TUI
  10. Volkswagen

DKB: Auch viele Bestandskunden eröffneten Depots

Für einige dürfte sich diese Entscheidung bereits gelohnt haben. Denn nach dem schnellsten Börsencrash aller Zeiten haben sich die Aktienkurse zahlreicher Unternehmen wieder erholt, der DAX legte nach seinem Tief am 16. März mit 8255 Punkten um 45 Prozent zu – beflügelt durch eine große Zuversicht an den Börsen.

„Dieses Mal aber waren viele Kunden sehr schnell dabei, haben sich getraut einzusteigen und konnten die günstigen Einstiegspreise nutzen“, sagte Martin Schulz-Brückner, Fachbereitsleiter für Anlage und Finanzierung bei der Deutschen Kreditbank (DKB) unserer Redaktion. Die höchste Nachfrage nach Depots habe es bei der DKB im März gegeben, also gerade zu dem Zeitpunkt, als der DAX auf seinem Tiefststand angelangt war.

„In der Spitze hat sich die Anzahl neuer Depot-Kunden gegenüber dem Niveau Ende 2019 verfünffacht“, berichtet Schulz-Brückner. Neben Neukunden hätten auch viele Bestandskunden die Gelegenheit ergriffen, um ein Depot zu eröffnen.

ING-Experte: „Alle 30 Sekunden hat ein Kunde ein Depot eröffnet“

Deutschlands größte Direktbank, die ING DiBa, hat allein im ersten Quartal des aktuellen Jahres so viele Neukunden wie im gesamten Vorjahr verzeichnet. „Allein im März hatten wir 70.000 neue Depoteröffnungen. Das waren fast siebenmal so viele wie im Vorjahreszeitraum“, sagte Ronny Förster, Leiter bei der ING für Produktstrategie, Sparen und Anlegen.

„Es gab Tage, da hat alle 30 Sekunden ein Kunde ein Depot bei uns eröffnet“, berichtet Förster. Auch aktuell liege die Aktivität noch weit über Normalniveau.

Lesen Sie hier: Corona-Krise: Soll man jetzt schon wieder Aktien kaufen?

In bisherigen Krisen zogen sich die Deutschen von den Börsen zurück

Der Ansturm auf die Börsen ist durchaus ungewöhnlich für Krisenzeiten. Mit dem Platzen der sogenannten Dotcom-Blase im Jahr 2000 wurde das Aktienvertrauen der Deutschen nachhaltig beschädigt. 2001 gab es 12,85 Millionen Aktionäre in Deutschland, seitdem ging es abwärts.

Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise besaßen im Jahr 2010 nur noch 8,4 Millionen Deutsche Wertpapiere, seitdem ist das Niveau trotz einem Jahrzehnt des Aufschwungs gering geblieben. Was ist jetzt also anders?

Das Thema Sparen gewinnt an Wichtigkeit. Jeder fünfte Deutsche legt seit Ausbruch der Corona-Krise mehr Geld zur Seite, zeigt eine Umfrage des Bundesverbands deutscher Banken (BdB), die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

Deutsche sparen mehr in der Corona-Krise

62 Prozent sparen demnach nun regelmäßig, vor drei Jahren war es lediglich 53 Prozent. Von den Unter 30-Jährigen sparen sogar drei Viertel regelmäßig. „Durch die Corona-Krise gehen die Deutschen noch sorgsamer mit ihrem Geld um“, sagte BdB-Hauptgeschäftsführer Andreas Krautscheid unserer Redaktion.

„Jetzt geht es nicht mehr vorrangig um Urlaube und Konsum, sondern um etwas, was uns alle berührt: Sicherheit in Notfällen“, sagte Krautscheid. 45 Prozent der Befragten gaben an, für Notfälle Geld beiseite legen zu wollen. Jeder Dritte spart aber auch für den Vermögensaufbau.

Börsen werden auch für jüngere Sparer interessant

Nur lässt sich mit dem klassischen Sparbuch oder dem Girokonto kaum noch Vermögen aufbauen, es gibt kaum noch Zinsen, gelegentlich werden sogar Negativzinsen fällig. Bei der Comdirect gaben 56 Prozent der Neukunden an, in Wertpapiere investieren zu wollen, weil die Zinsen bei der Geldanlage so gering sind. Hinzu kommt ein zweiter Effekt: Durch Kurzarbeit und Shutdown hatten viele Anleger Zeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Und noch ein Punkt hat sich verändert, meint Christian Hecker, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Online-Brokers Trade Republic: „Die finanzielle Bildung hat sich meiner Ansicht nach deutlich verbessert.“ Börseneinsteiger fänden viele frei verfügbare Informationen, Influencer besetzen das Thema auf Social Media. „Ich denke, dass die klassische Autorität des Bankberaters durch den freien Zugang zu Informationen aufbrechen wird“, sagte Hecker.

Davon habe auch der Online-Broker profitiert, der in der Krise noch schneller als bisher gewachsen sei. Und mit ihrem Konzept des App-Banking auch eine junge Zielgruppe anspricht. „Auch junge Kunden, die erstmal nur 100 Euro investieren, trauen sich an Wertpapiere heran“, berichtet Hecker.

„Trade Republic“-Gründer Christian Hecker sieht eine höhere finanzielle Bildung in der Bevölkerung – auch durch die freie Informationszugänglichkeit.
„Trade Republic“-Gründer Christian Hecker sieht eine höhere finanzielle Bildung in der Bevölkerung – auch durch die freie Informationszugänglichkeit. © Trade Republic | Trade Republic

Vor allem Männer investieren an den Börsen

Das bestätigt auch ING Anlege-Experte Ronny Förster. „Bei den Kunden unter 40 Jahren sehen wir eine stark erhöhte Nachfrage. Durch die Krise sind ca. zehn Prozent mehr jüngere Kunden dazugekommen“, sagte Förster.

Bei der Comdirect ist jeder dritte Neukunde unter 30 Jahre alt, erhöht hat sich seit der Krise der Anteil der jungen Frauen, die Depots entwickeln, berichtet Comdirect-Marktforscher Thurich.

Trotzdem sind drei Viertel der Neukunden Männer, dieser Anteil sei seit Krisenbeginn noch gestiegen. „Den Zuwachs bei den Männern erklären wir uns damit, dass Männer als risikofreudiger gelten“, sagt Thurich. Das passt zu den Daten des Deutschen Aktieninstituts.

In Deutschland besitzt jeder fünfte Mann Wertpapiere, aber nur jede achte Frau. Und: Frauen haben auch weniger Geld zum Sparen, wie die Bankenverband-Umfrage zeigt. Männer sparen im Mittelwert 580 Euro monatlich, Frauen dagegen nur 318 Euro.

DAI-Chefin Bortenlänger: „Aktienanlage ist wie ein Marathonlauf“

Aber werden die Neueinsteiger nun tatsächlich auch Aktionäre bleiben? Christine Bortenlänger, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts, ist zurückhaltend. „Ob sich Corona in 2020 positiv auf die Aktionärszahlen auswirken wird, wissen wir erst Ende des Jahres“, sagte Bortenlänger unserer Redaktion.

Wichtig sei, dass die Anleger auch die Nerven behalten, wenn es an den Börsen kurzfristig wieder bergab gehe – so wie zum Wochenbeginn geschehen, als sich der DAX weiter von der 12.000-Punkte-Marke entfernte. „Aktienanlage ist wie ein Marathonlauf. Nicht ohne Grund gibt es die Börsenweisheit: Die Börse ist wie ein Paternoster. Es ist ungefährlich, durch den Keller zu fahren. Man muss nur die Nerven behalten“, sagte Bortenlänger.

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