Berlin. Die Corona-Krise hat die Börsen auf Talfahrt geschickt. Ist die Finanztransaktionssteuer damit vom Tisch? Oder kommt sie erst recht?
Seit über einem Jahrzehnt ist sie ein Streitthema zwischen den EU-Mitgliedsstaaten: die Finanztransaktionssteuer. Nach der Finanzkrise 2008/09 begann die Diskussion, wie und ob man Risikospekulationen besteuern könnte, ein Gesetzesentwurf der EU-Kommission fand 2011 keine Mehrheit.
Mittlerweile sind nur noch zehn EU-Länder übrig, die über eine solche Steuer diskutieren. Einigkeit besteht auch bei ihnen nicht. Als Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im Dezember einen Gesetzesentwurf präsentierte, hagelte es Kritik, das Projekt drohte erneut zu scheitern. Jetzt hat die Corona-Krise die Diskussion erstmal auf Eis gelegt – mit offenem Ausgang.
Corona-Krise: Finanzministerium will an Zeitplan festhalten
Am zeitlichen Verlauf des Gesetzes-Vorhabens soll die Corona-Pandemie nichts ändern, zumindest, wenn es nach dem Bundesfinanzministerium geht. „Die Arbeiten an der Einführung der Finanztransaktionssteuer laufen und wir halten auch am Zeitplan fest“, sagte eine Sprecherin des Ministerium unserer Redaktion. Heißt: Schon im kommenden Jahr soll die Steuer in Kraft treten.
Ob dieser Zeitplan aber wirklich zu halten sein wird, ist unklar. Denn schon ohne Krise gab es massive Kritik, insbesondere aus Österreich. Der Vorwurf: Die Steuer verfehle ihr eigentliches Ziel, anstatt des riskanten Handels mit komplexen Derivaten und dem spekulativen Hochfrequenzhandel, werden Kleinanleger belastet. „Nicht akzeptabel“, fand das Österreichs Finanzminister Gernot Blümel und auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz lehnte die Börsensteuer ab.
Der Scholz-Entwurf sieht vor, dass der Kauf von Aktien von Unternehmen, die einen Marktwert von mindestens einer Milliarde Euro aufweisen, mit 0,2 Prozent des Geschäftswertes der Aktie besteuert werden.
FDP will Finanztransaktionssteuer kippen
Die FDP hat von dieser Form der Steuer noch nie viel gehalten, in der Krise aber will sie das Gesetz nun umgehend kippen. „Die Wirtschaft leidet im Moment unter einer Kernschmelze. Märkte brechen weg, Lieferketten funktionieren nicht mehr, Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand. In diesem Moment maximaler wirtschaftspolitischer Verunsicherung eine neue Steuer etablieren zu wollen, wäre maximaler politischer Leichtsinn“, sagte Volker Wissing, FDP-Präsidiumsmitglied und rheinland-pfälzischer Wirtschaftsminister, unserer Redaktion.
Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar, fügt an: „Diese Steuer bleibt auch in der aktuellen Krise grundfalsch: Sie stellt eine zusätzliche Belastung für die private Altersvorsorge dar und verteuert die Eigenkapitalbeschaffung von Unternehmen über die Börse.“
Deutschland hat nur eine geringe Aktionärsquote
Allerdings nutzen gar nicht so viele Deutsche überhaupt Aktien, um für das Alter vorzusorgen. Nur jeder Siebte hält hierzulande laut einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Aktieninstituts (DAI) entweder direkt Aktien oder ist passiv, beispielsweise über Fonds, an Aktien beteiligt.
Die Zahl könnte sich weiter verringern, meint Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): „Auf die hierzulande sowieso nur schwach ausgeprägte Aktienkultur haben solche Krisen eine verheerende Wirkung.“
Etliche Anleger würden erst dann kaufen, wenn die hohen Börsenkurse medial präsent seien. „Von einer Krise werden sie meist kalt erwischt und gehen panikartig wieder raus. Sie agieren auf der Gefühlsebene, statt strategisch und langfristig zu investieren. Was sie am Ende mitnehmen, ist der Eindruck, mit Aktien würde man nur Geld verlieren aber keins verdienen.“ Nun eine weitere Steuer einzuführen, hält Kurz für „Gift für die Aktienkultur in Deutschland.“
Fondsverband will Steuer „endgültig begraben“
Auch Ökonom Markus Demary vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ist nach den Krisen der jüngsten Vergangenheit mit der Dotcom-Blase im Jahr 2000, der Finanzkrise 2008/09 und nun der Corona-Krise skeptisch, was die Wirkung einer Finanztransaktionssteuer angeht.
„Das sind drei große Börseneinbrüche in 20 Jahren. Die Krisen brachten auch Möglichkeiten, Aktien zu niedrigeren Kursen zu erwerben – eine Transaktionsteuer wird die Kleinanleger aber von solchen Investitionen abschrecken“, sagte Demary.
Klar ist die Sache für Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI, unserer Redaktion. „Die geplante Finanztransaktionssteuer sollte endgültig begraben werden. Sie ist von Anfang an falsch gewesen“, sagte Richter. Sparer sollten jetzt entlastet und nicht zusätzlich belastet werden, meint Richter.
Grünen-Europapolitiker: Steuer zur Finanzierung der Krise?
Auch der Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, Sven Giegold, kann dem Gesetzesentwurf von Olaf Scholz nichts abgewinnen, er findet ihn „grundfalsch“: „Dieser Gesetzesentwurf war unverschämt gegenüber Millionen von europäischen Bürgern, die sich für die Steuer eingesetzt haben.“ Der Gesetzesentwurf treffe die Falschen und lasse die Derivaten- und Hochfrequenzhandel-Spekulanten außen vor.
Grundsätzlich hält er eine Finanztransaktionssteuer aber nicht für falsch – und sieht in der Krise sogar eine Chance, dass diese vorangebracht wird. „Noch können wir nicht abschätzen, wie teuer die Krise wird. Aber natürlich wird irgendwann die Frage kommen, wer das eigentlich alles bezahlt“, sagte Giegold. Eine Finanztransaktionssteuer könne ein Instrumentarium sein, um Geld einzunehmen.
Zurückhaltung aus der Union
Auf Rückendeckung des Koalitionspartners kann Scholz nur bedingt zählen. Man stehe zu der Verabredung mit der SPD und zu der Finanztransaktionssteuer. Allerdings trage man sie nur mit, wenn sie nicht die Kleinsparer belaste, sagte Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Scholz hatte bereits angekündigt, Sparer steuerlich entlasten zu wollen.
Zusätzliche Steuern zur Bewältigung der Krise hält die CDU-Finanzpolitikerin aber nicht für zielführend: „Die damalige Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass es sinnvoller ist und schneller geht, die Wirtschaft über Steuerentlastungen wieder anzukurbeln.“
Mehr zur Corona-Krise:
- Alle News im Überblick: Aktuelle Nachrichten zum Coronavirus im News-Ticker
- Regierung setzt auf Shutdown: Kontaktverbot statt Ausgangssperre – Diese Corona-Regeln gelten in Deutschland
- Wer ist besonders gefährdet? Coronavirus – Menschen mit diesen Vorerkrankungen sind gefährdeter
- Lockerung der Maßnahmen: Wann öffnen die Schulen in der Corona-Krise wieder?
- Wie lasse ich mich testen? Alle wichtigen Informationen zum Coronavirus-Test
- Was muss man über das Virus wissen? Coronavirus-Infektion – Typische Symptome, Dauer, Ursprung - wie überträgt es sich?
- Risikogebiete im Überblick: Diese Karte zeigt Coronavirus-Fälle weltweit in Echtzeit
- Schutz vor dem Virus? So gut schützen Atemmasken und Mundschutz vor dem Coronavirus
- Schutz einfach selbst nähen – so geht’s: So kann man sich Corona-Mundschutz selbst machen - Anleitung der Stadt Essen