Hamburg. Lars Brzoska spricht über die Folgen der Pandemie für den Hamburger Gabelstaplerbauer – und die Zukunft des Homeoffice.
Lars Brzoska empfängt zum Telefon-Interview im großen Konferenzraum der Jungheinrich-Zentrale in Wandsbek. „Der Raum ist gut gelüftet“, versichert er. Wie es sich in diesen Tagen des Infektionsschutzes gehört. Für gewöhnlich arbeitet der Vorstandschef des Maschinenbaukonzerns wie die meisten der Büromitarbeiter wegen der Corona-Pandemie derzeit zu Hause. Mit dem Abendblatt spricht er über die Folgen der Krise für das Unternehmen und die Beschäftigten, über neue Arbeitsformen in und nach der Krise – und über das Vatersein im Homeoffice.
Hamburger Abendblatt: Herr Brzoska, die Corona-Pandemie hat die Pläne von Jungheinrich für 2020 über den Haufen geworfen. Wie gut können Sie derzeit schlafen?
Lars Brzoska: Eigentlich gar nicht so schlecht. Als sich ab Mitte März die Situation mehr und mehr zuspitzte, gab es eine Phase, in der ich sicherlich häufiger mit vielen Gedanken an die Zukunft des Unternehmens ins Bett gegangen bin. Aber wir haben uns in den vergangenen Wochen selbst bewiesen, dass wir zumindest die meisten Aufgaben gut bis sehr gut bewältigen konnten. Seitdem schlafe ich wieder viel besser, weil ich weiß: Alle im Unternehmen haben außergewöhnlichen Einsatz gezeigt, um der Krise zu begegnen. Aber wie sich die Märkte weiterentwickeln und welche Folgen das für Jungheinrich hat, können wir nicht wissen, und wir können es ja auch nicht beeinflussen.
Jungheinrich hat wegen der Wirtschaftskrise für 2020 bereits einen Umsatzrückgang von bis zu zwölf Prozent prognostiziert und diese Prognose später wegen der unabsehbaren Corona-Folgen zurückgenommen. Wie schlimm wird es?
Brzoska: Ich kann über den kürzlich veröffentlichten Quartalsbericht hinaus keine Aussagen machen, weil ich es ehrlicherweise noch nicht weiß. Mein persönlicher Grundsatz ist: Wir stellen uns auf das Schlimmste ein und hoffen auf das Beste. Klar ist aber, dass die Folgen für die Weltwirtschaft deutlich stärker sein werden als während der Finanzkrise 2008/2009. Der Konzern hat frühzeitig schon im Sommer 2019 die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise gespürt, die jetzt durch das Coronavirus noch einmal deutlich verschärft werden. Die Unsicherheit ist so groß, weil so vieles geschehen kann. Kunden können ausfallen, Zulieferer können pleitegehen.
Während der damaligen Finanzkrise ist der Konzernumsatz binnen eines Jahres um fast 22 Prozent eingebrochen ...
Brzoska: Der Markt für Flurförderzeuge in Europa hat sich sogar fast halbiert. Er hat aber im Jahr danach schon wieder angefangen, sich deutlich zu erholen. Das wird diesmal voraussichtlich anders sein. Ich rechne nicht damit, dass es erneut eine V-förmige Kurve gibt, schnell nach unten, aber auch schnell wieder nach oben. Das mag in Märkten in politischen Systemen wie in China durch staatliches Einwirken und Pandemiebekämpfung möglich sein, in den USA und in Europa eher nicht. Wir planen jedenfalls nicht mit einem zum Jahresende einsetzenden Nachfrageboom, sondern stellen uns auf eine lange andauernde Krise ein.
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2010 hatte Jungheinrich fast 700 Beschäftigte weniger als 2008. Zeichnet sich jetzt wieder ein Abbau von Arbeitsplätzen ab?
Brzoska: Die Situation war damals etwas anders. Die Krise begann im Herbst 2008, und Jungheinrich ist dann bis zum Jahresende praktisch mit dem vorhandenen Auftragsbestand durchgesegelt. Weil es bereits im Frühsommer 2019 erste Auftragsrückgänge gab, haben wir umgehend im August ein Effizienzprogramm aufgelegt, unter anderem Neueinstellungen teils zurückgestellt und nicht vordringliche Projekte auf Eis gelegt. Das kommt uns jetzt zugute. Durch die natürliche Fluktuation in der Belegschaft und den Abbau von Leiharbeitskräften haben wir heute schon über 500 Mitarbeiter weniger im Konzern als im August 2019. Diesen Weg werden wir weitergehen.
Wie stark nutzt der Konzern derzeit Kurzarbeit?
Brzoska: Das ist von Standort zu Standort sehr unterschiedlich und ändert sich von Woche zu Woche, deshalb ist eine globale Aussage nicht möglich. Von den Mitarbeitern hier in der Zentrale, für die Kurzarbeit grundsätzlich infrage käme, wird dieses Mittel nur mit 20 Prozent genutzt. In der Produktion gibt es derzeit keine Kurzarbeit. Ich schließe aber nicht aus, dass wir sie je nach Standort stärker nutzen werden, wenn die Situation sich verschärfen sollte.
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Hat Jungheinrich staatliche Unterstützung wie Finanzhilfen oder zinsgünstige Kredite angefordert?
Brzoska: Nein, und das wird bis auf Weiteres auch nicht notwendig sein. Die Finanzen und vor allem der Cashflow waren schon in den Monaten vor Corona ein Hauptaugenmerk. Wir haben auch Bereinigungen vorgenommen, der Konzern ist praktisch schuldenfrei. Jungheinrich ist ein finanziell extrem gesundes Unternehmen. Das hilft uns gerade sehr.
Corona hat den Arbeitsalltag vieler Beschäftigter grundlegend verändert, sie sind im Homeoffice. Wie häufig sind Sie im Büro?
Brzoska: Wir haben zum Infektionsschutz sehr frühzeitig die meisten Beschäftigten auch in der Zentrale ins Homeoffice geschickt. Ich bin nur hier, wenn es wirklich unbedingt notwendig ist, schätzungsweise etwa 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit. Und ich bin sehr erstaunt, wie gut sich vieles von außerhalb des Büros erledigen lässt.
Seit Anfang der Woche öffnen die Kitas in Hamburg wieder. Sind Sie erleichtert?
Brzoska: Unsere Tochter ist vier Jahre alt. Wir genießen die größere Nähe und die längere Zeit miteinander sehr. Bei ihr wächst aber das Bedürfnis, endlich mal wieder Gleichaltrige zu treffen. Was den Infektionsschutz angeht, bin ich da etwas skeptisch. Man weiß ja nicht, wie sich das entwickelt, wenn man die Kleinen wieder aufeinander loslässt.
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Die Frage zielte eher darauf, ob Sie zu Hause ungestörter arbeiten können, wenn die Kleine in der Kita ist …
Brzoska: Ach, na ja. In dem Alter ist ja schon ein gewisses Verständnis vorhanden, dass der Papa auch mal telefonieren muss, sich dafür aber mehr Zeit in der Kaffeepause nimmt. Es hat bestimmt auch Situationen gegeben, die für eine Vierjährige enttäuschend sind. Ich musste da einiges erst mal lernen.
Und das ist gelungen?
Brzoska: (Lacht) Das besprechen Sie mal lieber mit meiner Frau.
Wie geht es mit dem Homeoffice bei Jungheinrich langfristig weiter?
Brzoska: Die Arbeit nach Corona wird sicher anders aussehen. Wie genau, kann ich noch nicht sagen. Wir haben das Projekt „Future work at Jungheinrich“ gestartet, fragen als Erstes die Erfahrungen der Beschäftigten ab. Was ist gut gelaufen, was nicht so gut, was wollen und sollten wir erhalten und vielleicht ausbauen? Homeoffice wird bei Jungheinrich sicher eine größere Rolle spielen als in der Vergangenheit, wir werden die Flexibilisierung und die Digitalisierung schneller und stärker vorantreiben. Es werden aber nicht alle zu Hause arbeiten wollen. Viele sagen ganz klar, dass sie zurückwollen.
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Erst vor acht Monaten hat das Unternehmen den zweiten Bauabschnitt seiner Zentrale eingeweiht. Waren die mehr als 20 Millionen Euro eine Fehlinvestition?
Brzoska: Nein, keinesfalls. Der zweite Abschnitt ist ja nicht auf reinen Zuwachs gebaut, sondern wir haben Beschäftigte ins eigene Haus geholt, die zuvor auf mehrere Standorte in der Stadt verteilt in gemieteten Objekten saßen.
Es muss nicht jeder, der oft im Homeoffice ist, einen eigenen Arbeitsplatz haben?
Brzoska: Genau. Wechselarbeitsplätze gibt es auf einem niedrigen Level bei uns bereits an einigen Standorten. Etwa für Außendienstler, die ohnehin häufig unterwegs sind. Und es gibt viele große Unternehmen, die schon sehr lange und erfolgreich so arbeiten. Dass wirklich jeder im Büro einen eigenen Stuhl und einen eigenen Schreibtisch hat, ist möglicherweise schon bald nicht mehr notwendig. Dann sprechen wir wohl eher von digitalen Arbeitsplätzen.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden