Hamburg. Geschäftsklima sinkt in der Coronakrise auf Rekordtief. Alle Branchen betroffen. Kammer will Öffnung auch großer Geschäfte.
Die neue Führung der Hamburger Handelskammer hätte gern mit neuen Ideen geglänzt, mit Vorschlägen, die der prosperierenden Stadt zu noch stärkerem Wachstum verhelfen aufdrücken. Stattdessen muss sich das Kammerpräsidium als Krisenbewältiger profilieren. Das zeigte sich am Mittwoch beim ersten großen öffentlichen Auftritt des neuen Führungsduos Norbert Aust und Astrid Nissen-Schmidt.
Sie berichteten über die konjunkturelle Lage der Hamburger Wirtschaft, und die ist infolge der Coronapandemie auf ein Rekordtief gesunken. Einer Umfrage unter den Betrieben zufolge gehen 75,1 Prozent davon aus, dass ihr Umsatz im Geschäftsjahr 2020 mehr oder minder stark zurückgehen wird. Mit einem regelrechten Einbruch um mehr als 50 Prozent rechnen 10,1 Prozent.
Geschäftsklima auf tiefstem Wert seit beginn der Messung
Der Geschäftsklimaindex, der die Stimmung der Hamburger Wirtschaft widerspiegelt, ist mit 38,6 Punkten auf den tiefsten Wert seit Beginn der Messungen 1971 gefallen. Nicht in der Ölkrise, nicht einmal in der großen Wirtschaftskrise 2008 war die Stimmung unter Hamburgs Unternehmen so schlecht. Entsprechend groß sind die Erwartungen, welche die Unternehmen in die Handelskammer setzen.
Deren Präses, Norbert Aust, stellt entsprechend klare Ansprüche an den Senat. „Wir fordern, dass ab kommender Woche alle Einzelhandelsbetriebe der Stadt wieder öffnen dürfen. Die Begrenzung der Verkaufslockerung auf 800 Quadratmeter stammt aus dem Baurecht, ist aber aus gesundheitlicher Sicht völlig willkürlich.“ Hygienemaßnahmen könnten auch auf großen Einzelhandelsflächen problemlos umgesetzt werden. „In Hamburg sind 379 Einzelhandelsbetriebe von dieser willkürlichen Maßnahme betroffen“, so Aust.
15.000 Euro Digitalisierungszuschuss für kleine Betriebe
Des weiteren fordert die Kammer einen Digitalisierungszuschuss vom Staat für kleine und mittlere Betriebe. Andere Bundesländer wie Bayern und Nordrhein-Westfalen haben diesen bereits eingeführt. Er dient dazu, Firmen beim Aufbau eines Internetauftritts oder eines Onlineshops zu unterstützen. Bis zu 15.000 Euro pro Antragsteller könnte der Zuschuss nach Ansicht der Kammer betragen.
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Aust schlug Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) zudem vor, Runde Tische mit den Vertretern der besonders stark unter der Coronakrise leidenden Branchen einzurichten, um auf ihre Bedürfnisse besser eingehen zu können. „Im Ergebnis soll zunächst ein Masterplan Tourismus- und Freizeitwirtschaft entstehen, der detaillierte Verabredungen mit der Stadt trifft, wie diese Branche die Krise überstehen kann“, sagte Aust.
Auch Vize-Präses Astrid Nissen-Schmidt plädiert für die Suche nach passgenauen Lösungen. Sie bezieht sich dabei auf ein Perspektivpapier, das die norddeutschen Industrie- und Handelskammern (IHK Nord) zur Bewältigung der Krise entwickelt haben. Darin heißt es: „Wichtig ist jetzt, dass die staatlichen Vorgaben künftig nicht mehr pauschal ganze Branchen mit Einschränkungen belegen, sondern dass klare medizinische Kriterien und Hygieneregeln festgelegt werden, die einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen.“
Drei-Phasen-Konzept soll Wirtschaft aus der Krise helfen
Laut Nissen-Schmidt haben die IHK Nord ein Drei-Phasen-Konzept entwickelt, mit dem der Wirtschaft aus den Verwerfungen der Coronakrise herausgeholfen werden soll: Als erstes müsse es weitere situative Lockerungen des Kontaktverbots für Betriebe aus allen Branchen geben, also auch für Tourismus, Gastronomie und kleinere Veranstaltungen.
„Die zweite Phase sieht eine zunehmende Normalisierung des Wirtschaftsbetriebs vor“, sagtwe Nissen-Schmidt. In der dritten Phase, „das ist aber noch in weiter Ferne“, bedürfe es einer konjunkturellen Belebung. Dazu sei ein weitgehendes wirtschaftspolitisches Programm für ganz Norddeutschland aufzustellen. „Das funktioniert nur, wenn die Länder im Norden eng zusammenarbeiten.“
Die Stärke der Hamburger Wirtschaft war in Krisenzeiten immer der breite Branchenmix. Ging es einem Zweig schlecht, waren andere nur wenig berührt. Das scheint in der Coronakrise nicht mehr zu gelten. Nur 1,8 Prozent der Betriebe erwarten laut Umfrage einen steigenden Umsatz in diesem Jahr.
40 Prozent der Unternehmen wollen Personal reduzieren
Dem aktuellen Konjunkturbarometer zufolge weist die Konjunkturkurve aller Wirtschaftszweige mehr oder weniger steil nach unten. „Zu den hiesigen Wirtschaftszweigen in denen das aktuelle Klima besonders schlecht ist, zählen der Groß- und Außenhandel, der Einzelhandel, das Verkehrsgewerbe und insbesondere das Gastgewerbe“, sagt der Chefvolkswirt der Handelskammer, Dirck Süß.
40 Prozent der befragten Unternehmen würden eine Reduzierung des Personals vorsehen. 18,4 Prozent der befragten Betriebe wagen es überhaupt nicht, einen Rahmen für die Umsatzprognose für dieses Jahr anzugeben.
Schließlich sagte Aust etwas, dass nicht im aktuellen Konjunkturbarometer steht: Die Handelskammer habe mit Beginn der Pandemie eine Corona-Hotline eingerichtet, unter der bereits 5000 Unternehmen beraten worden seien. 50 Prozent der Anrufer hätten direkt Fragen zum Umgang mit der Krankheit gestellt, 20 Prozent Fragen zur Kurzarbeit.
„Bei zehn Prozent der Anrufe hätte eigentlich ein Seelsorger hinzugezogen werden müssen, weil die persönliche Betroffenheit der Unternehmer so groß war. Wir kämpfen eben nicht nur mit einer gesundheitlichen und wirtschaftlichen, sondern mit einer gesellschaftlich-moralischen Krise.“ Es ist ein schwieriger Start für den Kammerpräses.