Berlin. Der deutsche Automarkt bricht extrem ein. Die Branche ist in Aufruhr. Ein US-Unternehmen profitiert: Tesla verzeichnet neue Rekorde.
Die Werke stehen still, Zulassungsstellen und Autohäuser haben seit knapp zwei Wochen geschlossen: Die deutsche Autobranche, mit über 800.000 Beschäftigten das Rückgrat der deutschen Industrie, ist empfindlich von der Corona-Krise getroffen.
Wie empfindlich, das wird an den Zahlen deutlich, die der Verband der Automobilindustrie (VDA) am Freitag vorlegte.
Corona-Krise: Deutscher Automarkt bricht ein
Im März wurden demnach nur noch 215.100 Pkw hierzulande zugelassen – ein Rückgang um 38 Prozent und damit zugleich der höchste Einbruch seit der Wiedervereinigung. In der Quartalsbilanz brach der deutsche Automarkt um ein Fünftel ein, 701.300 Autos wurden in diesem Jahr neu zugelassen.
Besserung ist nicht in Sicht. Die Autobauer erhielten im März 22 Prozent weniger Aufträge von Kunden aus Deutschland. Die Probleme sind nicht nur auf den deutschen Markt begrenzt. Die exportgetriebene Branche verzeichnet auch aus dem Ausland weniger Aufträge. Seit Januar gingen 18 Prozent weniger Aufträge ein, im bisherigen Jahresverlauf wurden ein Fünftel weniger Autos ausgeliefert.
VW verliert zwei Milliarden Euro – pro Woche
Eine kurzfristige Erholung zeichnet sich nicht ab – denn die Arbeit der Autobauer ruht. Bei Volkswagen und den Tochterunternehmen Audi und Porsche ist die Produktion bis zum 19. April unterbrochen. Auch in Amerika und Russland stehen die Werke still. Die Folge: Pro Woche verliert VW laut Angaben von Konzernchef Herbert Diess bis zu zwei Milliarden Euro an Liquidität.
Bei der deutschen Konkurrenz sieht es nicht besser aus. Auch BMW, das gerade Milliarden in den Wandel zur Elektromobilität gesteckt hat, hat seine Produktion bis zum 19. April gestoppt. Sehr zur Unzeit kommt der Shutdown für den Rüsselsheimer Autobauer Opel, der nach einem harten Sparkurs gerade zurück in die Spur gekommen war. Jetzt stehen die 15 europäischen Werke still.
Ungewissheit herrscht bei Daimler. Ola Källenius, Chef des schwäbischen Autobauers, hat das Unternehmen auf einen Sparkurs getrimmt, bis zu 15.000 Jobs könnten wegfallen – Stand vor der Krise. Am Mittwoch schloss Daimler mit vier Banken vorsorglich eine neue Kreditlinie über zwölf Milliarden Euro ab.
Tesla verzeichnet neuen Rekord
Während die deutschen Autobauer in der Krise taumeln, scheint US-Konkurrent Tesla vor Selbstvertrauen nur so zu strotzen. Am Donnerstag legte das Unternehmen um Firmengründer Elon Musk seine Quartalszahlen vor. 102.672 Autos hat Tesla in den ersten 91 Tagen des Jahres gebaut – so viel wie nie zuvor.
88.400 Fahrzeuge konnten ausgeliefert werden – 40 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. „Natürlich ist der Basiswert des Wachstums geringer als bei den Premium-Herstellern. Aber die Kurve verläuft exponentiell. Tesla hat einiges richtig gemacht“, sagte Autoexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch-Gladbach unserer Redaktion.
„Tesla hat einen Vorsprung von mindestens drei Jahren“
Auch in Grünheide treibt Tesla den Bau seiner Gigafactory trotz Shutdown voran. Die Zeichen stehen auf Schnelligkeit. Den Vorsprung, den das US-Unternehmen in puncto Elektromobilität und Innovationsfähigkeit gesetzt hat, will Musk in der Krise offenbar weiter ausbauen. „Tesla hat einen Vorsprung von mindestens drei Jahren, in einigen Bereichen fünf Jahren“, sagte Bratzel. Auch Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität St. Gallen erkennt an: „Wer Mut zeigt, wird auch in der Krise belohnt. Überall gehen die Verkaufszahlen gerade runter – außer bei Tesla.“
Kanzlerin beriet mit Autochefin über die Zeit nach der Krise
Ein Hoffnungsschimmer für die deutschen Autobauer ist die anlaufende Produktion in Asien, vor allem im wichtigen Absatzmarkt China. Wobei VDA-Chefin Hildegard Müller klarstellte: „Wir sind auch in den Märkten noch weit entfernt von einer Normalisierung.“
Am Mittwoch war Müller zu Gast im Kanzleramt, um mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und einigen Ministern darüber zu sprechen, wie es nach der Krise weitergehen soll. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die Bundesregierung die Abwrackprämie ins Leben gerufen. Das Konjunkturprogramm war damals ein voller Erfolg: Binnen neun Monaten waren die bereitgestellten fünf Milliarden Euro ausgeschöpft.
Gibt es nach der Krise eine zweite Abwrackprämie?
Entsprechend wird auch jetzt in der Branche über ein solches Modell spekuliert – zumal die Regierung schon vor der Krise den Wandel zur Elektromobilität mit der Umweltprämie unterstützte und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Donnerstag öffentlich über ein „Fitnessprogramm für die Wirtschaft“ sprach.
VDA-Chefin Müller hält sich bedeckt: „Wir haben über konkrete Themen gesprochen, die nun verteilt werden, um aus dieser Krise herauszukommen.“ Welche genau, ließ sie offen.
Autoexperte Dudenhöffer: Mehrwertsteuer für hochwertige Konsumgüter aussetzen
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer schwebt ein anderes Konzept vor: Er schlägt vor, dass die Mehrwertsteuer auf hochpreisige Konsumgüter, neben Autos beispielsweise auch Möbel, ausgesetzt wird. So würde man sich den Prozess der Antragstellung sparen, und es könnten auch diejenigen profitieren, die derzeit kein Fahrzeug besitzen.
Zusätzlich brauche es ein Entgegenkommen seitens der Autobauer: „Sie können Versicherungen anbieten. Sie verkaufen ein Auto, und wenn ein Kunde arbeitslos wird, kann er es zurückgeben“, sagte Dudenhöffer. Eine solche Leasingaktion hatte Hyundai in der Finanzkrise 2008 in den USA angeboten. „Damit wurde Hyundai zu einer der wenigen Marken, die an Marktanteilen in der Krise zulegen konnten“, sagte Dudenhöffer.
Autoexperte Stefan Bratzel setzt dagegen auf die Umweltprämie für Elektrofahrzeuge. „Mit einer weiteren Erhöhung der Umweltprämie würde man ein Signal setzen, das die E-Mobilität noch günstiger macht“, sagte Bratzel.
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