Hamburg. Händler zahlen nicht mehr, Vermieter sind sauer. Am Ende könnte der Dissens zu Geschäftsschließungen führen.

Kaum ein Vermieter von Ladenflächen, der in diesen Wochen keine Post bekommt. So wie Andrea Erdmann, die in Bergedorf zwei Gewerbeeinheiten an zwei Ketten vermietet. „Bei dem Brief von Mobilcom-Debitel war ich schon etwas überrascht, dass gleich ein Schreiben angeheftet war, in dem ich mich mit einer Reduzierung der Nettokaltmiete um 50 Prozent einverstanden erklären sollte“, sagt Erdmann.

Eine Bäckereikette will die Miete ab April nur noch unter Vorbehalt zahlen, obwohl die Filiale geöffnet ist, während die meisten Einzelhändler infolge der Coronakrise ihre Türen schließen mussten. Erdmann stehen jetzt schwierige Verhandlungen bevor. „Ich muss mir erst einmal Rat holen, wie ich auf die Schreiben reagiere“, sagt sie. Natürlich sei klar, dass in dieser Zeit alle Federn lassen müssen. „Das Schreiben von Mobilcom-Debitel fand ich aber schon etwas dreist.“ Denn die zehn Shops in Hamburg sind noch geöffnet, wenn auch verkürzt.

Modekette Kik geht rigide vor

Andere Unternehmen wie die Modekette Kik gehen noch rigider vor. Da alle Filialen schließen mussten, sieht das Unternehmen die Geschäftsgrundlage von Mietverträgen derart gestört, dass die Miete vollständig zu kürzen sei, wie es in einem Schreiben an die Vermieter heißt. Als Folge wird die Miete für den Monat April einbehalten. „Unsere Mitglieder sind massiv mit solchen Forderungen zur Mietaussetzung konfrontiert“, sagt Gordon Gross vom Verband Haus & Grund. „Manche Vermieter müssen die Schreiben erst einmal aus dem Englischen übersetzen.“ So verschickte die Damenmodewäschekette Hunkemöller, die rund zehn Filialen in Hamburg hat, nach Angaben von Haus & Grund die Briefe nur in Englisch. Für die Zeit der Schließungen möchte die Kette keine Miete mehr zahlen.

Seit 1. April können nicht nur private, sondern auch gewerbliche Mieter sich die Miete zunächst für drei Monate stunden lassen. „Damit hätte ich auch kein Problem“, sagt Erdmann. Später muss die Miete aber nachgezahlt werden. Nach einer Umfrage des Maklerunternehmens Engel & Völkers wurden bereits 67 Prozent der Vermieter von Einzelhandelsimmobilien zu Mietstundung oder Mietreduzierung angesprochen (siehe Grafik). Über die Hälfte (56 Prozent) ist auch bereit, die Forderungen ohne weitere Verhandlungen zu akzeptieren. 44 Prozent sind in Gesprächen mit ihren Vermietern.

Problem für den stationären Einzelhandel

Eine Sprecherin von Freenet bestätigt gegenüber dem Abendblatt die Schreiben an Vermieter. „Jedem Vermieter ist bewusst, dass sich aus der Coronakrise langfristig ein Problem für den stationären Einzelhandel entwickeln könnte“, sagt sie. „Unsere Vermieter haben sehr viel Verständnis und kommen uns daher entgegen. Dafür sind wir sehr dankbar.“ Ähnlich argumentiert auch Kik. „Der komplette Einzelhandel ist zum Erliegen gekommen“, sagt eine Sprecherin. Es gehe darum, eine Schieflage des Unternehmens zu verhindern und die liquiden Mittel zur Sicherung der Arbeitsplätze zu nutzen. „Mit rund der Hälfte unserer 1500 Vermieter haben wir bereits gesprochen und mit ihnen einvernehmliche Lösungen erörtert“, so die Kik-Sprecherin.

„Für mich ist es schwer einzuschätzen, welche Hilfspakete eine Kette wie Mobilcom-Debitel, die zum Konzern Freenet gehört, in Anspruch nehmen kann“, sagt Erdmann. „Als Steuerzahler finanziere ich auch Rettungspakete. Bevor man in Verhandlungen einsteigt, muss deshalb erst klar sein, wer welche Hilfen bekommt.“ Denn für sie gehören die zwei Gewerbeflächen zu ihrer Altersversorgung. Als Besitzerin eines Handwerksbetriebes hat sie kaum in die Rentenversicherung eingezahlt.

60 Prozent der Vermieter von Gewerbeflächen in den Städten sind Privatpersonen

Rund 60 Prozent der Vermieter von Gewerbeflächen in den Städten sind Privatpersonen, wenn man die Einkaufszentren ausklammert. 40 Prozent sind institutionelle Anleger wie Fonds oder Versicherungen. Mietstundungen oder Mietreduzierungen treffen am Ende auch Anleger, die ihr Geld in einer Lebensversicherung oder einem offenen Immobilienfonds angelegt haben. Einer dieser Vermieter in Hamburg ist die Union Investment Real Estate, die mehrere offene Immobilienfonds vertreibt. Zum Fonds UniImmo Deutschland gehören in Hamburg das Wandsbek Quarree, das Mercado in Altona und Galeria Karstadt Wandsbek, das sich bereits unter dem Rettungsschirm befindet.

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Das Schutzschirmverfahren gilt als Vorstufe der Insolvenz. Die Regeln sind aber die gleichen: Der Warenhauskonzern Karstadt Kaufhof ist nun für drei Monate vor dem Zugriff von Gläubigern geschützt, ohne Insolvenz anmelden zu müssen. Auch die Mieten für alle Warenhäuser, für Sportgeschäfte, Reisebüros und Logistik-Immobilien waren bereits ausgesetzt, Zahlungen an Lieferanten ebenso.

Beruhigung der Anleger

Im Mercado haben noch viele Geschäfte geöffnet, da dort viele Lebensmittelhändler sind. Auf der anderen Seite gehören Großfilialisten zu Mietern in beiden Fondsobjekten, die weitestgehend ihre Mieten nicht bezahlen wollen, wie Union Investment auf Nachfrage bestätigt. „Als Treuhänder vertreten wir uneingeschränkt die Interessen von Tausenden Kleinsparern, die in unseren Offenen Immobilienfonds investiert sind“, sagt Sprecher Fabian Hellbusch. „Wir haben daher eine sehr klare Position: In Deutschland besteht Mietanspruch, und wir gehen davon aus, dass die Filialisten ihren Verpflichtungen nachkommen und durch ihr Verhalten unseren Anlegern kein Nachteil entsteht.“

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Das mag der Beruhigung der Anleger dienen. „Beide Seiten halten jetzt erst einmal an ihren Maximalpositionen fest“, sagt ein Branchenkenner. Aber es sei klar, dass auch die Vermieter Abstriche machen müssen. Aber noch hoffen sie auf einen Rettungsschirm für Vermieter. „So wie die Sache jetzt läuft, kann es zu einer gefährlichen Kettenreaktion kommen“, sagt Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Denn viele Immobilien sind finanziert. „Dann wird das Problem an die Banken weitergereicht.“ Es werde umso größer, je länger die Schließungen andauern. Deshalb rät der IW-Experte zu einem staatlichen Fonds, der Vermieter in Schieflage unterstützt.

Informationen zum Coronavirus:

Andrea Erdmann wird ihre Miete im April noch bekommen – von der Bäckereikette wie auch von Mobilcom-Debitel. Eine Nachfrage des Abendblatts bei Freenet ergab, dass die Miete normal gezahlt werde, wenn die Vermieter auf die Forderung nach Halbierung der Miete nicht eingehen. Noch hat Freenet auch Spielraum, denn an der Dividende von 1,65 Euro je Aktie hält das Unternehmen bisher noch fest. „Private Vermieter sind immer in einer schwierigen Situation, wenn sie mit Ketten verhandeln müssen, denn diese können viel Druck ausüben“, sagt Gross von Haus & Grund. Mit der Bäckereikette gibt es vielleicht bald nichts zu verhandeln. Sie will im Herbst das Ladenlokal aufgeben. Es könnte der Anfang vom neuen Leerstand in den Innenstädten sein und ein neues Problem für Andrea Erdmann.