Essen. Ketten wie Deichmann, H&M und Adidas müssen wegen der Coronavirus-Pandemie schließen. Nun stellten sie auch ihre Mietzahlungen ein.

Die Läden geschlossen, die Beschäftigten in Kurzarbeit – der Einzelhandel in Deutschland ist wegen der Coronavirus-Pandemie weitgehend heruntergefahren. Das hat nicht nur für die Unternehmen bittere Folgen, sondern auch für Eigentümer der Handelsimmobilien. Denn Ketten wie Deichmann, H&M, Adidas und andere haben angekündigt, ab 1. April ihre Mieten und Nebenkosten nicht mehr zu bezahlen.

Dafür gibt es jede Menge Kritik: Der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft (ZIA) nannte das Vorgehen „rechtlich und moralisch bedenklich“. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) übten scharfe Kritik am Vorgehen der Unternehmen.

Bundesjustizministerin nennt Vorgehen „unanständig und nicht akzeptabel“

„Es hat uns überrascht, dass es so schnell und heftig kommt“, sagte Gordon Gross vom Eigentümerverband Haus & Grund dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Die Vermieter bekommen es jetzt knallhart um die Ohren gehauen.“ Auch der Zentrale Immobilienausschuss (ZIA) übte Kritik. Die Filialisten seien wirtschaftlich gesund. Das „einseitige Vorpreschen“ sei daher „wenig partnerschaftlich“.

„Wenn jetzt finanzstarke Unternehmen einfach ihre Mieten nicht mehr zahlen, ist dies unanständig und nicht akzeptabel“, erklärte Lambrecht dazu in Berlin. Sie betonte, auch die beschlossenen neuen Regeln für einen besseren Schutz von Mietern böten dafür keine Grundlage. Mieter müssten „weiterhin selbstverständlich ihre Miete zahlen“, ihnen könne lediglich im Fall „ernsthafter Zahlungsschwierigkeiten“ nicht wegen Mietrückständen gekündigt werden. Dies könne gerichtlich überprüft werden.

Corona-Krise: Scheuer zeigt sich „sehr enttäuscht“ über Adidas

Scheuer äußerte sich konkret „sehr enttäuscht“ über den Sportartikelhersteller Adidas. Die Ankündigung des Unternehmens, die Mietzahlungen vorerst einzustellen, sei „eine völlig inakzeptable Botschaft“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Adidas habe große Gewinne gemacht, betonte Scheuer. „Es sind ja nicht nur die großen Immobilieneinrichtungen, sondern auch kleine, die als Privatpersonen an Adidas vermieten - und die bleiben dann auf ihren Kosten sitzen.“ Der CSU-Politiker kritisierte das Vorgehen des Konzerns als unsolidarisch.

Der Bundestag hatte in dieser Woche ein Gesetz verabschiedet, wonach Mieter wegen Zahlungsrückständen infolge der Pandemie drei Monate lang nicht gekündigt werden können. Die Regelung bezieht sich auf Wohn- und Gewerbemieten und gilt zunächst bis Ende Juni. Mit der Einstellung der Mietzahlungen haben die Unternehmen einen Aufschrei in der Immobilienbranche erzeugt.

„In der Immobilien-Branche erleben wir gerade eine Wildwest-Zeit“, kritisiert Eckhard Brockhoff. Der Essener Gewerbeimmobilien-Makler vermittelt nicht nur Objekte im gesamten Ruhrgebiet. Er vermietet auch. „Es kann nicht richtig sein, dass Händler wie Adidas, Deichmann oder Pieper die Zahlung von Ladenmiete und Nebenkosten einstellen. Kein Vermieter kann sich erlauben, ganz auf Mieteinnahmen zu verzichten“, so Brockhoff.

Deichmann hat alle 1500 Schuhläden geschlossen

Die Corona-Krise gibt ihnen aber das Recht dazu und davon macht nun auch das Essener Familienunternehmen Deichmann Gebrauch, nachdem es vor gut einer Woche alle 1500 Schuhläden in Deutschland schließen und die meisten seiner bundesweit mehr als 16.000 Beschäftigten in Kurzarbeit schicken musste. „Es handelt sich hier um eine präventive Maßnahme, um die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten“, sagte ein Deichmann-Sprecher unserer Redaktion. Von der Politik erwarte Europas größter Schuhhändler, „dass die durch die Zwangsschließungen entstehenden Mietschäden für die beteiligten Vertragsparteien ersetzt werden“.

Dieser Forderung schließt sich freilich auch Makler Brockhoff an. „Die Hilfsangebote des Staates für Mieter und Unternehmer sind zu begrüßen“, sagt er. Nur: „Aber Vermieter sind dabei völlig außen vor.“ Heißt: Hauseigentümer können bei Mietausfällen erst einmal keine Hilfe der öffentlichen Hand erwarten. Auch deshalb ärgert Brockhoff, dass weite Teile des Handels nun pauschal ihre Zahlungen aussetzen. „Man muss sich jeden Fall einzeln anschauen. Gastronomen, Hotels, Reisebüros und Friseure leiden besonders darunter, dass ihre Läden schließen mussten. Ihnen kommen wir natürlich entgegen“, sagt Brockhoff und schränkt ein: „Es gibt aber auch gut laufende Ketten, die das eine Weile durchhalten können.“

Corona-Sperren wohl mindestens bis 20. April
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    Werbung für Wohnkostenfonds zur Unterstützung der Mieter

    Die Corona-Rettungspakete von Bund und Land ermöglichen nicht nur den Mietstopp in Gewerbeimmobilien, sondern auch in Wohnungen. Mietern darf in den nächsten drei Monaten nicht mehr gekündigt werden, wenn sie wegen der Corona-Krise die Miete nicht zahlen können. Freilich müssen auch sie die ausstehenden Zahlungen nachholen. Beim Eigentümerverband Haus & Grund stößt die Regelung auf wenig Begeisterung. „Viele kleine Vermieter haben Häuser als Altersvorsorge oder sind bald selbst von Kurzarbeit bedroht“, gibt Werner Weskamp zu bedenken. Bei dem Geschäftsführer des Landesverbands Ruhr in Essen steht derzeit das Telefon nicht still. „Die Verunsicherung unserer Mitglieder ist groß“, sagt er.

    Am Freitag hat Weskamp einen Brief an alle Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet geschrieben. Darin wirbt er für einen „Wohnkostenfonds“, der Mieter unterstützt, damit sie wenigstens einen Teil ihrer Miete bezahlen können, damit die Nachzahlungen am Ende nicht ganz so hoch ausfallen. Ein Rat, den auch Makler Brockhoff Mietern von Gewerbeimmobilien mit auf den Weg gibt.

    Selbst der Deutsche Mieterbund warnt davor, kleine Eigentümer in der Krise zu überfordern: „Die Leute sind verunsichert. Es gibt großzügige Vermieter, aber auch solche, die auf die monatlichen Einnahmen angewiesen sind“, gibt NRW-Geschäftsführerin Silke Gottschalk zu bedenken und schlägt einen „Hilfsfonds Wohnen“ vor, aus dem auch Nebenkosten bezahlt werden sollen, die Mieter derzeit nicht aufbringen können. (mit dpa)

    • Dieser Artikel ist zuerst auf WAZ.de erschienen

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