Hamburg. Nachfrage nach klimaverträglicher Verpackung steigt. Bei der Fertigung mit dem Rohstoff entsteht weniger Kohlendioxid.

Hier liegt etwas in Luft. Es dauert einen Moment, dann ist klar: Es ist ein spezieller Geruch, ein bisschen wie auf einem Bauernhof. Der Geruch nach frisch gemähten Gras – und das mitten in der Produktionshalle des Lüneburger Wellpappen- und Kartonherstellers Cartoflex. Matthias Hebrok nickt. „Ob wir gerade Graspapier auf der Anlage fahren, kann man riechen“, sagt der Inhaber des Familienunternehmens. Vor ihm rattert über eine Länge von 160 Metern eine Maschinenstraße, auf der Schicht für Schicht aus Papier Wellpappe wird. 195 Meter in der Minute, zeigt die Leuchttafel an der Decke an.

Wenn man wie Hebrok mit Wellpappe aufgewachsen ist, sieht man auch, dass die Bögen, die am Ende der Anlage rauskommen, eine andere Farbe haben als üblich. Eher gelblichgrün statt braun. „Das Papier, das wir hier gerade verarbeiten, besteht zu 30 Prozent aus Gras“, erklärt der 53-Jährige gegen den Lärm um ihn herum. Greencor hat er seine neue Wellpappe genannt – und ist damit ein Vorreiter für nachhaltigere Verpackungen im Norden.

247 Kilogramm Pappe verbraucht jeder Deutsche im Jahr

Fast zwölf Millionen Pakete werden in Deutschland an jedem Zustelltag verschickt. Tendenz steigend. Dazu kommen Transportverpackungen, Faltschachteln und Displays, die in Industrie und Handel gebraucht werden. Rechnerisch werden laut Umweltbundesamt hierzulande im Jahr etwa 247 Kilogramm Pappe, Papier und Karton pro Kopf verbraucht. 2018 waren es insgesamt 20 Millionen Tonnen. Seit Jahren gibt es Diskussionen über den steigenden Papierverbrauch, der – trotz Recyclingquoten von 75 Prozent – zur Belastung für die Umwelt wird. Viel Papier bedeutet auch viel frisches Holz, Wasser, Energie und Chemie, die bei der Herstellung eingesetzt werden.

„Grundsätzlich ist Wellpappe ja schon nachhaltiger als andere Verpackungen, weil es zum 100 Prozent recycelbar ist“, erklärt Nils Burmester aus der Cartoflex-Geschäftsleitung. In der Lüneburger Fabrik wird mit einem großen Anteil an Altpapier produziert. In einer großen Halle stapeln sich riesige Ballen von gepressten Wellpappabfällen, die an die Papierhersteller zurückgeführt werden. Bis zu sieben Mal, so Burmester, gehe das Material zur Aufbereitung zurück in den Kreislauf. Als das Unternehmen vor einem Jahr mit der Herstellung von Wellpappe aus Graspapier startete, war das ein Experiment für den Mittelständler. „Alle haben haben davon gesprochen“, sagt Firmenchef Hebrok. „Wir haben uns gefragt, was können wir für eine noch nachhaltigere Produktion tun und haben es probiert.“

Papier für die Pappe kommt aus Tornesch

Auf der Suche nach einem Papierhersteller, der mit Gras arbeitet, waren die Lüneburger schnell auf die Papierfabrik Meldorf in Tornesch gestoßen. Das Unternehmen, das auf Rohpapiere für die Wellpappenindustrie spezialisiert ist, hatte kurz vorher unter dem Markennamen Nature-Liner ein Papier aus einer Mischung aus Recycling- und Grasfasern auf den Markt gebracht – mit einem deutlich besseren ökologischen Fußabdruck. Die Graspellets kommen unter anderem von Uwe D’Agnone, Gründer des Unternehmens Creapaper in Bad Honnef, der die Entwicklung von Graspapier gemeinsam mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt maßgeblich vorangetrieben hatte. Nach seinen Angaben werden bei der Herstellung des Rohstoffs für Graspapier, 75 Prozent Treibhausgase eingespart. Er bezieht sich dabei auf eine Studie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Umgerechnet auf Papier mit einem 30-prozentigem Grasanteil liegt die Einsparung bei bis zu 59 Prozent CO2 im Vergleich zu Papier aus frischen Holzfasern und 15 Prozent im Vergleich zu Recyclingpapier. Ein Vorteil ist der niedrige Wasserbrauch: pro Tonne Grasfaser-Pellets werden zwei Liter verbraucht. Bei der gleichen Menge Papierfaser aus frischem Zellstoff sind es 6000 Liter. Das liegt an der unterschiedlichen Zellstruktur: Gras enthält anders als Holz kein Lignin, das im Herstellungsprozess herausgelöst werden muss. Daher wird auch erheblich weniger Energie und keine Chemie eingesetzt.

Autogrammkarten der TSG Hoffenheim mit Fußballrasen hergestellt

Das Papier aus Tornesch kommt gut an. Im vergangenen Jahr wurden zwischen 400 und 600 Tonnen des Öko-Papiers im Monat produziert, teilweise mit Gras von Wiesen aus der schleswig-holsteinischen Kleinstadt. Aber auch der Bundesliga-Club TSG Hoffenheim hat zu Beginn der Rückrunde im vergangenen Jahr Papier für Flyer und Autogrammkarten bei den Torneschern gekauft – hergestellt mit Gras des Hoffenheimer Spielfelds. In diesem Jahr strebt der Papierhersteller die doppelte bis dreifache Menge Graspapier an.

Für Cartoflex, die seit gut 40 Jahren Wellpappe in der Region produzieren, ein perfekter Partner. Inzwischen hat die Gruppe, die Hebrocks Vater gegründet hatte, fünf Standorte in Lüneburg, Bad Oldesloe und Hamburg, 250 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 80 Millionen Euro. Beliefert werden 1200 Firmen in einem Umkreis von 200 Kilometern. Die Jahresproduktion liegt bei 90 Millionen Quadratmetern, das entspricht einer Fläche von knapp 13.000 Fußballfeldern. Dass die Lüneburger jetzt auch auf Graspapier setzten, hat auch mit der veränderten Interesse bei den Kunden zu tun.

2019 produzierte Cartoflex eine Million Quadratmeter Wellpappe mit Gras

Nachhaltigkeit wird für Unternehmen immer wichtiger. Da wirkt es deutlich glaubwürdiger, wenn etwa Bio-Gemüse-Säfte oder Spargel in Kartons aus einer Pappe geliefert werden, die eine bessere Öko-Bilanz haben als die herkömmlichen Sorten. Aber auch Hersteller von Kfz-Teilen bestellen inzwischen Kartons mit Grasanteil. Und das, obwohl die Produkte teurer sind. Der Preisaufschlag liegt im mittleren einstelligen Prozentsatz. „Die Nachfrage steigt stark“, sagt Nils Lang, der bei Cartoflex für Marketing und Vertrieb zuständig ist. Wenn auch noch in kleinem Maß. 2019 wurden in der Lüneburger Fabrik gut eine Million Quadratmeter Wellpappe mit Gras hergestellt werden. In diesem Jahr soll sich die Menge verdreifachen.

Unternehmer Hebrok würde auch gern Pappe mit einem höheren Grasanteil anbieten. „Wichtig ist natürlich, dass die technischen Anforderungen an die Stabilität erfüllt werden“, sagt er und setzt auf weitere Entwicklungen in Zusammenarbeit mit dem Papierhersteller aus Tornesch. Ein Vorurteil, dass im Zusammenhang mit Graspapier immer wieder auftaucht, kann er schon jetzt ausräumen. Allergische Reaktion, wie etwa Heuschnupfen, lösen die Kartons aus seiner Herstellung nicht aus. „Das wurde untersucht und die Unbedenklichkeit vom Papierhersteller bestätigt.“