Hamburg. Nivea-Hersteller startet Naturkosmetik, kauft ein Start-up und fördert Wasserschutzprojekte. Beobachter bleiben skeptisch.

Naturkosmetik liegt im Trend. Immer mehr Menschen interessiert, was in den Shampoos, Cremes oder Deos an Substanzen ist, die sie jeden Tag benutzen. Produkte mit natürlichen Inhaltsstoffen gibt es längst nicht mehr nur in kleinen Spezialläden, auch in den Regalen von Drogerie- und Supermärkten positionieren sich ständig neue Anbieter.

Der Name des mächtigen Hamburger Hautpflegekonzerns Beiersdorf war bislang nicht im Naturkosmetik-Sortiment. Jetzt macht auch der Nivea-Hersteller erste Schritte in dem Markt, der schon seit einigen Jahren deutlich stärker als das klassische Kosmetikgeschäft wächst.

Nivea-Hersteller will Naturkosmetik-Markt Fuß zu fassen

Anfang Februar hat Beiersdorf das kleine Hamburger Naturkosmetik-Label mit dem etwas sperrigen Namen Stop the Water while using me gekauft. Und die Führungsspitze unter Vorstandschef Stefan De Loecker hat das Segment erklärtermaßen weiter im Blick – allerdings ohne allzu konkret zu werden. „Wir prüfen kontinuierlich strategische Akquisitionsmöglichkeiten“, sagt eine Sprecherin des DAX-Konzerns auf Anfrage des Abendblatts.

Parallel soll das „grüne“ Angebot aus dem eigenen Haus steigen. In Italien und Frankreich hat Beiersdorf bereits eine zertifizierte Naturkosmetik-Serie seiner Marke Florena in den Testlauf geschickt. Zudem hat Beiersdorf Ende 2019 eine Nivea-Linie unter dem Namen Naturally Good gestartet, in der nach Unternehmensangaben „mindestens 98 Prozent natürliche Inhaltsstoffe“ und kein Mikroplastik eingesetzt werden. In Deutschland ist die Serie – als Relaunch von Nivea Pure & Natural – unter dem Namen Nivea Natural Balance erhältlich.

Beiersdorf: neue Naturkosmetik-Firma soll eigenständig agieren

Für das Traditionsunternehmen Beiersdorf, dessen Erfolgsgeschichte 1911 mit der Erfindung der Nivea-Creme in Eimsbüttel begann, ist das Geschäft mit natürlicher Kosmetik ein komplett neues Terrain. Wichtigste Umsatzträger sind die internationale Kernmarke Nivea, die medizinische Hautpflege Eucerin und der Luxusanbieter La Prairie. Mit der neuen Firmenstrategie C.A.R.E.+, die Beiersdorf-Chef De Loecker im vergangenen Jahr gestartet hat, reagieren die Hamburger nun auf die veränderten Marktbedingungen in der Konsumgüterbranche und wollen die Internationalisierung, Digitalisierung und die Entwicklung neuer Produkte vor allem in den Hautpflege-Kategorien vorantreiben.

„Unser Anspruch ist es, nicht nur ein Naturkosmetiksortiment auf den Markt zu bringen, sondern einen Mehrwert zu bieten für den Verbraucher – mit Konzepten und Ideen, die noch nicht auf dem Markt sind oder schon existieren beziehungsweise die Weiterentwicklung und den Ausbau bereits bestehender Konzepte“, heißt es bei Beiersdorf.

Mit Naturkosmetik Wasserschutzprojekte fördern

Beiersdorf neuster Zuwachs, die Naturkosmetik-Marke Stop the Water while using me, war 2011 in der Hamburger Speicherstadt gegründet worden. Hinter der Idee steckten der inzwischen verstorbene Werber Stefan Kolle und der spätere Mitgründer des Online-Modehändlers About You, Tarek Müller. Die Produkte, darunter Seifenstücke, die ohne Wasser hergestellt werden, Duschgels und Shampoos auf Basis natürlicher Öl und Essenzen, verkauften sich so gut, dass aus der Idee unter dem Dach der Werbeagentur Kolle Rebbe eine eigene Firma wurde – die T.D.G. Vertriebs GmbH, an der die Familie von Gründer Kolle die Hauptanteile hielt.

Das Besondere: Ein Prozent der Erlöse wird an Wasserschutzprojekte gespendet. Inzwischen arbeiten 14 Mitarbeiter für das Unternehmen. Schwerpunkt ist der Hotelbereich, wo sich Stop the Water while using me als erste nachfüllbare Marke mit Naturkosmetik-Produkten etabliert hat. Beiersdorf hat nach dem Kauf angekündigt, künftig nicht in das Geschäft hereinregieren zu wollen.

Beiersdorf-Ziel für 2020: Schnellstmöglich CO-positiv werden

Der Nivea-Hersteller verspricht sich von der unabhängig agierenden Naturkosmetikmarke eine Stärkung des eigenen Portfolios. „Die Partnerschaft erweitert den Wirkungskreis für nachhaltige Hautpflege mit Haltung und soll das gemeinsame Nachhaltigkeitsengagement beschleunigen“, heißt es es offiziell ein wenig nebulös. Im Rahmen der Zusammenarbeit stelle das Erreichen der Klimaneutralität der Marke bis Ende 2020 eines der ersten konkreten Ziele dar. Zudem will Beiersdorf Stop the Water while using me unterstützen, schnellstmöglich CO2-positiv zu werden.

Welche Kriterien für die Wirtschaftlichkeit an das Start-up angelegt werden, muss sich in den nächsten Monaten zeigen. Der letzte Abschluss der T.D.G. Vertriebs GmbH für 2018, der im Bundesanzeiger veröffentlicht ist, weist keine Umsatz- oder Gewinnzahlen aus. Auf Nachfrage wollte sich das Unternehmen dazu nicht äußern. Auch zur weiteren Strategie gab es noch keine Angaben.

Der Marktanteil von Naturkosmetik wächst

Der Marktanteil von Naturkosmetik ist zuletzt erneut deutlich gewachsen. Nach dem neuen Jahresreport Naturkosmetik des Marktforschungsunternehmens IRI liegt er bei elf Prozent (2018: 10,2 Prozent). Mit einem Plus von 9,4 Prozent (2018: fünf Prozent) erreichte der Umsatz die höchste Wachstumsrate der vergangenen Jahre. Der wichtigste Treiber ist demnach der Bereich Gesichtspflege, der im vergangenen Jahr noch erfolgreicher war als im Vorjahr. Auch sogenannte naturnahe Kosmetik legte im Vergleich zum Vorjahr mit 6,4 Prozent deutlich zu.

Dagegen verlor die klassische Kosmetik 0,6 Prozent ihres Umsatzes – und durch das starke Wachstum von Natur- und naturnaher Kosmetik Marktanteile. War die Naturkosmetikbranche bis vor Kurzem noch von kleinen Anbietern bestimmt, sind in den vergangenen Jahren auch Konzerne wie L’Oreal eingestiegen. Das internationale Unternehmen hatte 2018 die alteingesessenen Naturkosmetikmarken Logocos, Sante und Neobio übernommen. Und die Düsseldorfer Henkel AG hat gerade die italienische Naturkosmetikmarke N.A.E. Naturale Antica Erboristeria in den deutschen Handel eingeführt.

Übernahme des Start-ups Stop the Water while using me

Commerzbank-Analyst Andreas Riemann ist dennoch skeptisch. Aus Gesamtunternehmensperspektive spiele der Naturkosmetikmarkt für Beiersdorf wahrscheinlich nur eine kleine Rolle. Auch Jörg Philipp Frey von Warburg gibt sich eher zurückhaltend. „Für große Konzerne ist es schwieriger, in dem Markt glaubwürdig zu sein“, sagt er. Dennoch sei es richtig, dass Beiersdorf die steigende Nachfrage in dem wachstumsstarken Markt Naturkosmetik bediene und Antworten entwickele. „Das ist ein Feld, das für Akquisitionen prädestiniert ist“, so Frey.

Die Übernahme des Start-ups Stop the Water while using me sei daher „ein vernünftiger erster Schritt“. Es gebe einige Beispiele dafür, wie Beiersdorf es in der Vergangenheit bei Zukäufen geschafft habe, kleine Unternehmen in größere Dimensionen zu führen. Als ein Beispiel nennt Analyst Frey die Schweizer Luxuspflegemarke La Prairie. Grundsätzlich sei es deutlich wichtiger geworden, sich als nachhaltiges Unternehmen zu positionieren. „Und es ist auf jeden Fall essenziell wichtig, nicht als Umweltsünder wahrgenommen zu werden.“

Beiersdorf wird grün – gemeinsame Reycling-Aktion mit Budni

So kauft Beiersdorf nicht nur bei Naturkosmetik zu, sondern arbeitet insgesamt an einer neuen Nachhaltigkeitsstrategie. Unter anderem wirbt das Unternehmen mit einer Aktion, bei der für jeden Kauf eines Nivea-Produkts im Onlineshop oder im Nivea-Haus ein Baum gepflanzt werden soll. Gemeinsam mit der Hamburger Drogeriemarktkette Budnikowsky hat der Nivea-Hersteller zudem eine Recycling-Aktion gestartet. Bis Ende März können Kunden ihre leeren Nivea-Flaschen in eine Box in einer der gut 200 Budni-Filialen werfen. Die Flaschen aus Hart-Polyethylen werden recycelt. Beiersdorf garantiert einen 100-prozentigen Recyclinganteil.

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Reycling-Aktion ist für Beiersdorf eine Chance

„Die Aktion stößt bei den Kunden auf sehr großes Interesse“, sagt die Beiersdorf-Sprecherin. Zahlen über Rückgabe-Mengen gibt es allerdings nicht. „Die Aktion ist für Beiersdorf ein Chance, Erfahrungswerte in Bezug auf einen komplett geschlossenen Warenwirtschaftskreislauf zu sammeln“, heißt es. Nivea hatte 2019 ein sogenannte Plastikziel verabschiedet, nach dem man bis 2025 komplett auf recycelbare, kompostierbare oder wiederverwendbare Verpackungen setzt.

Ebenfalls bis 2025 will das Unternehmen mindestens 25 Prozent der Verpackungen in Europa aus recyceltem Material herstellen. In Frankreich beteiligt sich Beiersdorf zudem am Testlauf der Zero-Waste-Einkaufsplattform Loop, die Einwegverpackungen vermeiden und durch wiederbefüllbare Verpackungen ersetzt. Der Konzern mit der blauen Dose wird also langsam grüner – aber die klassische Niveacreme soll so bleiben, wie sie ist.