Hamburg. Sie hat es in den Aufsichtsrat von Beiersdorf geschafft – obwohl Berufs- und Lebensweg nicht immer geradlinig verlaufen sind.

Sie steht gern auf dem Balkon ihres Büros oben in der fünften Etage und schaut Richtung Weiher, mitten in Eimsbüttel. Sie mag so gern das Lachen und das Stimmengewirr der Kinder, die dort unten spielen. Dann fühlt sich die 64-Jährige als kleiner Teil davon. „Es ist so schön, die kindliche Freude zu spüren. Da draußen ist das echte Leben.“

Das ist typisch für diese mächtige Frau, die ganz oben angekommen ist auf der Karriereleiter und seit 20 Jahren im Aufsichtsrat des Hamburger DAX-Konzerns Beiersdorf sitzt: Sie ist einflussreich, sie ist eine Führungsperson – und doch ist sie bodenständig und nahbar.

Führung bedeutet ihr nicht Macht, sondern Freiheit

Da passt es, dass in ihrem Dienstzimmer zwei großformatige Fotos von Kindern hängen, die in Richtung des runden Besprechungstisches blicken. Diese Kindergesichter haben etwas Leichtes und Freundliches. Und genauso ist auch eine Begegnung mit Manuela Rousseau in ihrem Büro, das so gar nichts Protziges hat, keines dieser hochoffiziellen Zimmer, die dem Besucher plump signalisieren: Achtung, hier sitzt ein Chef, jemand, der es nötig hat, seine Position durch teure Ledermöbel zu untermauern.

Das braucht Manuela Rousseau nicht. In ihrem Zimmer herrscht keine strenge Ordnung, es ist lebendig. Hier wird gearbeitet und nicht posiert. Liegt das Bescheidene daran, dass sie eine Frau ist, oder tappt man mit dieser Überlegung schön in die Klischeefalle? Klischees nämlich über Männer und Frauen in Führungspositionen mag Rousseau gar nicht.

Klassische Stereotypen

„Viele Frauen starten nach ihrem Studium voller Energie. Sie kommen dann in der Realität an und treffen auf die klassischen Stereotypen. Da erleben sie, dass Männer sich mehr trauen und immer noch bevorzugt oder schneller befördert werden.“ Dass der Frauenanteil ganz oben noch sehr gering ist, bleibt gesellschaftliches und ihr persönliches Thema. Bei Beiersdorf sind es jetzt fünf Frauen im Aufsichtsrat. Fünf von zwölf. Manuela Rousseau, die übrigens trotz des Namens keine französischen Wurzeln hat, ist Leiterin der Abteilung Corporate Social Responsibility.

Sie macht sich für die Frauenförderung und Diversität stark, organisiert unter anderem Team-Tage und Kulturveranstaltungen für die Mitarbeiter, koordiniert das soziale Engagement des Unternehmens, zum Beispiel für sozial schwache Familien oder Flüchtlinge. Sie ist gern unabhängig und mag Führung, nicht wegen der Macht, sondern weil sie dadurch die Freiheit hat, Entscheidungen treffen zu können. „Ich kann viel bewegen, das ist Unabhängigkeit.“ Und das scheint anzukommen: Fünfmal wurde sie wiedergewählt.

Charakterliche Stärken sind wichtig

Die elegante Frau in der schwarzen Hose und dem dazu passenden schwarz-weißen Jäckchen ist das beste Beispiel dafür, dass ein Berufs- und Lebensweg nicht immer geradlinig verlaufen muss, um es zu etwas zu bringen. Sie beweist, dass charakterliche Stärken wie Offenheit, Verbindlichkeit und Zugänglichkeit manchmal wichtiger sind als ein Wirtschaftsstudium oder der Besuch einer Elite-Universität.

Diese unprätentiöse Dame nur auf ihre Karriere bei Beiersdorf zu reduzieren würde ihr allerdings nicht gerecht werden. Viel zu umtriebig ist sie. Für das Gespräch mit dem Abendblatt bei Fencheltee hat sich Manuela Rousseau mit einigen Stichwörtern vorbereitet, so umfangreich ist ihr Leben, darauf notiert sind die wesentlichen Aspekte: Wirtschaft, Kultur und Lehre.

Niederlagen und Erfolge

In ihrem Buch „Wir brauchen Frauen, die sich trauen. Mein ungewöhnlicher Weg bis in den Aufsichtsrat eines DAX-Konzerns“ beschreibt sie detailliert und sehr persönlich ihren Weg, ihre Niederlagen und Erfolge. Manuela Rousseau stammt aus einem Arbeiterviertel in Neumünster. Sie durfte kein Abitur machen, weil damals die Überzeugung vorherrschte, dass Mädchen kein Abitur bräuchten. Ihre Mutter sagte einmal zu einer Freundin: „Die Geburt von Manuela war für mich eine herbe Enttäuschung. Ich hatte mir so sehr einen Jungen gewünscht.“ Die vierjährige Manuela wurde Zeugin dieses Gesprächs.

Sie machte später eine kaufmännische Lehre in einem Einzelhandelsbetrieb, heiratete mit 19 Jahren zum ersten Mal, irgendwann war sie Teilhaberin eines Ladens, der Konkurs machte, weil ein Kompagnon Firmengelder veruntreute. Sie verlor zu der Zeit ihre berufliche Existenz, ihre Ehe scheiterte, sie hatte Schulden und war arbeitslos. „Damals habe ich mir drei Ziele gesetzt: einen Job in einem Unternehmen, das mir große Chancen bietet, finanzielle Unabhängigkeit und irgendwann eine Eigentumswohnung als Altersabsicherung“, schreibt sie in ihrem Buch.

„Frauen denken häufig, sie seien eine Mogelpackung“

Sie hat ihre Ziele erreicht, steht an der Spitze eines Weltkonzerns und lebt mit ihrem Mann Hans-Jürgen Schriever, Schulungsleiter bei Lotto Hamburg, in einer Eigentumswohnung. Beruflich schaffte sie es von der Pressereferentin bei Beiersdorf bis 1999 in den Aufsichtsrat. Obendrein unterrichtet sie im Studiengang Kulturmanagement als Professorin an der Hochschule für Musik und Theater. Im Bereich Fundraising ist sie eine anerkannte Expertin. Dabei hatte sie lange Zeit Komplexe, weil sie kein Studium vorweisen kann. Typisch für viele Frauen, sagt sie. „Frauen denken häufig, sie sind eine Art Mogelpackung. Sie müssen diese Selbstzweifel überwinden.“

Manuela Rousseau sieht sich als Menschenfreund, als eine, die Interesse an dem hat, was ihre Mitmenschen machen und leisten. Das ist auch ein Grund für ihr vielseitiges ehrenamtliches Engagement, für das sie 1999 das Bundesverdienstkreuz bekam. Begonnen hatte alles 1988, als sie sich für die Rettung der im Zweiten Weltkrieg zerstörten St.-Nikolai-Kirche einsetzte – erfolgreich. Eine Audienz beim Papst folgte. Der Reiz am Ehrenamt: „Da sind viele Menschen, die haben ein Wissen, von denen kann ich lernen. Das empfinde ich als sehr wertvoll.“

Engagement bei den Hamburger Kammerspielen

Sie engagiert sich bei den Hamburger Kammerspielen. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda rief sie an und fragte, ob sie im Beirat der Kunsthalle mitwirken wolle. „Es hat mich sehr gereizt, meine Erfahrung in diesem Gremium einbringen zu können.“ Seit Oktober 2018 ist sie dabei. Und wenn sie etwas anpackt, dann richtig. Weil sie wenig Ahnung von Malerei hat, gönnt sie sich mit ihrem Mann und Freunden einmal im Monat eine exklusive Führung.

„Sodass ich die Zeitgeschichte der Kunsthalle anhand der Malerei für mich erschließe. Das ist mir wichtig, damit ich den ganzen Zusammenhang verstehe. Da kriegt meine Neugier wieder Nahrung. Deshalb wusste ich: Das ist etwas, was mir am Herzen liegt.“

Innere Unabhängigkeit ist ihr wichtig

Bei allem ist ihr ihre innere Unabhängigkeit wichtig, die sie sich erarbeitet hat. „Ich kann zu jeder Zeit entscheiden, ob ich die Aufgabe, die ich gerade wahrnehme, mache, weil sie mir Sinn gibt, weil ich Freude daran habe. Und die Freiheit habe zu entscheiden: Möchte ich eine Aufgabe überhaupt machen?“ Das sei wichtig, besonders im Ehrenamt.

Als Frühaufsteherin gelingt es ihr, zweimal die Woche mit ihrem Personal Trainer Arne ihren Körper fit zu halten – mit Kraft- und Ausdauertraining, mit Bauch-Beine-Po-Übungen zu Hause im Wohnzimmer in Rellingen und draußen. Fit sein muss sie nicht nur für ihre Arbeit bei Beiersdorf, ihren „Traumjob“, wie sie sagt.

Basis für ihren Erfolg sieht sie auch in ihrer Partnerschaft

„Ein dickes Lob geht an meinen Mann, der mich in allen Sachen unterstützt.“ Seit 27 Jahren sind die beiden verheiratet. Sie verreisen viel zusammen. Allein für sich liest Manuela Rousseau gern, auch mehrere Bücher parallel. „Der Pfau“ von Isabel Bogdan war gerade dran. Die Basis für ihren Erfolg sieht sie auch in ihrer Partnerschaft: „Meistens haben Männer viele Möglichkeiten, weil es Frauen gibt, die ihnen den Rücken stärken. Umgekehrt ist es auch fair, wenn wir Frauen uns für diesen Weg entscheiden und auch mehr von dieser Unterstützung bekommen.“

Dazu müssen die Rahmenbedingungen von beiden Partnern fixiert werden: Wie viel Arbeit? Kinder ja oder nein? „Bei uns war es eine klare Entscheidung, dass wir keine Kinder haben.“ Eine Frage, die ihr immer wieder gestellt wird.

3 Fragen

  • 1. Was ist Ihr wichtigstes persönliches Ziel für die nächsten drei Jahre? Jeden Tag einen Spaziergang einzuplanen oder das Golfspielen wieder zu aktivieren und Zeit zu nehmen für ein gutes Buch, die Familie und Freunde.
  • 2. Was wollen Sie in den nächsten drei Jahren beruflich erreichen? Meine Kompetenzen und Führungserfahrungen weitergeben, mehr Frauen in Führungspositionen bringen.
  • 3. Was wünschen Sie sich für Hamburg in den nächsten drei Jahren? Dass die Hamburger und die Besucher die breite und großartige Vielfalt der Hamburger Kultur entdecken.

Und ihre Mutter? Konnte sie irgendwann die Leistungen ihrer Tochter akzeptieren? „Also, ich habe mir nicht vorstellen können, dass aus dir mal mehr wird als aus deinem Bruder“, habe diese gesagt. Manuela Rousseau ist mutig genug, auch dieses schwere familiäre Thema in die Hand zu nehmen, und hat sich mit ihren Eltern ausgesprochen und versöhnt.

Nach dem Gespräch tauscht sie ihre Lackpumps gegen flache Schuhe. Auf ihrer persönlichen To-do-Liste steht: regelmäßig spazieren gehen. Also raus ins wahre Leben, eine Runde um den Eimsbütteler Weiher drehen.

Nächste Woche: Burkhard Schwenker, neuer Vorsitzender der „Zeit“-Stiftung