Hamburg. Bei dem Unternehmen ist aktuell besonders viel zu tun. Denn die Delikatesse ist gerade für die Weihnachtstage und Silvester gefragt.
Es ist jedes Mal ein besonderer Moment. Vorsichtig hat Andrej Dering einige schwarze Kaviarperlen auf einem Papiertuch ausgebreitet, dann greift er zu seinem Messschieber. Damit bestimmt der Produktionsleiter von Dieckmann & Hansen die Größe der Körner. 2,6 Millimeter zeigt die digitale Anzeige an. Dering nickt zufrieden. Das ist ordentlich für einen sibirischen Stör, einen Sibirskaya. Danach begutachtet er Farbe und Textur der Kügelchen, notiert alles für den späteren Verkauf in einer Liste. Graduieren sagen sie dazu bei dem Hamburger Kaviarhändler. Streng genommen ist das, was Dering jetzt in eine große Schüssel auf die Waage stellt, noch gar kein Kaviar.
Erst wenn der Störrogen mit Salz gemischt über Wochen gereift ist, wird daraus die feine Delikatesse, die als schwarzes Gold als Inbegriff von Luxus und Extravaganz gilt. Bei Dieckmann & Hansen wird Sibirskaya-Kaviar aktuell für 700 Euro pro Kilo verkauft. Ein Einsteigerpreis. Dieselbe Menge vom Beluga kostet mehr als 3000 Euro.
Kaviar ist ein Saisongeschäft
„Kaviar ist manifestierte Zeit“, sagt Christian Zuther-Grauerholz. Gemeinsam mit Werner Sager führt er die Geschäfte von Dieckmann & Hansen. Die beiden haben den ältesten noch existenten Kaviarproduzenten der Welt vor knapp 20 Jahren übernommen und vor dem Aus gerettet. Zum Jahresende brummt es in den Produktionsräumen hinter der unscheinbaren Industriefassade am Fischmarkt. „Es ist ein Saisongeschäft“, sagt Co-Geschäftsführer Werner Sager. Er ist der Kaufmann in der Traditionsfirma mit zehn Mitarbeitern und eigentlich ständig am Telefon. Der Kaviar der Hamburger wird in der ganzen Welt verkauft.
Verarbeitet werden ausschließlich Störrogen aus der eigenen Teichwirtschaft in Schleswig-Holstein. Das ist das Metier von Christian Zuther-Grauerholz. Sechs Hektar misst sein Betrieb im Naturpark Aukrug. „Die Aufzucht der Störe dauert zehn bis 15 Jahre, beim Beluga können es auch 30 Jahre und mehr sein sein“, sagt der 53-Jährige, der sich gerne als Bauer bezeichnet. Jetzt sitzt er im Besprechungsraum am Hamburger Stammsitz, gediegen trifft es wohl am besten.
An der Wand hängt ein Ölgemälde, das ein Holzboot mit Stör-Fang zeigt. Auf dem altersdunkeln Holztisch stehen Perlmutt-Löffelchen für die Kaviar-Verkostung bereit. „Sie können auch Schildpatt oder Horn benutzen, aber nie Silber“, sagt Zuther-Grauerholz, der in Kiel Landwirtschaft studiert hat. Mitte der 1990er-Jahre hatte er die Karpfen-Zucht seiner Großeltern übernommen. Weil das Geschäft immer weniger lief, kam Zuther-Grauerholz auf die Idee, es stattdessen mit Stör zu versuchen. „Aber ich hatte keine Ahnung von der Branche. Kaviar hatte ich noch nie gegessen.“ So landete er für ein Praktikum bei Dieckmann & Hansen – und blieb. Inzwischen hat er mehrere Tausend der kostbaren Fische in seinen Teichen 80 Kilometer nördlich von Hamburg schwimmen.
Mächtige Mafia-Organisationen mischten mit
Die natürlichen Lebensräume der Störe sind die Flüsse und Meere in der nördlichen Erdkugel, vor allem im Kaspischen und im Schwarzen Meer. Früher wurden unfassbare Mengen der schwarzen Kügelchen verarbeitet. Fischer rührten sie sich wegen des hohen Eiweißgehalts unter die Mahlzeiten. Eingriffe in die Natur, ungeregelte Ausfuhr und Wilderei haben die Bestände stark dezimiert. In der Elbe wurde der letzte europäische Stör 1985 gesichtet.
Mächtige Mafia-Organisationen mischten in dem Geschäft mit, bis die internationalen Naturschutzbehörden einen Schlussstrich zogen. Der Wildfang der urtümlichen Knochenfische wurde im Zuge des Washingtoner Artenschutzabkommens geregelt, seit 2009 darf er gar nicht mehr gefischt werden. Die Folge: Kaviar wurde knapper und teurer. Schon in den 1990er-Jahren haben Züchter in der ganzen Welt Verfahren entwickelt, Störe aufzuziehen. Auch die Hamburger Zuther-Grauerholz und Sager stellten den Betrieb bis 2011 auf Aquakultur um.
Ausgeklügelte Anlage
„Die Gegend um Aukrug eignet sich wegen des Quellenreichtums sehr gut für die Aufzucht“, sagt Teichwirt Zuther-Grauerholz, der seine Jungtiere aus der Gegend rundum Fulda bezieht und auf seiner Farm mit einer ausgeklügelten Anlage aufwachsen lässt. Nach fünf Jahren, zehn oder auch mehr werden die Tiere geschlachtet. Anders kommt man nicht an die kostbaren Eier. „Die Körner müssen die richtige Reife haben. Sonst gehen sie bei der Verarbeitung kaputt.“ Für diesen Produktionstag in Hamburg wurden knapp zwei Dutzend der Edelfische ausgewählt und zu einer nahen Fischverarbeitung gebracht. Von dort werden die sogenannten Ovarien-Stränge mit dem Fischrogen in Plastikbeutel verpackt und auf Eis gelegt direkt in die Veredlung an der Großen Elbstraße transportiert.
Seit 1891 ist Dieckmann & Hansen dort fast am selben Ort ansässig. Ungefähr zwei Jahrzehnte zuvor, 1869, hatte der Küpermeister Johannes Dieckmann zusammen mit seinem Schwiegersohn Johannes C.F. Hansen die „Fischsalzerei en Gros“ gegründet und sich ziemlich schnell auf das Geschäft mit dem Stör spezialisiert. Die umtriebigen Gründer bauten Fischereibetriebe in Sibirien und am Kaspischen Meer auf. Sie und ihre Nachfolger manövrieren das lukrative Unternehmen durch bewegte Zeiten mit Oktober-Revolution, zwei Weltkriegen und das Ende der Sowjetunion.
Zeitweilig gehörte der Kaviar-Händler mit einem Handelsvolumen von jährlich 50 Tonnen Kaviar bis in die 1990er-Jahre zu Unilever, bevor er an die damalige Geschäftsführerin und Investoren verkauft wurde. Nach einem geplatzten Importdeal stiegen Zuther-Grauerholz und Sager ein. 2003 kauften die ehemaligen Mitarbeiter die Traditionsfirma gemeinsam mit einem amerikanischen Teilhaber. Bis heute schreiben sie Kaviar mit C.
Jahresproduktion liegt bei zwei bis fünf Tonnen
Am Firmensitz am Fischmarkt geht es wenig extravagant und ziemlich handfest zu. Die Fischrogen werden von den Ovarien-Strängen gelöst und mehrfach gewaschen, bevor sie in einer Schüssel auf der Waage von Produktionsleiter Andrej Dering landen. „1,12 Kilo“ trägt er in die Liste ein. Jeder Schritt bei der Verarbeitung der kostbaren Luxusperlen ist exakt festgelegt und wird dokumentiert. Danach mischt Dering eigens für Dieckmann & Hansen in Lüneburg gesiedete Salzflocken unter die Stör-Rogen. „Die Menge ist Betriebsgeheimnis“, sagt er und streicht die weiße Gummischürze glatt. Gegenüber an dem Edelstahltisch steht Mitarbeiterin Olga Schander und füllt den Kaviar in blaue Dosen mit Stülpdeckel, in denen er luftdicht verschlossen und gekühlt in den nächsten zwei bis drei Monaten reift. Insgesamt werden sie an diesem Tag fast 80 Kilogramm Kaviar verarbeiten.
Die Jahresproduktion der Hamburger liegt heute bei zwei bis fünf Tonnen. Deutlich weniger als noch vor 30 Jahren. Das Geschäft mit den Fischeiern aus Aquakultur ist inzwischen stabil. Umsatzzahlen nennt Geschäftsführer Christian Zuther-Grauerholz nicht. Aber klar ist, große Wachstumsschübe gibt der Kaviarhandel nicht her. „Wir haben ein Preisniveau, das nicht billiger werden kann, damit es sich für uns noch lohnt“, sagt er. In den vergangenen Jahren haben dem Züchter Dürre und Trockenheit zu schaffen gemacht. „Wir haben Glück gehabt, dass wir die richtigen Teiche besetzt und so weniger Ausfälle als andere hatten.“ Bei einer Aufzuchtzeit von fünf bis 15 Jahren wiegt jeder Verlust besonders schwer.
„Nach schwierigen Jahren ist Kaviar als Produkt wieder zurück.“
Der meiste Kaviar wird heute in China produziert. Russland, über Jahrzehnte wichtigstes Exportland, importiert inzwischen. In Deutschland gibt es knapp ein Dutzend Hersteller, in Hamburg ist Dieckmann & Hansen der einzige, daneben gibt es noch Kaviar-Händler wie das Altonaer Kaviar Import Haus und Caspian Caviar in Winterhude. „Nach schwierigen Jahren ist Kaviar als Produkt wieder zurück“, sagt Dieckmann-&-Hansen-Chef Zuther-Grauerholz. Auch jüngere Menschen interessierten sich wieder mehr für Kaviar. Dabei ist die besonders mild gesalzene Zubereitungsmethode Malossol, die schon Zar Peter der Große schätzte, besonders nachgefragt.
Ein Pfund Beluga-Kaviar kostet 1618,04 Euro
Dieckmann & Hansen bietet Kaviar von Beluga, Russischem und Sibirischem Stör an. Verpackt wird in Gläschen oder Dosen, aber es gibt auch Kaviar zum Kilopreis, etwa für Hotels oder Kreuzfahrtschiffe. Hauptabnehmer der Hamburger sind große Händler wie die Deutsche See oder Nordsee. Vor Weihnachten hatte der Discounter Netto Geschenkverpackungen mit 25-Gramm Kaviar vom Sibirischen Stör und Perlmuttlöffelchen für 19,99 Euro im Angebot. Für Endkunden, die direkt am Firmensitz einkaufen, liegt der Einstiegspreis bei 39,39 Euro für ein 50-Gramm-Döschen vom Sibirischem Stör. Ein Pfund Beluga-Kaviar kostet 1618,04 Euro. Deutlich günstiger ist Fischrogen von Forelle oder Lachs, der auch unechter Kaviar genannt wird. Nichts für echte Liebhaber.
Da ist das Wichtigste die Qualität der schwarzen Luxusperlen. „Wir reden von Delikatessen. Aber Fischrogen mit Salz ist nicht zwangsläufig eine Delikatesse“, sagt Geschäftsführer Zuther-Grauerholz. An der Großen Elbstraße hat er einige Dosen aus dem Kühlhaus holen lassen. Mit einem eigens entwickelten Gerät öffnet Produktionsleiter Dering die erste. Jetzt zeigt sich, ob sie alles richtig gemacht haben.
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Die verdichteten Kaviarkörner stehen über den Rand der Dose. Perligkeit, Glanz und ein feiner Geruch nach Meer sind Merkmale guten Kaviars. Zuther-Grauerholz nimmt einen Teelöffel aus Perlmutt und sticht vorsichtig in den Kaviar-Spiegel, der aussieht als wäre er mit dem Lineal abgemessen. Andächtig kaut er. „Der braucht noch“, sagt er. Die zweite Probe gefällt ihm besser. „Es ist ein einzigartiger Geschmack“, sagt der Geschäftsmann mit dem Gespür für Kaviar. Und wie isst er ihn am liebsten? „Mit Baguette in dünnen Scheiben – und artig Butter aufgestrichen.“