Hamburg. Es ist das älteste noch von der Gründerfamilie betriebene Juweliergeschäft Hamburgs – und mit einigen Prominenten verbunden.
Dass eine blaue Tonne, Abwasser und Kaffeefilter für ein Juwelier eine Einnahmequelle sind, kommt überraschend. Mark-Andreas Wilm steht in der Werkstatt seines Geschäfts am Ballindamm und erzählt von einem morgendlichen Ritual. Der Boden wird feucht gewischt und das Abwasser anschließend in die blaue Plastiktonne gekippt.
Wenn sich genug angesammelt hat, kommt der Kaffeefilter zum Einsatz. Das Schmutzwasser wird hineingeschüttet, und langsam setzt sich das wertvolle Material ab. „Im Jahr bekommen wir 120 bis 150 Gramm feinen Goldstaub zusammen“, so der Inhaber von Juwelier Wilm. Der Marktwert liegt bei rund 4000 Euro.
Juwelier Wilm fertigt Maßanfertigungen
Die Werkstatt ist quasi das Herz des Traditionsgeschäfts. „Wir verkaufen zu 90 Prozent selbstgemachte Arbeiten“, sagt der 57-Jährige. Es sind Maßanfertigungen auf Wunsch des Kunden. Mit ihnen wird über ihre Vorstellungen gesprochen, eine Skizze gemacht und ein Entwurf per Computerprogramm CAD gezeichnet. Das gewünschte Schmuckstück kann am Bildschirm in 3D von allen Seiten aus angeschaut werden.
Zwei Goldschmiedemeister und ein Lehrling setzen die Ideen um und fertigen die Stücke. Dabei wird auch mit Werkstätten kooperiert, die die Steine fassen. Wer die Kunden sind, darüber spricht Wilm nicht. Diskretion gehört zum Geschäft. Bei Auftraggebern aus der Historie gilt das allerdings nicht – und die Firma ist mit einigen Prominenten verbunden.
Mit einem Auftrag für den „Alten Fritz“ fängt alles an
Im Jahr 1767 schrieb Friedrich der Große den Auftrag für ein silbernes Kaffeeservice für das Schloss Sanssouci in Potsdam aus. Sein Hofgoldschmied Johann Lieberkühn bewarb sich. Dessen Geselle Gottfried Ludewich Wilm fertigte Skizzen an, die unter zahlreichen Entwürfen gewannen. „Mit dem Auftrag kannst du dich selbstständig machen“, habe Lieberkühn zu seinem Vorfahren gesagt, erzählt Mark-Andreas Wilm. Gesagt, getan.
Gottfried Ludewich Wilm wurde in Berlin mit 21 zum Unternehmer und fertigte für den „Alten Fritz“ rund 800 Teile – vom kleinen Löffel über Tabletts bis zur Kaffeekanne. Sein Sohn Heinrich Ludwig Wilm führte das Erbe seines Vaters fort und stellte für Napoleon I. eine Tabatière (Schnupftabakdose) her. Und Hermann Julius Wilm, Enkel des Firmengründers, unterhielt Geschäftskontakte mit Gustav Fabergé, dessen Familie die gleichnamigen Eier für das russische Kaiserhaus entwarf.
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Der Zweite Weltkrieg brachte für Wilm eine Zäsur. Die zwei Läden in Westberlin mussten aufgegeben werden. Der Stammsitz mit Geschäft lag im Ostteil in der Nähe des Gendarmenmarktes. „Die Russen kommen, wir fliehen“, lautete das Motto seines Großvaters Ferdinand Richard Wilm. Durch den Rotary Club kannte dieser einige Hamburger, sodass die Familie in Friedrichsruh bei Aumühle unterkam.
Rund 15 bis 20 Gegenstände wurden aus Berlin mitgenommen. Darunter befindet sich eine um 1850 erfolgte Nachbildung des Kaffeeservices für den „Alten Fritz“ inklusive eines Familiengeheimnisses. „Eine Silberkanne von Wilm tropft nie“, sagt Mark-Andreas Wilm. Das liege an einer speziellen Technik, die (natürlich) nicht verraten wird. Das nachgemachte Kaffeeservice befindet sich noch heute im Geschäft am Ballindamm, das Ferdinand Richard Wilm 1948 eröffnete und 1967 an seinen Sohn Johann Renatus Wilm übertrug.
Mark-Andreas Wilm half schon als Junge bei der Inventur
Mark-Andreas Wilm interessierte sich früh für das Familienbusiness. Als 14-Jähriger half er bei der Inventur, zählte und sortierte Edelsteine. 1989 eröffnete er die erste Filiale auf Sylt, die heute als Shop-in-Shop-Konzept beim Uhrenspezialisten Michael Rühmling in Kampen weiterbesteht. Nach dem Rückzug seines Vaters übernahm der Goldschmied und Edelsteinfachmann 1995 in siebter Generation die Firmenführung.
Juwelier Wilm ist mit 252 Jahren Geschichte das älteste noch von der Gründerfamilie betriebene Juweliergeschäft Hamburgs – das älteste ist das 1743 eröffnete Haus Brahmfeld & Gutruf, das allerdings den Besitzer gewechselt hat.
2018 wurde das Geschäft modernisiert. Statt Königsblau und Gelb dominiert nun Silbergrau. Ein Relikt aus der Anfangszeit an der Alster ist geblieben. „Den Safe hat mein Großvater 1948 eingebaut“, sagt Mark-Andreas Wilm bei der Führung durch die Räume. Hier lagern Edelsteine und Kundenaufträge – und waren während der Renovierung kurzzeitig hermetisch abgeriegelt.
Auch der Safe bekam einen neuen Anstrich. Nach der Trocknung wurde er geschlossen. Und ging nicht mehr auf. „Wir haben es mit vier Mann probiert, aber die Tür nicht mehr aufbekommen“, sagt Wilm. Durch die viele Farbe hatte sich ein Vakuum gebildet. Stundenlang betätigten sie sich als „Einbrecher“ und versuchten, ein Loch in den Tresor zu bohren. Vergeblich. Nach mehreren Tagen und dem Einsatz von Flex und Gewalt sei der Safe aufgegangen. Anschließend wurden die Schließflächen abgeschliffen. Farbe soll der Safe nun nie mehr sehen.
Mehrere Überfälle bei Juwelier Wilm
Auch richtige „böse Buben“ hatten es schon auf das Geschäft abgesehen. „Wir hatten schon mehrere Überfälle“, so Wilm. Das Risiko sei ständig präsent. Angesichts von Preisen für Schmuckstücke, die im Katalog in den hohen fünfstelligen Bereich ragen, überrascht das nicht. Dabei können Kunden selbst für verhältnismäßig kleines Geld Maßanfertigungen bekommen. „Sonderanfertigungen sind nicht wesentlich teurer als Standardware“, sagt Wilm.
Bei 500 Euro ginge es für einen Ring aus Gold oder Platin mit einem oder zwei Steinen los. Rund zwei Wochen dauere die Fertigung. Während früher vor allem Colliers und Broschen gefragt waren, sind es heute Ohrringe und Ringe. Das Alter der Kunden reicht von Mitte 20 bis ins hohe Alter. Für Kinder würden silberne Becher und Bilderrahmen zu Taufen stark nachgefragt. Auch Anhänger in Herzformen mit der Gravur Mami und Papi und deren Telefonnummern seien begehrt.
Seine Spezialität sind aber farbige Diamanten, deren Suche manchmal Jahre dauert. Wilm, der über Umsatz und Gewinn schweigt, besorgt sich die Edelsteine vor allem in Ländern wie Birma, Thailand und Kambodscha. „Da kommen die Leute aus aller Welt hin“, sagt Wilm. Aber auch in der Schweiz oder den USA kauft er ein. Die benötigten Edelmetalle wie Gold, Platin, Palladium und Iridium sind aus deutschen Scheideanstalten wie zum Beispiel Degussa.
„Wir kaufen auch viel Altgold an“, sagt Wilm. Der teuerste Artikel war ein Ring mit einem pinkfarbenen Diamanten, der für mehrere Millionen Euro verkauft wurde. Bei solchen Deals bindet er die Käufer von Anfang an in die Finanzierung ein. Für seine Arbeit erhält er dann eine Kommission. Ob auch die achte Generation die Familientradition fortsetzt und das Geschäft übernimmt, ist offen. Klar aber ist: Dann wäre eine Frau am Zug. Mark-Andreas Wilm und sein Bruder haben sieben Kinder – alle sind Mädchen.