Hamburg. Serie Kultläden, Teil 29: Sie haben ein spezielles Angebot, eine besondere Atmosphäre – und trotzen dem Geschäftesterben in Hamburg.
Die Kamera an der Fassade hat XXL-Format und ist ein echter Hingucker. Das hat sich in den vergangenen 25 Jahren nicht geändert. Damals hatte Christian Anhalt die Umgestaltung der Schaufensterfront am Rödingsmarkt in Auftrag gegeben. „Wir sind wohl eins der wenigen Geschäfte in Hamburg mit einem runden Ladenfenster“, sagt der 60 Jahre alte Inhaber. Einer der Vorbesitzer des Fotostudios am Rödingsmarkt hatte es sich nach dem Zweiten Weltkrieg beim Abbau eines Flakscheinwerfers auf dem Heiligengeist-Bunker gesichert. Wie durch ein Objektiv ermöglicht es den Blick von außen in das Fotostudio – und von innen auf die Stadt und ihre Menschen. Seit 1888 lassen sich Hamburger hier fotografieren.
An diesem Morgen ist es ruhig. Um neun Uhr haben Christian Anhalt und sein Mitarbeiter Alexander Weber den Laden aufgesperrt. Im vorderen Bereich gibt es eine kleine Theke und eine Sitzecke, hinter einer Wand ist das Studio. Kameras, Blitzanlage, verschiedenfarbige Hintergründe – alles ganz klassisch und seit Jahren unverändert. Dann geht die Tür auf. Ein Mann stürmt in den Laden. In der Hand hält er einige Papiere, auf die er zeigt und er erklärt wortreich, was er will. Auf Portugiesisch. Weber wirft einen Blick auf die Dokumente und weiß, welches Foto er machen muss.
Früher ließen sich Seeleute in dem Studio porträtieren
„Es gibt viele unterschiedliche Vorgaben von den Konsulaten“, sagt Anhalt. Quadratisch oder rechteckig in bestimmten Maßen, mit speziellem Hintergrund, Brille auf oder ab. „Wir kennen sie alle“, sagt der Fotograf mit Meisterbrief. Laufkundschaft, die schnell ein Bild für Pass, Visum oder eine Bewerbung braucht, macht etwa die Hälfte des Umsatzes aus. „Die andere Hälfte sind Businesskunden.“ Zahlreiche Firmen lassen in dem Studio in zentraler Lage ihre Mitarbeiter etwa für die Internetseite porträtieren. Manche seit 50 Jahren. Zu den Kunden gehören die Hamburger Sparkasse, das Immobilienunternehmen Gladigau und die Reederei Hamburg Süd. Für Kunden hat der Fotograf mit Meisterbrief einen guten Tipp: niemals in Kleingemustertem fotografieren lassen.
Eine Dunkelkammer gibt es nicht mehr
Nach seinen Recherchen ist sein Fotostudio heute das älteste in der Hansestadt. Der heutige Inhaber hatte das Geschäft 1988 an dem traditionsreichen Standort übernommen und ihm seinen Namen gegeben. Viel ist über die Geschichte – außer einigen historischen Fotos – nicht bekannt. Die Vorgänger hießen Heinz Dierbach und Hilde Dobbertin. „Früher ließen sich hier oft Seeleute fotografieren, um die Bilder an ihre Familien in der Heimat zu schicken“, sagt Christian Anhalt. Im Keller lagern Hunderttausende Negative und Probeabzüge, alle akkurat beschriftet – ein geheimes Alltagsarchiv, das Trends und Wandel in der Porträtfotografie birgt. Jeder zehnte Hamburger, sagt der Studio-Chef, habe sich rechnerisch in den mehr als 130 Jahren seit der Eröffnung in dem Geschäft ablichten lassen. „Als ich hier anfing, hatten wir noch zwei Dunkelkammern im ersten Stock und sechs Mitarbeiter.“ Jetzt ist alles digital.
Konkurrenz von neuen Studio-Ketten
„Fotos sind zum Massenprodukt geworden. Die Wertigkeit hat abgenommen.“ Das soll nicht larmoyant klingen. Der Fotograf hat von Anfang an auf die neue Technik gesetzt. Inzwischen gibt es in seinem Studio mehr Computer als Kameras. Anhalt ist überzeugt, dass das Geschäft auch weitergehen wird. „Vieles, was heute mit dem Handy aufgenommen wurde, ist beliebig. Wir machen das besondere Foto.“ Oder eben das passende. Auch die wachsende Konkurrenz von modern gestylten Fotostudio-Ketten wie Studioline oder Picture People sieht er gelassen. Sein Geschäft laufe seit Jahren konstant. „Wir können davon leben.“
436 Fotografen sind bei der Handwerkskammer registriert
Die Zahl der Fotografen hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Hamburg vervierfacht. Laut Statistik der Handwerkskammer sind 436 Betriebe angemeldet. 2008 waren es noch 107. Darüber, wie viele Menschen tatsächlich in der Branche ihr Geld verdienen, sagt das allerdings nur begrenzt etwas aus. Viele arbeiten nur Teilzeit in dem Beruf. Andere sehen sich als freischaffende Foto-Dienstleister und sind nicht als Handwerksbetrieb registriert.
„Fotograf ist nach wie vor ein beliebter Beruf“, sagt Thomas Peters, Obermeister der Hamburger Fotografen-Innung und Inhaber eines Studios für Produkt- und Werbefotografie. Im Schnitt starten 22 junge Menschen pro Ausbildungsjahrgang. Die Branche ist massiv im Wandel, die Berufsfelder haben sich stark verändert. „Es gibt immer weniger Studios für klassische Porträtfotos, in denen Wert daraufgelegt wird, den individuellen Charakter eines Menschen auch mit höherem Zeitaufwand herauszuarbeiten“, so der Obermeister.
Vier Passfotos für 14 Euro
Der Kunde aus Portugal hat das Fotostudio Anhalt längst mit seinen neuen Passfotos verlassen. 14 Euro hat er für vier Stück bezahlt. Für Bewerbungsfotos gibt es Kategorien von Easy (18 Euro) bis Premium (99 Euro). Aufträge für Firmenkunden schlagen je nach Aufwand mit mehreren Hundert Euro zu Buche. Als besonderen Service bietet Anhalt zudem die Digitalisierung und Neugestaltung von alten Fotoalben an.
Laden ist beliebter Selfie-Spot
Der Fotograf, der in Vierlanden lebt, fotografiert auch privat am liebsten mit einer Spiegelreflex-Kamera. Manchmal, sagt er mit einem Augenzwinkern, benutze er aber auch das Handy. Für Fotos von seiner Katze zum Beispiel. „Auch wenn man damit natürlich keine kreativen Gestaltungsmöglichkeiten hat.“ Selbstporträts macht er eher nicht. Aber sein Laden ist inzwischen ein Selfie-Spot. Immer wieder stehen Touristen davor, die sich mit der XXL-Kamera auf der Fassade ablichten. Auch manche Stadtrundfahrtbusse machen einen Stopp vor dem Gebäude am Rödingsmarkt – dann steht das Fotostudio für einen Moment im Blitzlichtgewitter.