Hamburg. Immobilienportal schätzt den Preis aller 970.000 Wohnimmobilien in der Hansestadt. Datenschützer sieht das kritisch.

Von einem Kollegen bekam Ingo M. einen Tipp. „An Deinem Reihenhaus scheint der Immobilienboom in Hamburg vorbeigegangen zu sein“, meinte der Kollege. Mit knapp 300.000 Euro sei das Haus für Hamburger Verhältnisse günstig, auch wenn es nicht in den Walddörfern, sondern in Neugraben stehe. Solche Dialoge werden in den nächsten Wochen in der Stadt wohl zunehmen. Oder es wird einfach mal geschaut, was das Haus des Chefs wert ist.

Wer auf dem Immobilienportal scoperty.de einen Hamburger Straßennamen eingibt, bekommt ab sofort eine Draufsicht der Immobilien, versehen mit einem Preisschild. Bei Mehrfamilienhäusern wird nur ein Preis angegeben. In der Isestraße 59 heißt es „ab 557.865 Euro“ - pro Wohnung versteht sich. Ob die Immobilie tatsächlich verkauft werden soll, spielt keine Rolle. Offiziell seit Mittwoch bietet das Portal geschätzte Preis-Daten von rund 969.000 Wohnimmobilien in Hamburg an.

„Nach einer Testphase in Nürnberg starten wir jetzt mit unserem Service neben Hamburg auch in den vier Metropolen München, Berlin, Frankfurt am Main und Köln“, sagt Michael Kasch, Geschäftsführer der Scoperty GmbH im Gespräch mit dem Abendblatt. „Gegenwärtig gibt es ein hohes Maß an Preisintransparenz am Immobilienmarkt. Das wollen wir ändern. Gleichzeitig leiden die Metropolen wie Hamburg oder München unter einem geringen Angebot. Wenn aber Immobilieneigentümer leichter zur Bewertung ihres Objekts kommen, kann das auch ihre Verkaufsbereitschaft steigern.“

Öffentliche Daten fließen in ein Computermodell

Scoperty kombiniert Online-Ansichten von Straßen und Fassaden mit verfügbaren Informationen zum jeweiligen Objekt. So fließen auch Daten des Gründungspartners Strengnetter ein, der seit über 40 Jahren Erfahrungen in der Immobilienbewertung hat. Die Daten werden vor allem von Banken bei der Immobilienfinanzierung genutzt.

Daten aus dem Grundbuch werden nicht verwendet. „Wir nutzen nur private und öffentlich zugängliche Quellen“, sagt Kasch. Das Modell basiert auf Daten, die durch künstliche Intelligenz mit Hilfe eines speziellen Algorithmus aufbereitet werden. „Dieser schätzt Grundstücksgröße, Wohnfläche und Baujahr der Immobilie“, sagt Kasch. Der Großteil der Schätzwerte sei valide. „In Großstädten mit extrem angespannten Immobilienmärkten wie Hamburg oder München verzeichnen wir in sehr teuren Lagen momentan teilweise noch größere Ungenauigkeiten“, sagt Kasch. Zu jeder Immobilie wird die Genauigkeit der Schätzung ausgewiesen. In der Isestraße sind es 35 Prozent.

Immobilienpreise in Hamburg
Immobilienpreise in Hamburg © Frank Hasse

Ein erster Test zeigt Fehler: Doppelhaus statt Einzelhaus

Doch für die automatisierte Bewertung von Wohnimmobilien gibt es noch andere Probleme. In Sasel werden Doppelhäuser nicht als solche erkannt. So wird ein Preis für ein Einfamilienhaus ausgewiesen. Und von der Hälfte des Preises ist der Besitzer enttäuscht. Ein anderer Eigentümer ist mit dem Preis für sein großzügiges Reihenhaus in Marmstorf zufrieden, knapp 380.000 Euro. „Doch das System weiß sicherlich nicht, dass es sich um ein Erbpacht-Grundstück handelt“, sagt der Eigentümer.

Aber erst mit Fehlern und Widersprüchen wird das Immobilienportal für die Nutzer interessant. Denn die offensichtliche Strategie des Unternehmens ist es, dass die Nutzer Daten selbst beisteuern. Das betrifft vor allem die Eigentümer. „Der Schätzwert, den wir anbieten, ist eine erste Orientierung und kann vom Eigentümer verbessert werden, indem er weitere Angaben zu dem Objekt bis hin zur Innenausstattung liefert“, sagt Kasch. Das sieht der Hamburger Datenschutzbeauftragte kritisch, auch wenn er für das Münchner Unternehmen nicht zuständig ist. „Sollte der Immobilienwert deutlich zu gering angesetzt sein, ergibt sich aus Sicht der Betroffenen der Druck, weitere Informationen zu offenbaren, um dies richtigzustellen. Die Freiwilligkeit der Weitergabe der Daten stünde dann in Frage“, so Hamburgs Datenschützer Johannes Caspar.

ING ist am Unternehmen beteiligt

Dr. Michael Kasch ist der Geschäftsführer von Scoperty.
Dr. Michael Kasch ist der Geschäftsführer von Scoperty. © Scoperty | Scoperty

Um weitere Daten anzugeben, muss sich der Eigentümer bei Scoperty anmelden und wird über seine Telefonnummer verifiziert. Auch Immobilieninteressenten können sich bei dem Portal anmelden und ein Gebot für ein Objekt abgeben, obwohl sie gar nicht wissen, ob es zum Verkauf steht. Das sieht der Eigentümer natürlich nur, wenn er sich bei Scoperty angemeldet hat.

Kosten entstehen bei einer Anmeldung weder Eigentümern noch Interessenten. „Wir wollen Geld verdienen, indem wir bei einem Kauf die Finanzierung anbieten und Maklern gegen Vergütung Objekte vermitteln“, sagt Kasch. Scoperty ist ein Gemeinschaftsunternehmen der ING Bank, PriceHubble und Sprengnetter. Der ING gehört auch die Internetplattform Interhyp, die Baufinanzierungen vermittelt.

Wie Sie Ihr Preisschild wieder entfernen

Eigentümer Ingo M. wird jedenfalls nicht den Wert seines Reihenhauses in Neugraben mit freiwilligen Angaben in die Höhe treiben. „Mir reicht ein Blick in andere Immobilienportale, um zu sehen, dass mein Eigenheim mehr wert ist“, sagt er. Ohne Verkaufsabsicht sei der Preis für ihn bedeutungslos. Auch Dirk Scobel von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht gerade auf einem angespannten Markt wie Hamburg keinen Mehrwert, den ein solches Portal liefern könnte. „Das mag in ländlichen Regionen funktionieren, wo Käufer fehlen, aber in Hamburg werden ohnehin irrwitzige Preise bezahlt“, sagt Scobel. „Wer verkaufen möchte, stellt seine Immobilie in ein Verkaufsportal und wartet ab.“ Kasch hofft dagegen, mit seinem Portal, den Immobilienmarkt in Deutschland verändern zu können. „Gerade in angespannten Märkten wie Hamburg wollen wir Verkäufe anstoßen und beschleunigen“, sagt Kasch. Doch dazu müsste die Verkaufsbereitschaft der Immobilieneigentümer geweckt werden.

Immobilieneigentümer, die nicht mit einem Preisschild bei Scoperty versehen werden wollen, müssen selbst aktiv werden und sich auf der Internetseite anmelden. „Wenn die Eigentümer ihre Immobilie auf ,inaktiv’ stellen, verschwindet die Preisschätzung“, sagt Kasch. „Aber bei der Testphase in Nürnberg haben weniger als ein Prozent der Immobilieneigentümer der Preisveröffentlichung widersprochen.“

2020 sollen bundesweit alle 40 Millionen Immobilien bewertet werden

Der Hamburger Datenschutzbeauftragte sieht die Preisangaben sehr kritisch, weil es personenbezogene Daten sind. „Wenn die Immobilien bereits mit einem Wert veranschlagt werden, ohne dass die Eigentümer hierüber Kenntnis haben und ohne der Schätzung und der Veröffentlichung vorab widersprechen zu können, ist eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der Daten meines Erachtens nicht in Sicht“, sagt Caspar.

Ob das zuständige Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht zu einer ähnlichen Einschätzung kommt? Man könne sich erst in ein bis zwei Wochen äußern, teilte die Behörde mit. Scoperty hat sich nach eigenen Angaben bereits mit der Behörde abgestimmt. Kasch hat große Pläne: „Im nächsten Jahr wollen wir alle 40 Millionen Wohnimmobilien in Deutschland erfassen und bewerten.“