Hamburg. Airport-Chef Michael Eggenschwiler über Passagierzahlen, ein Lärmschutzprogramm und den Verlust der Ryanair-Basis.
Der Hamburger Flughafen nimmt mehrere Hundert Millionen Euro in die Hand, um seine Infrastruktur zu modernisieren. Über den Stand der Bauarbeiten und aktuelle Entwicklungen spricht Airport-Chef Michael Eggenschwiler im Abendblatt-Interview.
Hamburger Abendblatt: Herr Eggenschwiler, vor zwei Wochen verkündete Ryanair, die Basis in Hamburg im Januar 2020 zu schließen. Waren Sie davon überrascht?
Michael Eggenschwiler: Ich bedauere es. Ryanair hat sich hier gut etabliert und ist mit einem Marktanteil von rund zehn Prozent die drittgrößte Fluglinie vor Ort. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das der richtige Schritt von Ryanair ist – auch wenn ich ihn aufgrund der Probleme, die die Airline derzeit hat, verstehen kann. Schließlich belastet Ryanair das weltweite Flugverbot von Boeings 737 Max und der derzeitige Lieferstopp. Das macht die Planung in einem Geschäft, in dem man frühzeitig mit seinem Angebot am Markt sein will, unheimlich schwierig.
Eurowings: Mit acht neuen Strecken nach Hamburg
Nach Easyjet ist Ryanair die zweite Billigfluglinie, die ihre Basis hier schließt. Inwiefern trifft das den Hamburger Flughafen?
Michael Eggenschwiler: Wir bedauern es immer, wenn eine Airline ihre Basis schließt. Andererseits hat Eurowings gerade angekündigt, im Sommer mit acht neuen Strecken nach Hamburg zu kommen. Das zeigt: Hamburg ist ein attraktiver Markt, Lücken schließen sich schnell wieder. Vielfalt ist für uns wichtig, Ryanair und Easyjet sind auch zukünftig mit einem guten Angebot hier.
Sie bauen derzeit auf dem Vorfeld für rund 30 Millionen Euro ein frei stehendes Terminal – die so genannten Shuttle Gates. Passagiere sollen von den beiden bestehenden Terminals per Bus zu diesen Gates kommen und dort zu Fuß zu den Maschinen gehen. Typische Kunden dafür sind eigentlich Billigfluglinien. Brauchen Sie die neuen Gates nach dem Teilrückzug von Ryanair und Easyjet überhaupt noch?
Michael Eggenschwiler: Die grundsätzliche Begründung hat sich nicht geändert. Wir brauchen dieses Interimsgebäude, wenn wir mit dem Umbau der Rückseite von Pier Süd loslegen. Es ändert sich allerdings die zeitliche Abfolge. Wir werden die Inbetriebnahme und Fertigstellung der Shuttle Gates aber um ein Jahr verschieben und erst im Frühjahr/Sommer 2021 fertigstellen.
Warum?
Michael Eggenschwiler: Der Markt hat sich nicht so schnell entwickelt, wie wir es gedacht hatten. Germania ist in die Insolvenz gegangen, Condor drohte das Aus, Ryanair und andere Airlines kämpfen mit den 737 Max-Problemen. In der Bundesrepublik wird im nächsten April die Luftverkehrssteuer erhöht, so dass die Nachfrage von und nach Deutschland gedämpft werden dürfte. Die Konjunkturprognosen sind auch nicht von Euphorie geprägt. Das macht die Planbarkeit schwieriger, wir sehen ein paar Wolken am Himmel. Das Flugprogramm im nächsten Jahr werden wir daher mit der bestehenden Infrastruktur leisten können. Wir entlasten dadurch auch unser Budget um schätzungsweise zwei Millionen Euro. Und die Passagiere müssen das Provisorium zunächst noch nicht nutzen.
Flughafen Hamburg passt sich Entwicklung der Passagierzahlen an
Gutes Stichwort: Sie sprechen immer von einem Interimsgebäude. In einer Senatsantwort war im Jahr 2018 von 15 Jahren Nutzung die Rede. Wie lange wollen Sie das Gebäude denn nun in Betrieb halten?
Michael Eggenschwiler: Wir haben keinen Termin für den Rückbau. Wir passen uns der Entwicklung der Passagierzahlen schrittweise an. Der Schlüsselvorteil des Hamburger Flughafens sind die kurzen Wege. Wir können viele Passagiere direkt vom Gebäude ins Flugzeug bringen – sei es über die Fluggastbrücken oder die Treppen und die Walk-in-walk-out-Gates. Diesen Grundsatz wird der Flughafen immer befolgen. Die Shuttle Gates sind weder für die Passagiere noch für uns attraktiv. Wir müssen Passagiere und Personal einige Kilometer weit mit Bussen in das Interimsgebäude befördern – das verursacht hohe Betriebskosten. Wir brauchen Busse und Busfahrer, die Fluggäste müssen früher da sein als gewohnt. Die Shuttle Gates sind nicht der Standard, den wir dauerhaft anbieten wollen. Deswegen wollen wir sie so kurz wie möglich im Betrieb haben. Ob wir sie in fünf, sechs, sieben, acht Jahren noch brauchen, wird man dann sehen. Sie sind als Provisorium geplant und keine Verlängerung der Pier.
Die Umweltschutzorganisation BUND klagt vor dem Oberverwaltungsgericht gegen diesen Ausbau, der auf einem Planfeststellungsbeschluss von 1997/98 beruht. Befürchten Sie davon Konsequenzen?
Michael Eggenschwiler: Nein. Da ist rechtlich alles sauber.
Sechs neue Gates für den Flughafen Hamburg
Sie sprachen eben schon den Umbau der Pier Süd an. Dort sollen sechs neue Gates entstehen. Wie ist da der Stand?
Michael Eggenschwiler: Die ganz genaue Planung und das Datum für den Baubeginn stehen noch nicht fest. Wir werden aber auch ein Jahr später beginnen, wahrscheinlich erst 2021. Während dieser Bauphase fallen voraussichtlich fünf bis zehn Gates weg, weshalb wir die Shuttle Gates brauchen.
Der Ausbau soll rund 160 Millionen Euro kosten, das Geld wollen Sie sich von den Airlines zurückholen. Deshalb gab es Streit mit den Airlines. Ist der Streit beigelegt?
Michael Eggenschwiler: Ja. Wir sind mit den Airlines über die Gesamtentwicklung in einem guten Dialog. Wir sprechen mit den Airlines auch über die Ausgestaltung der Rückseite von Pier Süd. Wir überprüfen das gesamte Projekt mit dem Ziel, dass es günstiger wird.
Gepäckabfertigung ist überwiegend Handarbeit
Kommen wir zum laufenden Flugbetrieb. Immer wieder gibt es Beschwerden über die lange Wartezeiten aufs Gepäck. Warum können Sie das Problem nicht lösen?
Michael Eggenschwiler: Die Tätigkeit ist überwiegend Handarbeit und kann kaum automatisiert werden. Insbesondere in den Ferien sind die Maschinen proppevoll. Wenn zu Spitzenzeiten noch ein hoher Krankenstand hinzukommt, dann wird es eng. Derzeit ist der Betrieb aber stabil. Den angekündigten Schnitt von 30 Minuten Wartezeit aufs Gepäck halten wir, die Ausreißer nach oben sind gering.
Vor allem in den Jahren 2017 und 2018 ist die Belastung der Anwohner durch eine starke Zunahme der späten Flüge zwischen 23 und 0 Uhr gestiegen. Können Sie den Ärger der Anwohner verstehen?
Michael Eggenschwiler: Wir haben mit den Luftfahrtgipfeln gezeigt, dass wir das Thema ernst nehmen. Die getroffenen Maßnahmen zahlen sich jetzt aus. In diesem Jahr sind die späten Flüge um mehr als 40 Prozent zurückgegangen. In diesem Winterflugplan haben wir die Zahl der geplanten Flugbewegungen zwischen 22.30 und 23 Uhr im Vergleich zum Vorjahr von rein rechnerisch knapp sechs auf etwas mehr als drei reduziert, Airlines zogen die Flüge vor. Wir werden nie auf Null kommen, weil es in dieser Branche viele Faktoren gibt, die zu Verspätungen führen. Wir sind froh über den Trend und hoffen, dass er sich fortsetzt. Im übrigen werden wir erstmals mit den Airlines ein gemeinsames freiwilliges Lärmschutzprogramm auflegen. Wir werden aus einem gemeinsamen Topf – einer Art einmaligem Sonderfonds – 1,2 Millionen Euro für Lärmschutzmaßnahmen an Gebäuden bereitstellen, die in unmittelbarer Nähe des Bahnkreuzes stehen. Neben den klassischen Schutzmaßnahmen wie bessere Fenster können zum Beispiel mit dem Geld Kippschalter eingebaut werden, die die Fenster in der Nacht quasi per Schaltzeituhr öffnen und schließen, wenn der Betrieb stoppt beziehungsweise wieder losgeht. Das Programm entspricht auch einem Wunsch der Bürgerschaft und zeigt, dass wir und die Airlines das Thema ernst nehmen.
Anwohner befürchten immer wieder eine Entkreuzung der beiden Start- und Landebahnen. Dadurch würden beide Bahnen unabhängig voneinander, sodass mehr Starts und Landungen möglich wären. Gibt es dazu Überlegungen?
Michael Eggenschwiler: Auch wenn das Thema immer wieder auftaucht: Im Moment und für die nächsten fünf bis zehn Jahre ist eine Entkreuzung der Start- und Landebahn mit Sicherheit kein Thema. Unsere Priorität sind die Shuttle Gates, die Pier Süd und der Neubau der Gepäckförderanlage. Wahrscheinlich werden wir im nächsten Jahr damit beginnen, Terminal Tango abzureißen und für rund 200 Millionen Euro dort die neue Anlage zu bauen. Dort soll es dann auch größere Speichermöglichkeiten für das Gepäck geben, so dass die Koffer zum Beispiel bei Vorabend-Check-ins früher aufgegeben werden können. Die Anlage könnte Mitte der 2020er-Jahre fertig sein.
Nachgehakt: Können Sie eine Entkreuzung von Start- und Landebahn ausschließen?
Michael Eggenschwiler: Ausschließen kann man das nie. Der Flughafen entwickelt sich Schritt für Schritt über den Markt. Heute Aussagen zu treffen, die in der weiten Zukunft liegen, wäre falsch.
2017 waren es 17,6 Millionen Passagiere, im vergangenen Jahr 17,2 Millionen. Erwarten Sie in diesem Jahr einen neuen Rekord?
Michael Eggenschwiler: Ich würde es mir wünschen, bin mir aber nicht sicher, ob wir das schaffen. Da gibt es zurzeit zu viele Unsicherheiten. Für 2020 erwarten wir eine stabile Entwicklung bei den Passagieren und etwas weniger Flugbewegungen.
Erhöhung der Luftverkehrssteuer könnte Nachfrage nach Flügen dämpfen
Bisher rechneten Sie immer mit einem jährlichen Passagierwachstum von zwei bis 2,5 Prozent. Hochgerechnet bedeutet das für das Jahr 2035 rund 26 Millionen Passagiere. Ist diese Prognose angesichts der Klimadiskussion noch realistisch?
Michael Eggenschwiler: So eine Rechnung haben wir nie publiziert, und Sie kriegen die auch heute nicht von mir. Kurzfristig könnte die Erhöhung der Luftverkehrssteuer im April die Nachfrage dämpfen. Der Standort Deutschland tut sich für seine eigene Wettbewerbsfähigkeit damit keinen Gefallen. Langfristig bleibt die Luftfahrt eine Wachstumsbranche. Die Menschen werden sich Mobilität nicht nehmen lassen – sei es auf zwei, auf vier Rädern oder in der Luft. Die Mensch wollen die Welt sehen, sich austauschen, andere Länder kennen lernen. Das gehört zu unserer Gesellschaft. Die Luftfahrt tut in diesem Bereich viel. Wir haben vor vielen Jahren schon begonnen, als Flughafen möglichst CO2-frei zu werden. Ich selbst fahre seit 3,5 Jahren ein Auto mit Wasserstoffantrieb und damit absolut CO2-frei. Ich versuche, auch viele andere zu diesem Schritt zu motivieren. Wir alle sind gefordert, für den Klimaschutz etwas zu tun.