Hamburg. Verbände und Handelskammer schließen ein Bündnis und nehmen den Senat in die Pflicht. Eine autofreie Innenstadt lehnen sie ab.

Jahrzehntelang habe sich die Politik in Hamburg auf die Gestaltung der HafenCity konzentriert. Riesige Millionensummen seien in das Leuchtturmprojekt Elbphilharmonie, die Magellan-Terrassen und die Entwicklung des Überseequartiers geflossen, aber die künftige Konzeption der City – oder besser des alten Teils der Innenstadt – seien dabei vernachlässigt worden. Das zumindest beklagt ein Teil der Hamburger Wirtschaft. Und es ist kein kleiner Teil. Am Dienstag trafen sich die Spitzenvertreter der Handelskammer, der Gastronomie-, Tourismus und Handelsverbände, um ein neues Bündnis für die Innenstadt vorzustellen – und um den Senat aus ihrer Sicht wachzurütteln.

So ganz schienen sie sich der Bedeutung ihres Tuns noch nicht bewusst zu sein. Eher versteckt, in einer Ecke der Ladenpassage des Levantehauses, eingezwängt zwischen Grünpflanzen und dem Treppenaufgang, kamen die Wirtschaftsvertreter zusammen, um ihre Forderungen publik zu machen. Im Kern geht es um ein Investitionsprogramm zur Steigerung der Innenstadt-Attraktivität, das der Senat auflegen soll. Eine konkrete Summe nannten sie nicht, aber wenn man die Einzelforderungen der Wirtschaftsvertreter zusammenrechnet, kommen durchaus dreistellige Millionensummen zusammen.

Wettbewerb im Einzelhandel verschärft sich

Ihr Argument: Sie sehen die noch attraktive und pulsierende alte City bedroht. „Die Innenstadt steht vor großen Herausforderungen“, sagte der Vizepräses der Handelskammer, André Mücke. Zum einen erfahre der Einzelhandel durch die Digitalisierung einen tiefgreifenden Strukturwandel. Durch das Online-Geschäft löse sich der Handel von der Innenstadt. Zum anderen werde sich die Wettbewerbssituation verschärfen, wenn 2022 der große Einzelhandelsstandort im Überseequartier eröffnet. „Um in dieser Situation zu bestehen, muss die City deutlich mehr bieten als bisher, und sie benötigt neue Aufmerksamkeit“, sagte Mücke.

Und dann legten seine Mitstreiter los: „Wir sind für Wettbewerb, aber für fairen Wettbewerb“, sagte etwa der Geschäftsführende Vorsitzende des Verbands der Mittel- und Großbetriebe im Einzelhandel, Volker Tschirch. „Die HafenCity hat perfekte Anbindungen an den ÖPNV, vierspurige Straßen und dazu breite Geh- und Radwege. Wir brauchen einen verbindlichen Plan, wie der Verkehr und die Erreichbarkeit der Innenstadt künftig geregelt werden.“ Der Hauptbahnhof müsse umgestaltet werden, die Zustände dort seien „katastrophal“, ergänzte der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbands, Franz J. Klein.

Neuregelung der Lieferdienste

Auch der Lieferverkehr und die Logistik müssten in der Innenstadt neu aufgestellt werden, ergänzte der Präsident des Handelsverbands Nord, Andreas Bartmann. So lautet eine Forderung der Händler, die Einrichtungen von Micro-Hubs in der City, an denen die Lieferungen der unterschiedlichen Paketdienste zentral angenommen werden. Von dort aus sollen sie dann nur noch von einem einzigen Unternehmen an die Endkunden ausgeliefert werden. „Derzeit leisten sich die Paketdienste noch ein Wettrennen, wer am meisten Pakete ausliefert. Das geht nicht mehr“, so Bartmann. Marc Tiefenthal, der Vorsitzende des City Managements, brachte die Aufwertung der öffentlichen Räume und Plätze ins Spiel, von einer zeitgemäßen Stadtmöblierung mit Bänken, Brunnen und Spielplätzen, bis hin zu einer besseren Überwachung durch mehr Ordnungskräfte. Diese sollen auf Verschmutzung achten und Verstöße, wie das achtlose Wegwerfen von Zigarettenkippen, mit Bußgeldern ahnden.

Eine komplett autofreie Innenstadt, wie die Grünen sie verlangen, wollen die Wirtschaftsvertreter nicht: „Wir sind gegen Verbote“, sagte Tschirch. „Wer eine autofreie Innenstadt fordert, bekommt eine einzelhandelsfreie Innenstadt“ ergänzte der Vorsitzende des Trägerverbunds Innenstadt, der bekannte Schuhhändler Ludwig Görtz. Schließlich kämen viele Kunden von weit her mit dem Auto zum Einkaufen in die City, sagte er. Zudem müssten die Händler ja auch weiter beliefert werden.

Der Michel soll in die Innenstadt zurück

Auch die Frage, ob die Mönckebergstraße für den Verkehr komplett gesperrt werden soll, ließen die Vertreter offen. Die derzeitige Situation mit dem starken Busverkehr sei aber nicht ideal, erklärte City-Managerin Brigitte Engler. Sie forderte den Senat auf, neue Verkehrslösungen zu suchen. Diese müssten allein schon für das Jahr 2020 gefunden werden, wenn die U-Bahnlinie 3 für 14 Monate gesperrt wird.

Neue Lösungen für die Willy-Brandt-Straße, die die Innenstadt zerschneidet, forderte hingegen der Vorstandsvorsitzende des Tourismusverbands, Norbert Aust. Die Stadt benötige ein neues Fußgängerleitsystem, das auf Sehenswürdigkeiten und Services wie öffentliche Toiletten hinweist. In diesem Zusammenhang müssten auch neue Überlegungen zur Querung der Willy-Brandt-Straße angestellt werden. „Damit der Michel endlich aus seiner Randlage in die Innenstadt zurückkehrt.“

16 Seiten umfasst der Forderungskatalog, der in vielen Dingen noch unkonkret ist. Aber in einem waren sich alle Vertreter einig: Es ist Zeit, dass sich der Senat für die Innenstadt engagiert. Mehr als 53 Millionen Euro habe die Wirtschaft selbst seit 2005 in die Aufwertung der Innenstadt investiert. „Die Zeit der Selbstheilung ist vorbei“, so Bartmann.