Hamburg. Wirtschaftssenator Westhagemann zeigt sich auf seiner Israel-Reise begeistert von neuer Technologie und strebt Kooperationen an.
Früh am Morgen vor einem Hotel in Israels zweitgrößter Stadt Tel Aviv. Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) steht in der offenen Tür eines Reisebusses und mahnt zur Eile. „Los Jungs, einsteigen! Um 7 Uhr ist Abfahrt“, ruft er und zeigt auf seine Uhr. Schifffahrt ist ein Jahrhunderte altes Geschäft und seine Vertreter sind an diesem Morgen etwas träge. Westhagemann will ihnen deshalb Beine machen. „Unser Programm ist dicht bepackt, wenn wir uns da am Morgen schon verzetteln, schlägt das bis zum Abend durch“ mahnt er.
Mit rund 70 Unternehmensvertretern aus der maritimen und der Logistik-Branche ist der Senator nach Israel gereist, um Kontakte zu hiesigen Firmen zu knüpfen. Er will etablierte Hamburger Firmen mit israelischen Start-ups zusammenbringen, die Produkte aus dem Feld der Digitalisierung anbieten. Und dazu ist das kleine Land am östlichen Rand des Mittelmeers ideal geeignet. Keine andere Nation bringt – bezogen auf die Einwohnerzahl – so viele Start-ups, hervor, wie Israel. Oder wie es einer der Mitreisenden, der Hamburger Unternehmer Georg Schacht, sagt: „Israel ist der absolute Hotspot.“
Zunächst geht es aber zu einem Großkonzern. 45 Minuten mit dem Bus nach Süden die Küste entlang bis nach Ashdod. Hier sitzt Israel Aerospace Industries (IAI). Im Jahr 1953 vom damaligen Verteidigungsminister Shimon Peres gegründet, gehört das staatliche Unternehmen heute zu den Weltmarktführern im Flugzeugbau und in der Entwicklung militärischer Abwehrsysteme. Kein unbekanntes Unternehmen für Deutschland: Die Bundeswehr hat mehrere Drohnen der IAI im Einsatz. Sie sind in Schleswig stationiert und dienen der militärischen Aufklärung.
Drohnen zum Schutz der Cruise Days
Westhagemann hat aber ganz anderes vor: „Ich denke an den Einsatz solcher Systeme zum Schutz des Hafens bei Großveranstaltungen wie dem Hafengeburtstag oder den Cruise Days“, sagt der Senator in der Pause zwischen zwei Präsentationen. Und zwar zur Überwachung – mit Kameras ausgestattet. Derzeit arbeite die HHLA am Bau eines Drohnen-Cockpits, mit dem sich die unbemannten Flugzeuge steuern lassen und die Helmut-Schmidt-Universität mit mehreren Partnern an einem Projekt zum realen Einsatz, etwa beim Transport von Gewebeproben von Krankenhaus zu Krankenhaus. „Wenn wir den Luftraum für solche Systeme öffnen, müssen wir sicherstellen, dass sie nur für ihren Zweck eingesetzt und nicht zur Gefahr für andere werden.“
Kurz zuvor hatte ein israelischer Ingenieur Szenen von Angriffen durch Drohnen gezeigt und deutlich gemacht, dass jeder sie als Waffe nutzen kann – etwa wenn man sie gezielt über einer Menschenmenge zum Absturz bringt. „Sie benötigen 1000 Dollar zum Kauf des Geräts, eine Stunde um dessen Funktionen zu erlernen, und schon haben Sie die perfekte Waffe“, sagte der IAI-Vertreter.
Innovative Maschinen werden besichtigt
Westhagemann denkt aber nicht primär an den Schutz vor Drohnenangriffen, sondern vor allem an deren Nutzung zur Überwachung. So entwickelt ein Tochterunternehmen von IAI derzeit einen Radarsensor, der auf weite Entfernung kleinste Elemente im Wasser erkennt und auch noch unterscheiden kann, ob es sich um ein Boot, einen Vogel oder einen Menschen handelt. „Ein Einsatzfeld könnte bei Großveranstaltungen wie dem Hafengeburtstag liegen, um beispielsweise Personen, die bei großen Menschenansammlungen in die Elbe stürzen, zur schnellen Rettung zu verfolgen“, so der Senator.
Weiter geht es für den Delegationstross in zwei Bussen zu Algo Trace. Dabei handelt es sich um ein junges Unternehmen, das sich auf selbst lernende automatische Maschinen spezialisiert hat. Dessen Produkte machen es also möglich, dass sich die Maschinen auf die Menschen, die mit ihnen arbeiten, einstellen und deshalb auch mit unterschiedlichem Wissensstand bedient werden können. Algo Trace steht für den Gründergeist, der in dem kleinen Staat vorherrscht. „Das Land ist weltweiter Hot-Spot für digitale Innovationen. Das ist für unsere Unternehmen ein lohnendes Ziel“, sagte Westhagemann.
„Alle anderen sind auch schon da“
Dumm nur, dass andere das auch schon bemerkt haben. „Alle anderen sind auch schon da. Wir müssen darüber reden, wie Hamburg sich hier hervortun kann“, sagte Andrea Frahm, von der Helmholtz-Gesellschaft für deutsche Forschungszentren in Israel. „Firmen oder Länder haben in Israel eigene Tech-Scouts oder wie Bayern und Rheinland Pfalz ganze Repräsentanzen. Nordrhein Westfalen baut auch eine auf.“
Das machte Frahm bei einem Kennenlern-Dinner der Delegation deutlich. Und die Aussage nagte am Senator und ließ ihm keine Ruhe. Während der Rest der Delegation sich bei Bier, Wein und israelischen Speisen vergnügte, setzte er sich mit der Helmholtz-Vertreterin zusammen, um einen Plan zu entwickeln, wie sich Hamburgs Wirtschaft auf Israels Markt bemerkbar machen kann. Sein Ergebnis: „Zielloses Suchen nach Unternehmen ist nicht effizient. Wir müssen unserem Besuch einen Gegenbesuch folgen lassen und daraus einen regelmäßigen Austausch machen.“
Israel ist sehr innovativ
Die Voraussetzungen für Kooperationen sind nämlich gut. Israels Wirtschaft hat nicht nur viele Start-ups, sondern auch viel Geld. Mit einem Anteil von mehr als 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts besitzen Risikokapital-Investitionen in Israel die mit Abstand größte volkswirtschaftliche Bedeutung unter allen entwickelten Ländern – noch vor den USA mit knapp 0,2 Prozent. Europa hinkt im Vergleich zu den USA oder Israel hinterher. Was die Firmen aber benötigen sind Kunden für ihre Produkte. „Ich bin überzeugt davon, dass das Potenzial einer engeren Zusammenarbeit zwischen norddeutschen Unternehmen und Digitalunternehmen aus Israel enorm ist.“
Zum anderen hat Westhagemann seinerseits eine Reihe von Hamburger Start-ups dabei, die bei den israelischen Kollegen abgucken wollen, was diese so erfolgreich macht. Außerdem wollen sie sich selbst den Unternehmern aus den eigenen Reihen präsentieren. Wie Otto Klemke. Er ist Gründer des Jungunternehmens NautilusLog, welches das erste digitale Logbuch für Schiffsbesatzungen und Reedereien als App anbietet: „Ich habe schon eine Reihe von Delegationsreisen mitgemacht und festgestellt, dass sie ideal sind, um mit den anderen mitreisenden Unternehmen ins Gespräch zu kommen und Kontakte zu knüpfen.“
Das Ebay für Schiffe
Schifffahrt ist – wie anfangs geschrieben – ein sehr altes Geschäft, das lange in den gleichen Pfaden verlief. In der Digitalisierung hat die Branche Nachholbedarf. Und den bedienen solche Hamburger Newcomer wie NautilusLog oder Shipstock von Georg Schacht. Shipstock ist so etwas wie Ebay für Schiffe. Namhafte Reeder wie Claus Peter Offen, die Familie Oetker oder die Brüder Hinneberg stehen als Geldgeber hinter dem Start-up mit dem Ziel alte Schiffe über die virtuelle Auktionsbörse von Schacht verkaufen zu können.
Ein weiteres Beispiel ist Marvest. Dabei handelt es sich um ein Crowdfunding-Projekt zur Schiffsfinanzierung. Zwei Schiffe hat Gründer Nikolaus Reus schon platzieren können. Ein drittes ist in Arbeit. Wie das geht? Nur über das Internet. Dabei werden aber auch große Summen bewegt. Schiffe kosten viele Millionen Euro.
Sogar das Mittagessen hat Westhagemann für einen Termin verplant Der hat es aber in sich: Die Delegation trifft Boaz Gorodissky, Mitgründer des israelischen Start-ups XM Cyber. Die Abkürzung macht deutlich, aus welchem Bereich das Unternehmen seine Mitarbeiter rekrutiert: XM steht für Ex-Mossad. Die Firma besteht aus ehemaligen Mitgliedern des israelischen Geheimdienstes. Israel hat der Cybersicherheit aufgrund einer permanent erhöhten Bedrohungslage sowie des seit langem überdurchschnittlich hohen technologischen Entwicklungsstandes und der damit einhergehenden Abhängigkeiten von moderner Technik bereits früh eine hohe Wichtigkeit beigemessen.
Am Nachmittag kommt es zum Speed-Dating
Dementsprechend gilt Israel auch auf diesem Sektor international als Vorreiter. „Selbst das Bundeskriminalamt sagt uns, dass es seine Sicherheitstechnologien entweder in den USA oder Israel kauft“, sagt Matthias Vallentin, Vorstandschef des Hamburger Unternehmens für Cyber-Sicherheit, Tenzir. Er ist mit nach Israel gekommen, weil hier viel Erfahrung sitzt.
„Zwei Dinge – zum einen das militärische Fundament und zum anderen der große Innovationsgrad und der Drang sich nach außen zu öffnen – haben Israel zu einem Vorreiter gemacht“, sagt er. „Wir erhoffen uns von der Reise Kontakte sowohl zu Firmen auf der Produktseite wie auch auf der Kundenseite.“ Westhagemann denkt gar nicht lange nach: „Mit dem Jungen müssen wir mehr machen“, sagte er leise zu seinem Büroleiter. Am Nachmittag kommt es dann währen eines Speed-Datings zu einer Reihe gezielter Vorstellungsgespräche israelischer Jungunternehmen bei der Hamburger Delegation. Da bahnt sich etwas an.