Hamburg. Traditionsreiche Großbäckerei will die Nummer 1 in Europa werden. Auch individuell modellierte Brotsorten sind denkbar.
Wenn man Frank Kleiner nach seinem aktuellen Lieblingsbrot fragt, muss er nicht lange überlegen. „Irgendwas mit Dinkel muss es sein“, sagt der neue Chef von Harry Brot. Er steht in dem kleinen Laden an der Einfahrt des Firmengeländes in Schenefeld. In den Regalen liegen Roggenbrot in Scheiben, Rosinenstuten, diverse Toast- und Sandwichsorten – alles akkurat in Plastik verpackt. Ein Querschnitt von dem, was Deutschlands größter Bäcker so zu bieten hat. Es gibt auch eine Theke mit Brot und Brötchen, die direkt aus dem Ofen einer Backstation kommen. Mitarbeiter kaufen hier zu vergünstigten Bedingungen, aber auch viele Anwohner kommen vorbei. Geschäftsführer Kleiner nimmt ein Paket mit seinen Brötchenfavoriten aus einem Angebotskorb. „Dinkel ist im Trend“, sagt er. Im Sortiment sind seit Kurzem auch Dinkel-Schnitten, Dinkel-Vollkornbrot und Dinkel-Sandwich. Den Kunden schmeckt es offenbar.
Neun Produktionsstandorte mit 4375 Mitarbeitern
Harry-Brot ist auf Wachstumskurs. „Wir blicken auf eine über Jahrzehnte stetig steigende Umsatzkurve“, sagt Frank Kleiner. Nachdem Hans-Jochen Holthausen sich vor einem Jahr als geschäftsführender Gesellschafter aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hatte, steht der 48-Jährige an der Spitze des Backkonzerns mit neun Produktionsstandorten und 4375 Mitarbeitern, der aus der 1688 von Johan Hinrich Harry in Altona gegründeten Bäckerei hervorgegangen und bis heute in Familienhand ist. 2018 hat Harry Brot erstmals die Milliarden-Umsatzmarke geknackt – mit einem Plus von drei Prozent trotz Dürre-sommer und einem Großbrand am Standort Wiedemar/Leipzig.
Für die vergangenen sieben Jahren weist das Unternehmen, zu dem auch der Discountbäcker Back-Factory gehört, ein Erlösplus von 35 Prozent aus. „Wir wachsen gegen den Trend“, sagt der Harry-Chef. Laut aktuell veröffentlichten Zahlen des Marktforschungsinstituts GfK ist die Lust der Deutschen auf Brot und Brötchen im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent auf 2,23 Millionen Tonnen leicht gesunken. „Der Markt verändert sich, aber das SB-Brotgeschäft und der Verkauf über Backstationen in Supermärkten und Discountern ist sehr stabil“, sagt Kleiner.
Harry backt seit 1963 in Schenefeld
Am Stammsitz am Schenefelder Kiebitzweg, wo sich Harry nach dem Umzug aus Altona 1963 angesiedelt hat, wird an sechs Tagen die Woche rund um die Uhr gebacken. 63 der 884 Mitarbeiter am Standort arbeiten in der Bäckerei.
Leiter Bert Steiniger geht mit schnellen Schritten durch die Produktionshallen. Es riecht leicht süßlich nach Frischgebackenem. Maschinen lärmen. Das Mehl und viele andere Zutaten kommen direkt aus den Silos durch glänzende Edelstahlrohre in die riesigen Rührkessel. Menschen sieht man kaum. Über eine der sieben Backlinien läuft gerade Weltmeisterbrot. Mischen, kneten, backen, schneiden. „Der Produktionsprozess ist nahezu komplett automatisiert“, sagt Steiniger, der vor mehr als 40 Jahren als Bäckerlehrling bei Harry angefangen hat. Er öffnet die Tür zu einem sogenannten Garraum, wo Tausende Brote in kleinen Formen bei 38 Grad wie in einem permanent rotierenden Paternoster aufs Backen vorbereitet werden.
500 Brot- und Backwarenartikel im Angebot
2200 Vollkorn- oder Mischbrote spucken die Öfen in Schenefeld pro Stunde aus. Bei Toastbrot sind es sogar 5400. Maximal 24 Stunden später sind die Backwaren bei den Kunden – jeden Tag außer am Sonntag. „Der Frischdienst ist ein wichtiger Teil unseres Erfolgs“, sagt Geschäftsführer Kleiner. Von 40 Harry-Vertriebsstellen werden auf 840 Touren 9500 Geschäfte sowie – mit zunehmender Bedeutung – 10.000 Backstationen mit Schnittbrot und vorgebackenen Waren beliefert.
Als weiteren Faktor nennt der Betriebswirt, der vorher in unterschiedlichen Positionen im Backwaren-Geschäft gearbeitet hat und in der vierköpfigen Harry-Geschäftsführung für Marketing und Vertrieb zuständig ist, Investitionen von jährlich mehr als 60 Millionen Euro in die Produktionsanlagen. In Kürze soll im Werk im nordrhein-westfälischen Ratingen die nach Unternehmensangaben modernste Schnittbrotanlage Europas in Betrieb gehen. „Wir investieren in Qualität“, sagt Kleiner. Und in Vielfalt. Insgesamt bietet das Unternehmen etwa 500 Brot- und Backwarenartikel an.
Bio-Brot ist kein Thema
Die Deutschen lieben ihr tägliches Brot. Jeder Haushalt verbraucht pro Jahr 56,5 Kilogramm Brot und Backwaren. Laut GfK-Daten ging davon 2018 nur ein Drittel bei Handwerksbetrieben über den Tresen – Tendenz sinkend. Gekauft wird im Supermarkt und an den Backstationen. Harry hat nach einer aktuellen Befragung eine Markenbekanntheit von 46 Prozent und liegt damit deutlich vor dem Konkurrenten Lieken Urkorn. Trotz der Größe müsse man bei Rezepturen, Teigführung und Backverfahren nicht den Vergleich mit traditionellen Handwerksbetrieben scheuen, betont Kleiner. „Wir arbeiten nur mit weniger Händen.“ Dabei komme das Mehl von regionalen Lieferanten. Konservierungsstoffe würden nicht verwendet. Bio-Brot wird es von Harry allerdings in absehbarer Zeit nicht geben. „Die Kompetenz für Bio-Brot misst der Verbraucher auch eher Reformhäusern und Bio-Supermärkten zu“, sagt der Chef des Hochleistungsbäckers. Auch müsse gewährleistet sein, dass Biomehl ohne schwankende Verfügbarkeit und Qualitäten auf dem deutschem Markt zu kaufen seien. „Wenn wir das machen, dann richtig groß.“
In Süddeutschland hat man viel vor
Für die nähere Zukunft setzt der neue starke Mann an der Spitze des Backkonzerns auf Wachstum. „Wir sehen in Deutschland noch viel Potenzial“, sagt Kleiner. Konkret will Harry den Verkauf in Baden-Württemberg und Bayern ausbauen. Aber auch darüber hinaus hat Harry unter der neuen Leitung Expansionspläne. Der deutsche Branchenprimus will über das benachbarte europäische Ausland hinaus die Brotregale erobern. „Unser Ziel ist es, Europas Nummer 1 zu werden.“ Da Innovationen stets Motor des Geschäfts sind, schließt Kleiner auch individuell modellierte Brotsorten aus dem 3-D-Drucker nicht grundsätzlich aus. „Für den Massenmarkt ist das allerdings schwierig. Brot muss immer noch gebacken werden“, sagt er.
Erst mal muss der gebürtige Sauerländer ganz privat Überzeugungsarbeit bei der Brotauswahl leisten. Seine Frau und die beiden Kindern sind gerade nach Hamburg gezogen. Am heimischen Esstisch, so die Vorstellung von Frank Kleiner, soll die Familie täglich zum Abendessen zusammenkommen. Da gibt es natürlich Brot.