Hamburg. In Deutschland kriselt die Branche, doch international floriert sie. Und Hamburg ist ein Zentrum der Projektfinanzierung.
In den zurückliegenden beiden Jahren war die deutsche Windenergiebranche von einer Reihe schlechter Nachrichten betroffen: Gegen neue Windparks an Land regte sich immer heftigerer Widerstand von Anwohnern und Naturschützern, die Bundesregierung hat die Förderung und die Ausbauziele stark reduziert, etliche Firmen mussten Stellen streichen – und der Hamburger Anlagenhersteller Senvion meldete sogar Insolvenz an.
International hingegen ist die Windenergie weiterhin ein Wachstumsgeschäft: Der Weltverband GWEC erwartet in diesem Jahr eine Zunahme der neu installierten Kapazität um gut 27 Prozent auf 65 Gigawatt (GW), im nächsten Jahr soll es Schätzungen zufolge sogar noch mehr werden.
Banken in guter Position
Zahlreiche Unternehmen gerade in Hamburg und in den anderen norddeutschen Bundesländern sind in einer guten Position, von diesem Wachstum der Branche außerhalb der Bundesrepublik stärker zu profitieren als bisher. Dazu gehören auch Projektplaner und Kreditinstitute. So ist die Hansestadt unbestritten der bedeutendste Standort in Deutschland für die Finanzierung erneuerbarer Energien.
Bei der Hamburg Commercial Bank (früher: HSH Nordbank) beträgt das entsprechende Volumen 4,6 Milliarden Euro, davon entfallen 58 Prozent auf die Windenergie. Der Kreditbestand der Commerzbank, deren konzernweites Kompetenzzentrum für dieses Geschäft mit knapp 60 Beschäftigten seinen Sitz in Hamburg hat, liegt bei knapp 5,2 Milliarden Euro für Projektfinanzierungen, hinzu kommen noch rund zwei Milliarden Euro an Unternehmensdarlehen für die Branche.
Erstmals mehr Auslandsprojekte
„Wir gehen davon aus, dass wir unser Kreditportfolio ausweiten können“, sagt Markus Wessel-Ellermann, Mitglied der Geschäftsleitung des Hamburger Kompetenzzentrums der Commerzbank. Dabei muss sein Team jedes Jahr schon etwas mehr als eine Milliarde Euro an Neugeschäft hereinholen, nur um den Bestand konstant halten zu können. „Während im bisherigen Portfolio der Anteil der Projekte in Deutschland noch bei 70 Prozent liegt, werden die Neuabschlüsse in diesem Jahr erstmals überwiegend das Ausland betreffen“, so Wessel-Ellermann. Als Märkte würden Ost- und Südeuropa immer wichtiger, aber auch Nordamerika und Südostasien gewännen allmählich an Bedeutung.
In der Regel seien Teams von drei Personen für zwei bis 15 Monate mit einem Finanzierungsprojekt beschäftigt, erklärt der Commerzbank-Manager, wobei es zu 20 bis 30 Abschlüssen komme: „Wir prüfen eine viel größere Zahl von Vorhaben, aber nicht alles passt zu unserem Risikoappetit.“
Acht Milliarden Euro Investitionsvolumen
Von den Kunden, mit denen Wessel-Ellermann regelmäßig im Gespräch ist, gehört der börsennotierte Cuxhavener Windpark-Projektierer PNE, gegründet im Jahr 1995 unter dem Namen Plambeck Neue Energien, zu den Großen. „Allein seit Januar haben wir insgesamt rund eine halbe Milliarde Euro an Projektinvestitionen initiiert“, sagt Markus Lesser, der Vorstandsvorsitzender der PNE. „In der konkreten Planung befinden sich aktuell Erneuerbare-Energien-Projekte mit einer Kapazität von fünf Gigawatt, was einem Investitionsvolumen von etwa acht Milliarden Euro entspricht.“
Auf der Seite der Finanzierer arbeite PNE regelmäßig mit einer ganzen Reihe von Kreditinstituten zusammen, von Sparkassen und Volksbanken über Landesbanken bis hin zu internationalen Großbanken. „Aber die Commerzbank ist für uns seit über 30 Jahren ein wichtiger und kompetenter Partner“, sagt Vorstandschef Lesser.
Personalaufbau in Hamburg
Zwar sind die meisten der rund 400 Mitarbeiter von PNE an den Standorten Cuxhaven und Husum tätig, das Hamburger Büro mit aktuell zwölf Beschäftigten soll aber auf rund 30 Personen vergrößert werden. „In Hamburg ist es leichter, neue Mitarbeiter mit Fachkenntnissen im Bereich der erneuerbaren Energien zu finden“, erklärt Lesser. Außerdem seien hier die Wege zu Finanzierern wie der Commerzbank und Versicherern kürzer – und auch die Anfahrt zum Flughafen. Schließlich ist PNE auch schon in Südafrika und auf dem amerikanischen Kontinent aktiv. Das Interesse richtet sich aber verstärkt auch auf Schwellenländer im Mittleren und Fernen Osten.
Dabei ist PNE über sehr lange Zeit mit den Projekten verbunden. Das beginnt lange vor Baubeginn, bei manchen Windparks übernimmt das Unternehmen nach der Fertigstellung die Betriebsführung für bis zu 20 Jahre. „Wir schaffen Vertrauen bei den Menschen vor Ort, holen Baugenehmigungen ein und schließen Verträge mit Banken und Anlagenbauern“, sagt Lesser, „wobei wir fast ausschließlich bei Herstellern einkaufen, die auch in Norddeutschland entwickeln und produzieren.“
Große Windparks werden von mehreren Banken finanziert
Trotz der aktuellen Verwerfungen sieht Wessel-Ellermann gute Perspektiven für diese Firmen, schon wegen der überproportional wachsenden Bedeutung von Windparks auf See: „Die Technologie für Offshore-Parks ist in Europa entwickelt worden, das dürfte sich auch künftig nutzen lassen. Denn die große Welle der Offshore-Projekte kommt erst noch.“ Solche Vorhaben sind jedoch in der Regel sehr teuer. Die Investitionen liegen üblicherweise deutlich oberhalb von einer Milliarde Euro und werden von Bankenkonsortien finanziert. Die Commerzbank übernimmt davon einen Teilbetrag von bis zu 200 Millionen Euro.
Weil die Kredite in manchen Fällen 15 bis 20 Jahre lang laufen, werden für die Windparkbetreiber mit zunehmend wettbewerbsfähigen Erzeugungskosten und auslaufender staatlicher Förderung feste Stromlieferverträge mit großen Einzelabnehmern, die sogenannten „Power Purchase Agreements“ (PPA), immer wichtiger. Im Mai hat PNE mit dem Hamburger Ökostromanbieter LichtBlick einen solchen Vertrag für einen eigenen Windpark im Landkreis Helmstedt (Niedersachsen) geschlossen.
Rechenzentren sind wichtigste Abnehmer von Ökostrom
Die wichtigsten Abnehmer von Ökostrom über PPAs in Europa sind aber Technologiekonzerne wie Google, Apple, Amazon, Facebook und Microsoft, die Großrechenzentren bevorzugt im kühlen Nordeuropa bauen und mit Windenergie betreiben. Das stellt Finanzierer wie die Commerzbank vor ganz neue Herausforderungen: Sie müssen abschätzen, wie „sicher“ solche Konzerne als Kunden der Windparks für mehr als zehn Jahre sind.
Lesser und Wessel-Ellermann erwarten, dass die Politik angesichts der immer sichtbarer werdenden Auswirkungen des Klimawandels auch in Deutschland künftig wieder bessere Voraussetzungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien schafft. „Wenn wir die Deiche erhöhen müssen und bald ein hoher Anteil der Haushalte in Deutschland wegen steigender Unwetterrisiken nicht mehr versicherbar ist, verursacht das volkswirtschaftliche Kosten, die bisher in den Strompreisen nicht berücksichtigt sind“, sagt Lesser.
Er ist sicher, dass sich vor diesem Hintergrund in den kommenden Jahren auch Wasserstoff zu einem interessanten Markt entwickeln wird. „Man könnte den Wasserstoff in der direkten Nachbarschaft von Windparks auf See mit deren Strom erzeugen und mit Schiffen an Land bringen – das wäre eine Riesenchance für die Region an der Küste.“ Zwar seien das bislang nur Ideen, aber: „In unserer Branche kommt immer alles schneller, als man gedacht hat.“