Hamburg. Immer weniger Fachbetriebe und Nachwuchssorgen. Daher dauert es lange, bis die teuren Chronometer wieder richtig ticken.

Es gibt Tage, an denen ist es schwierig, Ralf Schulze in seinem Geschäft in der Harburger Innenstadt ans Telefon zu bekommen. Der Obermeister der Hamburger Uhrmacher-Innung betreibt den Laden weitgehend allein. Wenn vorne die Kunden zu bedienen sind und in der Werkstatt gleichzeitig viel Arbeit auf ihn wartet, schaltet Schulze den Anrufbeantworter ein. Der aber zeichnet keine Nachrichten und Rückrufbitten auf, sondern rät dazu, es später noch mal zu versuchen. Dass ihm deshalb ein neuer Kunde, ein neuer Auftrag entgehen könnte, „damit muss und kann ich leben“, sagt der Uhrmachermeister. Denn in der Werkstatt wartet immer sehr viel Arbeit auf ihn. „Die Auftragslage ist fantastisch. Ich habe derzeit um die 400 Reparaturen zu bearbeiten.“

Die Auslastung der Werkstätten ist hoch

Schulze ist kein Sonderfall. „Die Auslastung der Werkstätten ist generell sehr hoch“, sagt er. Das Geschäft mit der Reparatur und der Überholung von Zeitmessern floriert. Überall bei Branchenverbänden, in Handwerksbetrieben, großen Werkstätten und Ausbildungsstätten heißt es – je nach Temperament des Gesprächspartners – derzeit entweder: „Die Betriebe kommen mit der Arbeit kaum noch nach“, „Wer repariert, dem rennen die Kunden die Türen ein“ oder „Das Volumen der Reparaturen ist stark gestiegen.“

Für die Kunden hat das komfortable Auftragspolster der Uhrmacher mittlerweile unliebsame Konsequenzen. Sie müssen zumeist sehr viel länger warten, bis sie ihre Uhr aus der Werkstatt zurückbekommen, als noch vor wenigen Jahren. „Was früher zwei bis drei Wochen gedauert hat, kann jetzt schon mal vier bis sechs Wochen dauern“, sagt Schulze. Wenn eine aufwendige Grundüberholung ansteht, ein Ersatzteil besorgt oder Spezialarbeiten ausgeführt werden müssen, kann viel mehr Zeit vergehen. Das Schleifen von Uhrgläsern etwa vergibt der Innungs-Obermeister an ein darauf spezialisiertes Unternehmen. „Früher kam das Teil nach zehn Tagen zurück, jetzt warte ich sechs Wochen.“

Drei bis vier Monate Wartezeit

Beim Zentralverband für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik ist gar von monatelangen Wartezeiten für die Kunden die Rede. „Eine Grundüberholung kann drei, vier Monate dauern. Es gibt Kollegen, die inzwischen Wartelisten führen und dem Kunden einen Termin vorgeben, wann er seine Uhr in der Werkstatt abgeben darf, weil der Betrieb gar nicht die Platzkapazität hat, alle Aufträge einzulagern“, sagt Verbandspräsident Albert Fischer. Kleinere Serviceaufträge dagegen würden zumeist „binnen weniger Wochen“ bearbeitet.

Und auch beim Hamburger Juwelier und Uhrenhaus Wempe heißt es: „Die Wartezeit für eine Reparatur hat sich in den letzten Jahren verlängert.“ Wempe betreibt in der Hamburger Innenstadt sowie im sächsischen Glashütte die weltweit größte herstellerunabhängige Werkstatt für Zeitmesser. Allein in Hamburg reparieren und überholen fast 50 Mitarbeiter, die Mehrzahl davon Uhrmachermeister, pro Jahr um die 10.000 zumeist hochwertige Armbanduhren.

Die Uhren müssen zum Hersteller

„Die durchschnittliche Dauer für die Grundüberholung einer mechanischen Armbanduhr beträgt etwa sechs bis acht Wochen“, sagt Bernhard Stoll, der in der Wempe-Geschäftsführung für die Uhrensparte zuständige Manager. Vor wenigen Jahren waren es noch drei bis sechs Wochen. Als eine von wenigen Werkstätten darf das Wempe-Uhrenatelier auch Luxusmarken wie Rolex, Breguet, Patek Philippe oder Jaeger-LeCoultre überholen. Müsse eine der Uhren aber an den Hersteller geschickt werden, „können sich auch Reparaturfristen von deutlich über zehn Wochen ergeben“, sagt Stoll. Wempe-Kunden berichten von bis zu 16 Wochen.

Manager Stoll sieht mehrere Gründe für die längeren Wartezeiten: „In den letzten Jahren wurden erheblich mehr feine Uhren verkauft.“ Grundüberholt und in ihre oft mehr als 100 mechanischen Einzelteile zerlegt, werden sie alle vier bis acht Jahre. Entscheidend aber ist: Die Zahl der reparierenden Uhrmacherbetriebe ist stark geschrumpft. „Bundesweit sind es noch etwa 2600, vor 20 Jahren waren es doppelt so viele“, sagt Zentralverbandspräsident Fischer. Bei der Handwerkskammer Hamburg waren 2018 nurmehr 37 Uhrmacherbetriebe registriert, zehn Jahre zuvor waren es noch 57.

Nachfolger finden sich nicht

„Viele Betriebe schließen, weil es keine Nachfolger gibt“, weiß Schulze. Fachkräftemangel herrscht auch bei den Uhrmachern. Vor 20 Jahren hatte der Obermeister noch vier Angestellte mit abgeschlossener Berufsausbildung. „Heute bin ich allein im Betrieb und habe zeitweise Unterstützung in der Werkstatt von einer freischaffenden Uhrmacherin. Eine Arbeitswoche von 70, 80 Stunden im eigenen Unternehmen will sich kaum noch jemand antun.“

Die Zahl der Auszubildenden gehe bundesweit ebenfalls zurück, beklagt Zentralverbandspräsident Fischer. Pro Jahr beginnen etwa 100 junge Frauen und Männer in Deutschland eine Uhrmacherausbildung, ein Drittel davon in Hamburg. Die Berufliche Schule in Farmsen ist der zentrale Ausbildungsstandort in Norddeutschland. Seit Anfang August hat sie sieben neue Schüler, die in einem Unternehmen ausgebildet werden. Aber jeweils 25 junge Leute pro Jahr starten in Farmsen eine dreijährige Lehre, die ausschließlich an der Berufsfachschule stattfindet. „Hamburg war einst ein Zentrum der Herstellung von hochpräzisen Schiffschronometern, die für die Navigation auf hoher See wichtig waren. Um den Berufsnachwuchs zu sichern, hat der Staat schon vor mehr als 100 Jahren die Ausbildung übernommen“, erklärt Jörg Zehle, der Leiter der Abteilung Uhrmacher und Goldschmiede an der Berufsschule.

Aus der Luftfahrt werden Uhrmacher abgeworben

„Noch können wir alle Plätze jedes Jahr gut besetzen“, sagt Zehle. Aber das Interesse geht zurück. Derzeit kommen knapp zwei Bewerber auf einen Ausbildungsplatz in der Fachschule. „Vor einigen Jahren waren es noch 2,5.“ Im Schnitt zwei Drittel eines Jahrgangs schließen die Ausbildung im Umgang mit Schräubchen, Federn und Zahnrädern zwar erfolgreich ab – aber längst nicht alle arbeiten danach auch als Uhrmacher.

„Etwa 40 Prozent wechseln sofort in andere Branchen, langfristig wandern weitere ab“, weiß Zehle. Mit ihren Fähigkeiten in der Feinmechanik seien Uhrmacher hoch begehrt etwa in der Medizintechnikbranche, bei Flugzeugbauern oder in der Flugzeugwartung. Gerade in Hamburg ist die Nachfrage in der Industrie nach Nachwuchskräften mit Spezialwissen groß. Und die Bezahlung besser als in einem Handwerksunternehmen. Dort liegt das Einstiegsgehalt für einen Uhrmachergesellen bei um die 2000 Euro brutto im Monat. „Wer dauerhaft als Uhrmacher arbeitet, muss schon Idealist sein“, sagt Obermeister Schulze. „Wenn man es schafft, eine alte, kaputte Uhr wieder zum Laufen zu bringen, ist das jedesmal ein tolles Gefühl.“